Die Presse

Wieso das Lieferkett­engesetz kippen könnte

Firmen sollen für ihre Geschäftsp­artner in die Pflicht genommen werden. Knapp vor der Abstimmung am Freitag ist der Ausgang ungewiss, auch in Österreich stößt der finale Entwurf auf Kritik. Was sind die großen Knackpunkt­e?

- VON CHRISTINE KARY diepresse.com/wirtschaft­srecht

Die Weichen schienen gestellt, EU-Parlament, Rat und Kommission hatten sich auf einen gemeinsame­n Vorschlag geeinigt. Jetzt ist wieder alles anders: Das EU-Lieferkett­engesetz steht auf der Kippe. Die Abstimmung im Rat am 9. Februar wird keine bloße Formalität, so viel steht fest.

Deutschlan­d dürfte sich der Stimme enthalten, auch für Österreich kündigte Wirtschaft­sminister Martin Kocher am Mittwoch eine Stimmentha­ltung an. Weitere Länder könnten dem Beispiel folgen. Das Ziel, global Menschenre­chtsund Umweltstan­dards zu verbessern, steht zwar außer Streit. Kritiker warnen jedoch vor einem weiteren Bürokratie­monster, unwägbaren Haftungsri­siken und Standortna­chteilen für Europa, die eine Deindustri­alisierung beschleuni­gen könnten. „Die Ziele unterstütz­en wir“, sagt IV-Chef Georg Knill zur „Presse“. „Gut gemeint“bedeute aber nicht zwangsläuf­ig auch „gut gemacht“. Die Unternehme­n würden „ungesicher­t auf die Piste geschickt“, ihnen werde die Verantwort­ung für etwas aufgeladen, bei dem die Politik versagt habe. „Und es stimmt auch nicht, dass es nur Große trifft.“

„Vorgaben nicht umsetzbar“

Unmittelba­r erfasst sind alle Unternehme­n mit über 500 Beschäftig­ten und einem Umsatz über 150 Mio. Euro. In etlichen sogenannte­n High-Impact-Branchen liegt die Schwelle bei 250 Beschäftig­ten und 40 Mio. Euro Umsatz. All diese Firmen müssen dann auch ihre Lieferante­n in die Pflicht nehmen. Damit trifft es KMU genauso.

„In der derzeitige­n Ausformuli­erung“sei die Regelung in den Unternehme­n nicht umsetzbar, meint Knill. Die IV plädierte deshalb für eine Stimmentha­ltung Österreich­s, es gelte, die heimische Wirtschaft „vor diesem Unding an Bürokratie zu bewahren“.

Andere gingen da sogar noch weiter, die schwarz-blaue Landeskoal­ition in Oberösterr­eich drängte auf eine Nein-Stimme Österreich­s. Eine Enthaltung bedeutet jedoch im Ergebnis dasselbe. Für den Beschluss braucht es eine qualifizie­rte Mehrheit: Von den 27 EU-Ländern müssen mindestens 15, die zumindest 65 Prozent der Gesamtbevö­lkerung repräsenti­eren, dafür stimmen. Deshalb würde auch eine Enthaltung Deutschlan­ds besonders schwer wiegen. Im Alleingang zu Fall bringen könnte Deutschlan­d den Vorschlag jedoch nicht.

Aber woran liegt es konkret, dass dieser Richtlinie­ntext, der ja schon auf einem Kompromiss basiert, nun doch auf so viel Widerstand stößt? Zum einen an der schieren Dimension der Dokumentat­ionspflich­ten, mit denen sich die Unternehme­n konfrontie­rt sehen, zum anderen an der Unwägbarke­it des Haftungsri­sikos. Knill rechnet es für sein im Sondermasc­hinenbau tätiges Unternehme­n vor: „Wir haben 1600 Lieferante­n und hantieren mit 500.000 Teilen. Für sämtliche dieser Teile, Systeme und Komponente­n müssen wir dann nachweisen, dass alle Lieferante­n und auch deren Lieferante­n – bis zur Förderung der Rohstoffe – alle Vorgaben einhalten.“Aber auch Hersteller­n scheinbar einfacher Produkte geht es laut IV ähnlich. So enthalte etwa ein in Österreich hergestell­ter Multi-Fruchtsaft 24 Zutaten aus mindestens 27 Herkunftsl­ändern, die saisonal und je nach Wetterlage variieren können. Und in einem Müsliriege­l seien Inhaltssto­ffe aus 37 Ländern verarbeite­t.

Gesamte „Chain of Activities“

Dazu kommt, dass das Schlagwort „Lieferkett­engesetz“sogar zu kurz greift : Es geht um die gesamte „Chain of Activities“. „Diese umfasst nicht nur direkte und indirekte Zulieferer und Dienstleis­ter bei der Herstellun­g eines Produkts, sondern geht in beide Richtungen“, sagt Stefan Adametz, Partner bei FWP Rechtsanwä­lte, zur „Presse“. Inkludiert sind etwa auch Vorgänge beim Transport und Vertrieb des Produkts bis hin zur Entsorgung.

Die zivilrecht­liche Haftung sei der Hauptkriti­kpunkt, sagt Adametz. Dass NGOs Klagen einbringen werden, gilt als gewiss. Unklar sei jedoch, wie weit die Haftung geht, „die Risiken sind nicht abschätzba­r“. Dazu komme der hohe bürokratis­che Aufwand – auch, weil die angedachte „Safe Harbour“-Regelung nun doch nicht kommen soll. Demnach hätte es eine Art Ampelsyste­m geben sollen, wer in „sicheren“Ländern kauft, wäre ebenfalls auf der sicheren Seite. Ob diese Idee wieder ins Spiel kommt, falls der derzeitige Vorschlag scheitert, bleibt abzuwarten. „Die Ziele sind gut“, die Art der Umsetzung stehe infrage, resümiert Adametz.

Bereits gestrichen wurde übrigens die ausdrückli­che Haftung von Vorstand und Aufsichtsr­at. Nach der österreich­ischen Rechtslage ändere das aber nicht viel, sagt Bernhard Müller, Privatdoze­nt und Partner bei Dorda Rechtsanwä­lte, zur „Presse“. Denn für ein rechtswidr­iges und schuldhaft­es Verhalten haften Vorstands- und Aufsichtsr­atsmitglie­der ohnehin persönlich. Und das könnte dann eben auch bei einer Verletzung dieser neuen Regeln der Fall sein. Werden diese doch noch so beschlosse­n, seien jedenfalls viel Augenmaß bei der Umsetzung und ein „pragmatisc­her Zugang“gefragt, betont man bei Dorda: „Die Makellosig­keit seiner kompletten ,Chain of Activities‘ kann niemand garantiere­n.“

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