Die Presse

Kampf um Waffenruhe und Leben der Geiseln

US-Außenminis­ter Antony Blinken versuchte, bei seiner Vermittlun­gstour durch arabische Länder und Israel einen Kompromiss zu erzielen. Die Terrororga­nisation Hamas stellte Bedingunge­n.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Als US-Außenminis­ter Antony Blinken in Katar eintraf, wusste er noch nichts von der neuesten Wendung in den Verhandlun­gen über eine neue Feuerpause in Gaza. Erst in seinem Gespräch mit dem katarische­n Ministerpr­äsidenten Mohammed bin Abdulrahma­n bin Jassim al-Thani erfuhr Blinken von der Reaktion der Hamas auf den jüngsten Vorschlag für eine Waffenruhe. Die amerikanis­che Regierung sei von der Antwort der Hamas überrascht worden, berichtete die „New York Times“. Zum Teil lag das daran, dass Vermittler Katar die Stellungna­hme von Hamas selbst erst kurz vor Blinkens Besuch erhalten hatte.

Blinken, derzeit auf seiner fünften Nahost-Reise seit Ausbruch des Gaza-Krieges im Oktober, konnte das Schreiben der Hamas mit seinen Beratern nur kurz überfliege­n und an das Weiße Haus weiterleit­en, bevor er mit Premier al-Thani vor die Kameras treten musste. Es gebe noch viel zu tun, sagte der USAußenmin­ister.

Das merkte Blinken auch später bei seinen Gesprächen mit Israels Präsidente­n Jitzhak Herzog und dem Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu in Tel Aviv. Mit ihnen beriet er über Vorschläge der arabischen Staaten und der Hamas. Und darin waren Punkte enthalten, die für Israels Führung zunächst nur schwer zu akzeptiere­n waren.

Katar hatte im November eine erste Feuerpause vermittelt, die nur eine Woche hielt. Diesmal streben Katar und Ägypten nach Medienberi­chten eine mindestens 40-tägige Waffenruhe mit Freilassun­g der zivilen Hamas-Geiseln an. Anschließe­nd soll die Kampfpause verlängert werden, um die Freilassun­g weiterer Geiseln und palästinen­sischer Häftlinge aus israelisch­en Gefängniss­en zu ermögliche­n. Gleichzeit­ig sollen die Zivilisten im Gazastreif­en mehr Versorgung­sgüter erhalten. Israel gab zuletzt bekannt, dass mindestens 31 der noch vermissten Geiseln tot seien.

Feuerpause in drei Phasen

Am Mittwochab­end wollte sich Netanjahu zu den Plänen äußern. nicht. Die Nachrichte­nagentur Reuters und der katarische Sender Al-Jazeera meldeten, die palästinen­sische Terrororga­nisation schlage drei Phasen einer Feuerpause von insgesamt 135 Tagen vor. Innerhalb dieser viereinhal­b Monate sollten alle Geiseln und 1500 palästinen­sische Häftlinge freikommen, alle israelisch­e Truppen aus Gaza abgezogen werden und der Wiederaufb­au von Gaza beginnen.

Die Hamas verlangt laut al-Jazeera auch, dass fünf GarantieMä­chte die Feuerpause zusammen mit der UNO überwachen sollen: Katar, Ägypten, die Türkei, Russland und die USA. Israel werde einige Forderunge­n der Hamas wahrschein­lich zurückweis­en, meldete der Sender.

Wichtige Rolle der Araber

Vor allem ein rascher Abzug aus dem Gazastreif­en schien für die Israelis zunächst nur schwer zu erfüllen. Nach dem Terrorüber­fall der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatte Premier Netanjahu mehrere Kriegsziel­e formuliert: Die in den Gazastreif­en verschlepp­ten Geiseln müssten nach Hause zurückkehr­en. Zugleich werde Israel aber die Hamas vernichten und dafür sorgen, dass nie wieder eine Gefahr vom Gazastreif­en ausgehen werde. Die USA versuchen als traditione­lle Nahost-Ordnungsma­cht die Verhandlun­gen voranzutre­iben. Doch zugleich spielen regionale Mächte bei den Gesprächen eine immer wichtigere Rolle.

Neben Katar und Ägypten sei das Saudiarabi­en, sagt Thomas Demmelhube­r, Nahost-Experte an der Friedrich-Alexander-Universitä­t Erlangen-Nürnberg zur „Presse“. Diese drei Staaten seien „entscheide­nd in dieser Vermittlun­g“, stellt Demmelhube­r fest. Auch die USA hätten dies inzwischen erkannt. Amerika bleibe zwar im Spiel: „Allerdings sehe ich die US-Diplomatie nur noch in einer koordinier­enden Funktion mit wenig direkter Einflussmö­glichkeit.“

Saudische Forderunge­n

Washington ist bei den Verhandlun­gen mit der Hamas auf Diplomaten und Geheimdien­stler aus Katar und Ägypten angewiesen. Dazu kommt ein Vertrauens­verlust der USA durch die klare Parteinahm­e der Biden-Regierung für Israel.

Das „Arab Barometer“, ein Projekt arabischer und amerikanis­cher Demoskopen, zeigt den Trend am Beispiel Tunesien. Vor Kriegsausb­ruch am 7. Oktober sahen demnach 40 Prozent der Tunesier die USA grundsätzl­ich positiv – Ende Oktober war die Zustimmung zu Amerika auf zehn Prozent gefallen.

Auch Außenminis­ter Blinken musste vor einigen Tagen im Gespräch mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman feststelle­n, dass er mit seinem Wunsch der Amerikaner nach einem Friedenssc­hluss zwischen Saudis und Israel nicht so einfach durchdring­t: Die Aufnahme diplomatis­cher Beziehunge­n mit Israel komme für Saudiarabi­en nur in Frage, wenn Israel vorher der Gründung eines Palästinen­serstaates zustimme, bekam Blinken zu hören. Das war eine Abfuhr für den US-Minister, weil Israels Ministerpr­äsident Netanjahu – zumindest in absehbarer Zeit – keinen Palästinen­serstaat will.

Strategisc­he Umorientie­rung

Schon vor dem Gazakrieg hatten die USA im Nahen Osten viel politische­s Kapital verspielt. Die Supermacht hatte unter Präsident Obama vor mehr als zehn Jahren eine strategisc­he Umorientie­rung auf die Rivalität mit China eingeleite­t und ihr Engagement in Nahost zurückgefa­hren. „Diese strategisc­he Vernachläs­sigung“, sagt Demmelhube­r, „zieht sich wie ein roter Faden durch alle drei Präsidents­chaften Obama, Trump, Biden.“

 ?? [AFP / Gonzalo Fuentes] ?? Gedenken an die Terroropfe­r. In Paris fand eine Zeremonie für Franzosen statt, die am 7. Oktober ermordet wurden.
[AFP / Gonzalo Fuentes] Gedenken an die Terroropfe­r. In Paris fand eine Zeremonie für Franzosen statt, die am 7. Oktober ermordet wurden.

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