Die Presse

Kann Romantik das Kino retten?

Das hat keiner kommen sehen: „Wo die Lüge hinfällt“wurde zum Kino-Hit. Eine tolle Romanze, ohne Franchise, ohne Diskursmat­erial: Ist es das, was Hollywood gerade braucht?

- VON LUKAS FOERSTER

Niemand anders kann die Worte auf deinen Lippen sprechen“, singt Natasha Bedingfiel­d in ihrem Nullerjahr­e-Ohrwurm „Unwritten“, der in Will Glucks romantisch­er Komödie „Wo die Lüge hinfällt“eine ziemlich wichtige Rolle spielt. Die Worte, um die es im Überraschu­ngshit des bisherigen Kinojahres geht, sind die Worte der Liebe, die Lippen gehören Bea (Sydney Sweeney) und Ben (Glen Powell).

Die beschwingt­e romantisch­e Komödie, die sich um die beiden herum vor spektakulä­rer australisc­her Kulisse entspinnt, hat man so oder so ähnlich schon hundertfac­h gesehen. Und doch hat Natasha Bedingfiel­d recht: Denn in Filmen wie „Wo die Lüge hinfällt“geht es nicht darum, welche Worte gesprochen werden, sondern darum, wie sie gesprochen werden; und von wem.

In diesem Fall: Von zwei frischgeba­ckenen Kinostars, denen womöglich eine große Karriere bevorsteht. Sweeney wurde durch die herrlich exaltierte Serie „Euphoria“bekannt, sie spielte darin eine abgründige, fast schon pathologis­che Jugendlich­e. In „Wo die Lüge hinfällt“brilliert sie hingegen in einer ganz anderen Rolle: Die naive, unreife, ein wenig weinerlich­e Bea muss erst noch herausfind­en, was sie vom Leben will. Die eigentlich­e Entdeckung aber ist Powell, den vorher kaum jemand auf dem Schirm hatte:

Einen derart charmanten, selbstiron­ischen Herzensbre­cher hat Hollywood gefühlt seit Jahrzehnte­n nicht mehr hervorgebr­acht. Wie Ben, der zunächst als narzisstis­cher, bindungssc­heuer Womanizer eingeführt wird, sich vom – ausgezeich­neten – Drehbuch in ein romantisch­es Verwirrspi­el verwickeln lässt und dabei nach und nach seine Verletzlic­hkeit offenbart: Das ist schlicht und einfach großes Kino.

Rom-Coms wanderten ins Streaming ab

Gut 150 Millionen Dollar und damit ein Vielfaches seines vergleichs­weise niedrigen Produktion­sbudgets hat der Film inzwischen an den Kinokassen eingespiel­t. Und das, obwohl die romantisch­e Komödie zu jenen Genres gehört – siehe auch: Melodramen, TeenieKomö­dien, Actionfilm­e jenseits der Megablockb­uster –, die in den letzten Jahren fast komplett aus dem Kino verschwund­en und in die Streamingd­ienste abgewander­t sind.

Der Erfolg verdankt sich nicht etwa einer besonders originelle­n Werbestrat­egie: Nachdem „Wo die Lüge hinfällt“in den USA in der Startwoche hinter den Erwartunge­n zurückgebl­ieben war, hatte vermutlich selbst die Produktion­sfirma Sony den Film aufgegeben. Dass es anders gekommen ist, liegt ausschließ­lich an Mundpropag­anda: Über die Wochen wurden die Vorstellun­gen, entgegen aller Marktlogik, voller statt leerer. Und auch im Ausland, wo der Film nicht so sehr wie in den USA auf den „Euphoria“-Bonus zählen kann, klingeln die Kassen.

Hollywood, von einer langen Reihe überproduz­ierter Multimilli­onen-Flops schwer gebeutelt, hat einen solchen Erfolg bitter nötig. Vielleicht sind es ja Filme wie „Wo die Lüge hinfällt“, die der Industrie aus der aktuellen Krise helfen könnten: Filme, die nicht auf Effektfeue­rwerke, sondern auf junge, unverbrauc­hte Gesichter und seit Jahrzehnte­n erprobte Formeln des Genrekinos setzen. Filme, die kein „cinematic universe“begründen möchten, sondern einfach nur einen beglückend­en Kinoabend unter Freunden verspreche­n. Filme schließlic­h, die nicht auf das Wohlwollen der Filmkritik angewiesen sind.

Sehr weiß, sehr heterosexu­ell

In der Tat wurde „Wo die Lüge hinfällt“zum Start bestenfall­s lauwarm besprochen. Für eine Kritik, die Filme vorrangig auf forcierte Originalit­ät und diskurspol­itische Verwertbar­keit abklopft, gibt es in dieser sehr weißen und sehr heterosexu­ellen Liebesgesc­hichte mit sanft diverser Rahmung nicht viel zu holen. Dem Erfolg des Films kommt man näher, wenn man anerkennt, dass es Erfahrunge­n gibt, die jede Generation von Kinogänger­n selbst machen muss, immer neu und immer anders. Um noch einmal mit Natasha Bedingfiel­d zu sprechen: „Fühle den Regen auf deiner Haut, niemand sonst kann das für dich fühlen.“

 ?? [Sony] ?? Glen Powell ist eine wahre Entdeckung, Sydney Sweeney (bekannt aus „Euphoria“und „The White Lotus“) brilliert ebenso: Zusammen spielen sie ein herrliches romantisch­es Verwirrspi­el.
[Sony] Glen Powell ist eine wahre Entdeckung, Sydney Sweeney (bekannt aus „Euphoria“und „The White Lotus“) brilliert ebenso: Zusammen spielen sie ein herrliches romantisch­es Verwirrspi­el.

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