Wieso das Lieferkettengesetz kippen könnte
Firmen sollen für ihre Geschäftspartner in die Pflicht genommen werden. Knapp vor der Abstimmung am Freitag ist der Ausgang ungewiss, auch in Österreich stößt der finale Entwurf auf Kritik. Was sind die großen Knackpunkte?
Die Weichen schienen gestellt, EU-Parlament, Rat und Kommission hatten sich auf einen gemeinsamen Vorschlag geeinigt. Jetzt ist wieder alles anders: Das EU-Lieferkettengesetz steht auf der Kippe. Die Abstimmung im Rat am 9. Februar wird keine bloße Formalität, so viel steht fest.
Deutschland dürfte sich der Stimme enthalten, auch für Österreich kündigte Wirtschaftsminister Martin Kocher am Mittwoch eine Stimmenthaltung an. Weitere Länder könnten dem Beispiel folgen. Das Ziel, global Menschenrechtsund Umweltstandards zu verbessern, steht zwar außer Streit. Kritiker warnen jedoch vor einem weiteren Bürokratiemonster, unwägbaren Haftungsrisiken und Standortnachteilen für Europa, die eine Deindustrialisierung beschleunigen könnten. „Die Ziele unterstützen wir“, sagt IV-Chef Georg Knill zur „Presse“. „Gut gemeint“bedeute aber nicht zwangsläufig auch „gut gemacht“. Die Unternehmen würden „ungesichert auf die Piste geschickt“, ihnen werde die Verantwortung für etwas aufgeladen, bei dem die Politik versagt habe. „Und es stimmt auch nicht, dass es nur Große trifft.“
„Vorgaben nicht umsetzbar“
Unmittelbar erfasst sind alle Unternehmen mit über 500 Beschäftigten und einem Umsatz über 150 Mio. Euro. In etlichen sogenannten High-Impact-Branchen liegt die Schwelle bei 250 Beschäftigten und 40 Mio. Euro Umsatz. All diese Firmen müssen dann auch ihre Lieferanten in die Pflicht nehmen. Damit trifft es KMU genauso.
„In der derzeitigen Ausformulierung“sei die Regelung in den Unternehmen nicht umsetzbar, meint Knill. Die IV plädierte deshalb für eine Stimmenthaltung Österreichs, es gelte, die heimische Wirtschaft „vor diesem Unding an Bürokratie zu bewahren“.
Andere gingen da sogar noch weiter, die schwarz-blaue Landeskoalition in Oberösterreich drängte auf eine Nein-Stimme Österreichs. Eine Enthaltung bedeutet jedoch im Ergebnis dasselbe. Für den Beschluss braucht es eine qualifizierte Mehrheit: Von den 27 EU-Ländern müssen mindestens 15, die zumindest 65 Prozent der Gesamtbevölkerung repräsentieren, dafür stimmen. Deshalb würde auch eine Enthaltung Deutschlands besonders schwer wiegen. Im Alleingang zu Fall bringen könnte Deutschland den Vorschlag jedoch nicht.
Aber woran liegt es konkret, dass dieser Richtlinientext, der ja schon auf einem Kompromiss basiert, nun doch auf so viel Widerstand stößt? Zum einen an der schieren Dimension der Dokumentationspflichten, mit denen sich die Unternehmen konfrontiert sehen, zum anderen an der Unwägbarkeit des Haftungsrisikos. Knill rechnet es für sein im Sondermaschinenbau tätiges Unternehmen vor: „Wir haben 1600 Lieferanten und hantieren mit 500.000 Teilen. Für sämtliche dieser Teile, Systeme und Komponenten müssen wir dann nachweisen, dass alle Lieferanten und auch deren Lieferanten – bis zur Förderung der Rohstoffe – alle Vorgaben einhalten.“Aber auch Herstellern scheinbar einfacher Produkte geht es laut IV ähnlich. So enthalte etwa ein in Österreich hergestellter Multi-Fruchtsaft 24 Zutaten aus mindestens 27 Herkunftsländern, die saisonal und je nach Wetterlage variieren können. Und in einem Müsliriegel seien Inhaltsstoffe aus 37 Ländern verarbeitet.
Gesamte „Chain of Activities“
Dazu kommt, dass das Schlagwort „Lieferkettengesetz“sogar zu kurz greift : Es geht um die gesamte „Chain of Activities“. „Diese umfasst nicht nur direkte und indirekte Zulieferer und Dienstleister bei der Herstellung eines Produkts, sondern geht in beide Richtungen“, sagt Stefan Adametz, Partner bei FWP Rechtsanwälte, zur „Presse“. Inkludiert sind etwa auch Vorgänge beim Transport und Vertrieb des Produkts bis hin zur Entsorgung.
Die zivilrechtliche Haftung sei der Hauptkritikpunkt, sagt Adametz. Dass NGOs Klagen einbringen werden, gilt als gewiss. Unklar sei jedoch, wie weit die Haftung geht, „die Risiken sind nicht abschätzbar“. Dazu komme der hohe bürokratische Aufwand – auch, weil die angedachte „Safe Harbour“-Regelung nun doch nicht kommen soll. Demnach hätte es eine Art Ampelsystem geben sollen, wer in „sicheren“Ländern kauft, wäre ebenfalls auf der sicheren Seite. Ob diese Idee wieder ins Spiel kommt, falls der derzeitige Vorschlag scheitert, bleibt abzuwarten. „Die Ziele sind gut“, die Art der Umsetzung stehe infrage, resümiert Adametz.
Bereits gestrichen wurde übrigens die ausdrückliche Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat. Nach der österreichischen Rechtslage ändere das aber nicht viel, sagt Bernhard Müller, Privatdozent und Partner bei Dorda Rechtsanwälte, zur „Presse“. Denn für ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten haften Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ohnehin persönlich. Und das könnte dann eben auch bei einer Verletzung dieser neuen Regeln der Fall sein. Werden diese doch noch so beschlossen, seien jedenfalls viel Augenmaß bei der Umsetzung und ein „pragmatischer Zugang“gefragt, betont man bei Dorda: „Die Makellosigkeit seiner kompletten ,Chain of Activities‘ kann niemand garantieren.“