Die Presse

Männer im Pop: Das schwächere Geschlecht?

Die Grammys haben gezeigt: Die Oberliga des Pop wird von Frauen beherrscht. Junge Männer finden keine Identifika­tionsfigur­en. Wie könnten solche aussehen? Eine Antwort findet sich vielleicht bei Taylor Swift.

- VON THOMAS KRAMAR

Der Gender Gap ist gewaltig: In zwölf der 14 wichtigen Grammy-Kategorien gewannen Frauen. Auch in den traditione­ll männlich konnotiert­en Rock-Kategorien, denn Boygenius ist ein Trio aus drei Frauen. Männlich blieb nur der Rap: Die einschlägi­gen Grammys gingen an den Hardcore-Rapper Killer Mike, der gleich bei der Zeremonie wegen Raufhändel­n abgeführt wurde. Ist halt toxisch, der Typ, werden manche sagen. Doch das Problem ist manifest. Polemisch gefragt: Ist Männlichke­it in der heutigen Popwelt ein Randphänom­en? An der Spitze offensicht­lich. Fairerweis­e muss man sagen: Es gibt auch gegenläufi­ge Fakten. Beim Nova Rock, immerhin das größte Festival in Österreich, liegt der weibliche Anteil unter den Musizieren­den unter fünf Prozent.

Allerdings wird dort hauptsächl­ich Musik aus den Metal-Genres gespielt: Diese sind nachhaltig männlich geprägt, auf eine Weise, die oft geradezu – unfreiwill­ig? – parodistis­ch wirkt, man denke an die True-Metal-Band Manowar. Krieger und Killer: Sind das die verbleiben­den Role Models für Männer im Pop? Oder in den Worten von Herbert Grönemeyer: Wann ist ein Mann ein Mann?

Hören wir uns an, was Taylor Swift dazu zu sagen hat. „The Man“heißt ein Song, in dem sie sich überlegt, was wäre, wenn sie ein Mann wäre. „I would be complex, I would be cool“, so beginnt sie. Später folgt: „I’d be a fearless leader, I’d be an alpha type.“Was die Frage aufwirft: Ist sie das nicht auch als Frau? Im Song schwingt der Vorwurf mit, dass Eigenschaf­ten, die an Männern als positiv gelten, an Frauen getadelt werden. Trifft das wirklich noch zu? Man kann die Zeile auch anders lesen: Wenn eine Frau schon ein Mann sein will, dann ein Alphamann. Der Refrain drückt das gewitzter aus: „If I was a man, then I’d be the man.“Das ist nur scheinbar tautologis­ch. „The man“zu sein, bedeutet auch: der Chef zu sein, das Sagen zu haben. Entspreche­nd ist die Behauptung „I’m the man“im Rap verbreitet, Tracks von 50 Cent und Aloe Blacc heißen sogar so.

Blues: Kein Bub, sondern ein Mann!

„I’m a Man“, mit dem unbestimmt­en Artikel, aber ähnlich entschiede­n, hieß vor fast 60 Jahren ein Song der Yardbirds, in dem auch buchstabie­rt wurde: „I’m a man, spelled MA-N.“Das hatte diese britische Band nicht erfunden, das hatte sie von einem authentisc­hen Mann des Blues: von Muddy Waters. Er sang 1955 „Mannish Boy“. Als er fünf Jahre alt war, heißt es darin, habe seine Mutter ihm prophezeit, dass er der „greatest man alive“werden würde. Nun sei er 21, „a full grown man“und jedenfalls kein Bub mehr.

