Männer im Pop: Das schwächere Geschlecht?
Die Grammys haben gezeigt: Die Oberliga des Pop wird von Frauen beherrscht. Junge Männer finden keine Identifikationsfiguren. Wie könnten solche aussehen? Eine Antwort findet sich vielleicht bei Taylor Swift.
Der Gender Gap ist gewaltig: In zwölf der 14 wichtigen Grammy-Kategorien gewannen Frauen. Auch in den traditionell männlich konnotierten Rock-Kategorien, denn Boygenius ist ein Trio aus drei Frauen. Männlich blieb nur der Rap: Die einschlägigen Grammys gingen an den Hardcore-Rapper Killer Mike, der gleich bei der Zeremonie wegen Raufhändeln abgeführt wurde. Ist halt toxisch, der Typ, werden manche sagen. Doch das Problem ist manifest. Polemisch gefragt: Ist Männlichkeit in der heutigen Popwelt ein Randphänomen? An der Spitze offensichtlich. Fairerweise muss man sagen: Es gibt auch gegenläufige Fakten. Beim Nova Rock, immerhin das größte Festival in Österreich, liegt der weibliche Anteil unter den Musizierenden unter fünf Prozent.
Allerdings wird dort hauptsächlich Musik aus den Metal-Genres gespielt: Diese sind nachhaltig männlich geprägt, auf eine Weise, die oft geradezu – unfreiwillig? – parodistisch wirkt, man denke an die True-Metal-Band Manowar. Krieger und Killer: Sind das die verbleibenden Role Models für Männer im Pop? Oder in den Worten von Herbert Grönemeyer: Wann ist ein Mann ein Mann?
Hören wir uns an, was Taylor Swift dazu zu sagen hat. „The Man“heißt ein Song, in dem sie sich überlegt, was wäre, wenn sie ein Mann wäre. „I would be complex, I would be cool“, so beginnt sie. Später folgt: „I’d be a fearless leader, I’d be an alpha type.“Was die Frage aufwirft: Ist sie das nicht auch als Frau? Im Song schwingt der Vorwurf mit, dass Eigenschaften, die an Männern als positiv gelten, an Frauen getadelt werden. Trifft das wirklich noch zu? Man kann die Zeile auch anders lesen: Wenn eine Frau schon ein Mann sein will, dann ein Alphamann. Der Refrain drückt das gewitzter aus: „If I was a man, then I’d be the man.“Das ist nur scheinbar tautologisch. „The man“zu sein, bedeutet auch: der Chef zu sein, das Sagen zu haben. Entsprechend ist die Behauptung „I’m the man“im Rap verbreitet, Tracks von 50 Cent und Aloe Blacc heißen sogar so.
Blues: Kein Bub, sondern ein Mann!
„I’m a Man“, mit dem unbestimmten Artikel, aber ähnlich entschieden, hieß vor fast 60 Jahren ein Song der Yardbirds, in dem auch buchstabiert wurde: „I’m a man, spelled MA-N.“Das hatte diese britische Band nicht erfunden, das hatte sie von einem authentischen Mann des Blues: von Muddy Waters. Er sang 1955 „Mannish Boy“. Als er fünf Jahre alt war, heißt es darin, habe seine Mutter ihm prophezeit, dass er der „greatest man alive“werden würde. Nun sei er 21, „a full grown man“und jedenfalls kein Bub mehr.
1966, zwei Jahre nach dem YardbirdsSong, veröffentlichten The Who eine formal entsprechende Ansage: In „I’m a Boy“fordert der Sänger das Recht, ein Bub zu sein. Aber nicht als Antithese zur Selbstbehauptung als Mann, sondern als Kampfansage an die Mutter, die ihn zum Mädchen erziehen will, offenbar auch mit offensivem Crossdressing. Die letzte Strophe fasst zusammen, was er vom Bubendasein erwartet: „Wanna play cricket on the green, ride my bike across the street, cut myself and see my blood, wanna come home all covered in mud.“
Das ist Sixties-Pop – oder zumindest eine seiner wesentlichen Tendenzen – in einer Nussschale: emphatische Jungmännlichkeit. Oft neurotisiert, oft sexuell aggressiv, manchmal bedrohlich. Für Frauen war wenig Platz in dieser Popwelt, ihnen blieben meist deutlich weniger abenteuerliche, sanftere Parts. Man versteht die junge Patti Smith erst, wenn man begreift, wie sie sich nach den – damals als genuin männlich empfundenen – aktiven Rollen sehnte: „The male race, the race of my choice“, schrieb sie schon 1967 im Gedicht „Female“. Neun Jahre später riss sie in ihrer genialen Adaption von Van Morrisons „Gloria“die fordernde Begierde an sich.
Band statt Königin plus Schwestern
Das ist fast ein halbes Jahrhundert her. Es ist eine wesentliche Entwicklungslinie des Pop, dass Frauen sich seither – während sie reflektiert mit Girlie-Klischees spielen wie die Männer mit ihrer Bubenhaftigkeit – die einst exklusiv männlichen Attitüden angeeignet haben. „I will fuck you like nothing matters“, singt heute die nur aus Frauen bestehende Band The Last Dinner Party. Einen solchen Spruch hätte ihre Vätergeneration noch einer Macho-Partie wie Led Zeppelin zugeordnet.
Zugleich verkörpert diese Band die endgültige Übernahme einer der letzten männlichen Bastionen im Rock: die Formel und Kunstform Band. Frauen dominieren zwar die Oberliga des Pop seit Langem – und beanspruchen, siehe Beyoncé, manchmal sogar monarchistische Herrschaftstitel. Das taten sie aber gemeinhin als Solistinnen, als Königinnen unter Schwestern (im Chor oder als Tänzerinnen). Manche hatten schon gemunkelt, dass wenigstens die wunderbare, mit den Beatles konsolidierte Idee der Band eine Bubensache bleibe. Aber nein. Auch in Österreich gibt es wichtige weibliche Bands, etwa Dives und My Ugly Clementine. Da kommt noch viel.
Also: Was bleibt dann den Männern? Nichts exklusiv. Aber die derzeitige Unterrepräsentation der Männlichkeit im Pop wird und kann nicht so bleiben. Auch nicht das eingeengte Rollenspektrum, das verblüffend an jenes der Frauen zu Beginn der 1970er-Jahre erinnert. Welche halbwegs jungen männlichen Popstars fallen einem heute spontan ein? Harry Styles und Ed Sheeran. Beide sind, wenn auch auf unterschiedliche Weise, betont sanft, frei von Aggression, lieblich. Gut, dagegen steht die verbliebene Riege der Gangsta-Rapper. Diese wirken aber für das Mainstream-Publikum immer mehr wie unfreiwillige Parodien auf altväterliche Männerrollen.
Hier Pop-Softies, dort grimmige (und dabei lächerliche) Metal- und Rap-Haudegen. Aber dazwischen ist viel Platz frei. Für Personen, Typen, Charaktere, die man vielleicht am besten mit den Adjektiva beschreiben kann, mit denen Taylor Swift ihren Song „The Man“beginnt: cool und komplex.