Die Presse

Schützt der serbische Staat seine einstigen Killer?

Der Journalist Slavko Ćuruvija war während des Milošević-Regimes 1999 erschossen worden. Nun wurden seine mutmaßlich­en Mörder von einem serbischen Gericht freigespro­chen. Und das sorgt für Entsetzen.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Ein ungesühnte­r Journalist­enmord sorgt beim EU-Anwärter Serbien auch nach 25 Jahren noch immer für Wellen – und für Empörung. „Der Staat, der den Mord begangen hat, schützt jetzt die Mörder“, titelte aufgebrach­t die unabhängig­e Zeitung „Danas“. „Wird für den Mord an Slavko Ćuruvija niemand zur Verantwort­ung gezogen?“, fragt sich besorgt die Belgrader Zeitung „Blic“.

Schüsse in den Rücken

Mit einer symbolisch­en weißen Fahne für Serbiens Justiz, die sich „der Macht“ergeben“habe, zogen zu Wochenbegi­nn Hunderte von Journalist­en vor das Berufungsg­ericht in Belgrad. Der Grund: Nach zehn Monaten hat das Gericht nun den offenbar bereits im Frühjahr gefällten Freispruch für vier frühere Geheimdien­stagenten veröffentl­icht. In erster Instanz des neu aufgerollt­en Verfahrens waren sie wegen der Ermordung des Publiziste­n Ćuruvija während des KosovoKrie­gs 1999 noch zu insgesamt 100 Jahren Haft verurteilt worden.

Mit einem Dutzend von Schüssen in den Rücken war der 49-jährige Herausgebe­r der Boulevardz­eitung „Dnevni Telegraf“am 11. April 1999 am helllichte­n Tag vor seinem Hauseingan­g erschossen worden. Kurz vor dem Attentat hatte Mirjana Marković, die Ehefrau des damaligen Autokraten Slobodan Milošević, dem wegen der kritischen Berichters­tattung seines Blatts in Ungnade gefallenen Journalist­en öffentlich vorgeworfe­n, die NatoBombar­dierung Serbiens verursacht zu haben. Und die mächtige Politikeri­n hatte ihm angedroht, dass ihn das „Volk richten“werde.

Neu aufgerollt­er Prozess

Doch es war nicht das Volk, sondern Geheimdien­stschergen, denen Ćuruvija zum Opfer fiel. Erst 16 Jahre nach dem Attentat wurde 2015 der erste Prozess gegen vier frühere Geheimdien­stagenten eröffnet: Die Anklage warf dem früheren Geheimdien­stchef Radomir Marković die Anordnung des Auftragsmo­rds vor sowie den früheren Agenten Ratko Romić, Milan Radonjić und Miroslav Kurak die Teilnahme an dessen Vorbereitu­ng und Ausführung. Erst 2019 wurden die vier Angeklagte­n in erster Instanz zu insgesamt 100 Jahren Haft verurteilt – ein Urteil, das von der Berufungsi­nstanz wegen angebliche­r Verfahrens­fehler ein Jahr später kassiert wurde. In dem neu aufgerollt­en Prozess wurde die einstigen Agenten 2021 in erster Instanz zwar erneut zu jeweils 20 bis 30 Jahren Haft verurteilt, doch nun vom Berufungsg­ericht wegen angeblich mangelnder Beweise freigespro­chen.

Schützt der serbische Staat seine einstigen Killer? Von einer seit über 24 Jahren andauernde­n Justizfarc­e, die nur dazu diene, dass das Attentat nie gesühnt werde, spricht entrüstet Branka Prpa, die einstige Lebenspart­nerin des Mordopfers: „Die Repräsenta­nten der damaligen Machthaber, die hinter dem Mord standen, sind noch immer an der Macht.“

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