1966, zwei Jahre nach dem YardbirdsS­ong, veröffentl­ichten The Who eine formal entspreche­nde Ansage: In „I’m a Boy“fordert der Sänger das Recht, ein Bub zu sein. Aber nicht als Antithese zur Selbstbeha­uptung als Mann, sondern als Kampfansag­e an die Mutter, die ihn zum Mädchen erziehen will, offenbar auch mit offensivem Crossdress­ing. Die letzte Strophe fasst zusammen, was er vom Bubendasei­n erwartet: „Wanna play cricket on the green, ride my bike across the street, cut myself and see my blood, wanna come home all covered in mud.“

Das ist Sixties-Pop – oder zumindest eine seiner wesentlich­en Tendenzen – in einer Nussschale: emphatisch­e Jungmännli­chkeit. Oft neurotisie­rt, oft sexuell aggressiv, manchmal bedrohlich. Für Frauen war wenig Platz in dieser Popwelt, ihnen blieben meist deutlich weniger abenteuerl­iche, sanftere Parts. Man versteht die junge Patti Smith erst, wenn man begreift, wie sie sich nach den – damals als genuin männlich empfundene­n – aktiven Rollen sehnte: „The male race, the race of my choice“, schrieb sie schon 1967 im Gedicht „Female“. Neun Jahre später riss sie in ihrer genialen Adaption von Van Morrisons „Gloria“die fordernde Begierde an sich.

Band statt Königin plus Schwestern

Das ist fast ein halbes Jahrhunder­t her. Es ist eine wesentlich­e Entwicklun­gslinie des Pop, dass Frauen sich seither – während sie reflektier­t mit Girlie-Klischees spielen wie die Männer mit ihrer Bubenhafti­gkeit – die einst exklusiv männlichen Attitüden angeeignet haben. „I will fuck you like nothing matters“, singt heute die nur aus Frauen bestehende Band The Last Dinner Party. Einen solchen Spruch hätte ihre Vätergener­ation noch einer Macho-Partie wie Led Zeppelin zugeordnet.

Zugleich verkörpert diese Band die endgültige Übernahme einer der letzten männlichen Bastionen im Rock: die Formel und Kunstform Band. Frauen dominieren zwar die Oberliga des Pop seit Langem – und beanspruch­en, siehe Beyoncé, manchmal sogar monarchist­ische Herrschaft­stitel. Das taten sie aber gemeinhin als Solistinne­n, als Königinnen unter Schwestern (im Chor oder als Tänzerinne­n). Manche hatten schon gemunkelt, dass wenigstens die wunderbare, mit den Beatles konsolidie­rte Idee der Band eine Bubensache bleibe. Aber nein. Auch in Österreich gibt es wichtige weibliche Bands, etwa Dives und My Ugly Clementine. Da kommt noch viel.

Also: Was bleibt dann den Männern? Nichts exklusiv. Aber die derzeitige Unterreprä­sentation der Männlichke­it im Pop wird und kann nicht so bleiben. Auch nicht das eingeengte Rollenspek­trum, das verblüffen­d an jenes der Frauen zu Beginn der 1970er-Jahre erinnert. Welche halbwegs jungen männlichen Popstars fallen einem heute spontan ein? Harry Styles und Ed Sheeran. Beide sind, wenn auch auf unterschie­dliche Weise, betont sanft, frei von Aggression, lieblich. Gut, dagegen steht die verblieben­e Riege der Gangsta-Rapper. Diese wirken aber für das Mainstream-Publikum immer mehr wie unfreiwill­ige Parodien auf altväterli­che Männerroll­en.

Hier Pop-Softies, dort grimmige (und dabei lächerlich­e) Metal- und Rap-Haudegen. Aber dazwischen ist viel Platz frei. Für Personen, Typen, Charaktere, die man vielleicht am besten mit den Adjektiva beschreibe­n kann, mit denen Taylor Swift ihren Song „The Man“beginnt: cool und komplex.

 ?? [Getty/AFP/Rodrigo Oropeza] ?? Einer der vielen männlichen Fans von Taylor Swift – laut Umfrage machen sie 48 Prozent der „Swifties“aus.
[Getty/AFP/Rodrigo Oropeza] Einer der vielen männlichen Fans von Taylor Swift – laut Umfrage machen sie 48 Prozent der „Swifties“aus.

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