Kampf um Waffenruhe und Leben der Geiseln
US-Außenminister Antony Blinken versuchte, bei seiner Vermittlungstour durch arabische Länder und Israel einen Kompromiss zu erzielen. Die Terrororganisation Hamas stellte Bedingungen.
Als US-Außenminister Antony Blinken in Katar eintraf, wusste er noch nichts von der neuesten Wendung in den Verhandlungen über eine neue Feuerpause in Gaza. Erst in seinem Gespräch mit dem katarischen Ministerpräsidenten Mohammed bin Abdulrahman bin Jassim al-Thani erfuhr Blinken von der Reaktion der Hamas auf den jüngsten Vorschlag für eine Waffenruhe. Die amerikanische Regierung sei von der Antwort der Hamas überrascht worden, berichtete die „New York Times“. Zum Teil lag das daran, dass Vermittler Katar die Stellungnahme von Hamas selbst erst kurz vor Blinkens Besuch erhalten hatte.
Blinken, derzeit auf seiner fünften Nahost-Reise seit Ausbruch des Gaza-Krieges im Oktober, konnte das Schreiben der Hamas mit seinen Beratern nur kurz überfliegen und an das Weiße Haus weiterleiten, bevor er mit Premier al-Thani vor die Kameras treten musste. Es gebe noch viel zu tun, sagte der USAußenminister.
Das merkte Blinken auch später bei seinen Gesprächen mit Israels Präsidenten Jitzhak Herzog und dem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Tel Aviv. Mit ihnen beriet er über Vorschläge der arabischen Staaten und der Hamas. Und darin waren Punkte enthalten, die für Israels Führung zunächst nur schwer zu akzeptieren waren.
Katar hatte im November eine erste Feuerpause vermittelt, die nur eine Woche hielt. Diesmal streben Katar und Ägypten nach Medienberichten eine mindestens 40-tägige Waffenruhe mit Freilassung der zivilen Hamas-Geiseln an. Anschließend soll die Kampfpause verlängert werden, um die Freilassung weiterer Geiseln und palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen die Zivilisten im Gazastreifen mehr Versorgungsgüter erhalten. Israel gab zuletzt bekannt, dass mindestens 31 der noch vermissten Geiseln tot seien.
Feuerpause in drei Phasen
Am Mittwochabend wollte sich Netanjahu zu den Plänen äußern. nicht. Die Nachrichtenagentur Reuters und der katarische Sender Al-Jazeera meldeten, die palästinensische Terrororganisation schlage drei Phasen einer Feuerpause von insgesamt 135 Tagen vor. Innerhalb dieser viereinhalb Monate sollten alle Geiseln und 1500 palästinensische Häftlinge freikommen, alle israelische Truppen aus Gaza abgezogen werden und der Wiederaufbau von Gaza beginnen.
Die Hamas verlangt laut al-Jazeera auch, dass fünf GarantieMächte die Feuerpause zusammen mit der UNO überwachen sollen: Katar, Ägypten, die Türkei, Russland und die USA. Israel werde einige Forderungen der Hamas wahrscheinlich zurückweisen, meldete der Sender.
Wichtige Rolle der Araber
Vor allem ein rascher Abzug aus dem Gazastreifen schien für die Israelis zunächst nur schwer zu erfüllen. Nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatte Premier Netanjahu mehrere Kriegsziele formuliert: Die in den Gazastreifen verschleppten Geiseln müssten nach Hause zurückkehren. Zugleich werde Israel aber die Hamas vernichten und dafür sorgen, dass nie wieder eine Gefahr vom Gazastreifen ausgehen werde. Die USA versuchen als traditionelle Nahost-Ordnungsmacht die Verhandlungen voranzutreiben. Doch zugleich spielen regionale Mächte bei den Gesprächen eine immer wichtigere Rolle.
Neben Katar und Ägypten sei das Saudiarabien, sagt Thomas Demmelhuber, Nahost-Experte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur „Presse“. Diese drei Staaten seien „entscheidend in dieser Vermittlung“, stellt Demmelhuber fest. Auch die USA hätten dies inzwischen erkannt. Amerika bleibe zwar im Spiel: „Allerdings sehe ich die US-Diplomatie nur noch in einer koordinierenden Funktion mit wenig direkter Einflussmöglichkeit.“
Saudische Forderungen
Washington ist bei den Verhandlungen mit der Hamas auf Diplomaten und Geheimdienstler aus Katar und Ägypten angewiesen. Dazu kommt ein Vertrauensverlust der USA durch die klare Parteinahme der Biden-Regierung für Israel.
Das „Arab Barometer“, ein Projekt arabischer und amerikanischer Demoskopen, zeigt den Trend am Beispiel Tunesien. Vor Kriegsausbruch am 7. Oktober sahen demnach 40 Prozent der Tunesier die USA grundsätzlich positiv – Ende Oktober war die Zustimmung zu Amerika auf zehn Prozent gefallen.
Auch Außenminister Blinken musste vor einigen Tagen im Gespräch mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman feststellen, dass er mit seinem Wunsch der Amerikaner nach einem Friedensschluss zwischen Saudis und Israel nicht so einfach durchdringt: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel komme für Saudiarabien nur in Frage, wenn Israel vorher der Gründung eines Palästinenserstaates zustimme, bekam Blinken zu hören. Das war eine Abfuhr für den US-Minister, weil Israels Ministerpräsident Netanjahu – zumindest in absehbarer Zeit – keinen Palästinenserstaat will.
Strategische Umorientierung
Schon vor dem Gazakrieg hatten die USA im Nahen Osten viel politisches Kapital verspielt. Die Supermacht hatte unter Präsident Obama vor mehr als zehn Jahren eine strategische Umorientierung auf die Rivalität mit China eingeleitet und ihr Engagement in Nahost zurückgefahren. „Diese strategische Vernachlässigung“, sagt Demmelhuber, „zieht sich wie ein roter Faden durch alle drei Präsidentschaften Obama, Trump, Biden.“