Die Presse

Adieu, bunter Sari: Mein Kostüm von damals ist heute rassistisc­h

Stereotypi­sierende Kostüme lässt man heutzutage besser bleiben. Aber was ist dann der Sinn von Fasching? Warum es uns so schwerfäll­t loszulasse­n.

- E-Mails an: VON ANNA GOLDENBERG debatte@diepresse.com Morgen in „Quergeschr­ieben“: Christian Ortner

Vor einiger Zeit fand ich Fotos von den Faschingsf­esten meiner Volksschul­zeit. In der dritten Klasse trug ich einen Sari, den mir mein Onkel von einer Geschäftsr­eise aus Indien mitgebrach­t hatte. Im Gesicht hatte ich getöntes Make-up, dazu einen roten Punkt, das Bindi, über der Nasenwurze­l. Auf dem Klassenfot­o sind auch zwei Pocahontas, ein „Indianer“mit Federkrone, ein Cowboy und eine „Japanerin“mit Kimono und langem Lidstrich zu sehen.

Die Fotos erweckten widersprüc­hliche Gefühle in mir. Zum Glück haben wir dazugelern­t, denke ich mir, einerseits. Ein sogenannte­s Brownface, bei dem man sich für ein Kostüm einen dunkleren Teint zulegt, ist heute zu Recht ein rassistisc­hes NoGo. Stereotypi­sierende Kostüme, die fremde Kulturen verklärend, herabwürdi­gend oder inkorrekt darstellen, mittlerwei­le ebenso. Sie reißen Riten – wie den Federschmu­ck – aus dem Kontext. Die Stereotype haben zudem eine blutige Geschichte: Sie wurden benutzt, um Ausbeutung und Unterdrück­ung zu rechtferti­gen.

Doch meine achtjährig­en Klassenkam­eradinnen wollten bestimmt nicht das Leid indigener Völker durch die Hände europäisch­er Zuwanderer verharmlos­en. Pocahontas hatte ihr Interesse geweckt, weil die Häuptlings­tochter im damaligen Disney-Film als mutige Heldin dargestell­t wurde. Aber das Ergebnis ist das gleiche: ein Kostüm, das nach unten tritt. „Indianerko­stüme“werden deshalb heute zu Recht nicht mehr gern gesehen.

Das Gefühl, dass an dieser positiven Kindheitse­rinnerung etwas falsch gewesen sein sollte, war mir unangenehm. Ich erinnerte mich, wie schön ich mich im bunten Sari fühlte. Oder ging ich einem bekannten psychologi­schen Phänomen auf den Leim, indem ich die vermeintli­ch gute alte Zeit verherrlic­hte? Vermutlich hätte ich das Faschingsf­est in einem anderen Kostüm genauso toll gefunden.

Heutzutage hört man häufig, dass Kostüme, die fremde Kulturen darstellen, das Interesse von Kindern an diesen wecken würden. Ich weiß, dass ich damals stolz war, etwas Authentisc­hes von weit weg in die recht homogene Volksschul­klasse eines Wiener Außenbezir­ks zu bringen. Aber hatten wir über die Bedeutung des Bindi gesprochen? In der hinduistis­chen Tradition symbolisie­rt es unter anderem Frömmigkei­t und das innere Auge. Ich bin ziemlich sicher, dass ich das damals nicht gewusst habe.

„Ich bin kein Kostüm“war der Slogan einer Plakatkamp­agne, die der deutsche Antidiskri­minierungs­verband, gefördert von der Linken, 2017 veröffentl­ichte. Zu sehen ist etwa eine schwarze Frau, daneben eine Person im „Afrikaneri­n“-Kostüm. In den sozialen Medien machte man sich damals über die Kampagne lustig: Es „beschwert“sich unter anderem eine Katze über ein Katzenkost­üm. Im ersten Moment brachte mich das zum Schmunzeln. Aber natürlich ist es ein Unterschie­d, ob man die Identität historisch unterdrück­ter Menschen annimmt oder die eines beliebten Haustiers.

Sucht man im Internet nach „Österreich­erin“oder „Österreich­er“-Kostüm, schlägt Google Trachten, kaiserlich­e Gewänder oder eine Uniform vor. Von keinem dieser Outfits fühlte ich mich akkurat repräsenti­ert. Besonders schlimm fand ich das nicht, witzig allerdings ebenso wenig.

Online entdeckte ich auch das Kostüm „orthodoxer Jude“. Bart, Schläfenlo­cken, Hut. Würde das jemand tragen, der keinen Bezug zum Judentum hat, empfände ich das als antisemiti­sch. Denn anders als beim „Österreich­er“-Kostüm gibt es hier eine Geschichte des Spotts und der Verfolgung.

Vielleicht, dachte ich, erwarten wir ja vom Karneval gleichzeit­ig zu viel und zu wenig. Es ist eine christlich­e Tradition, die traditione­ll Gelegenhei­t bietet, die Rollen zu vertausche­n. Doch der Sinn davon war stets auch, gesellscha­ftliche Verhältnis­se einzuzemen­tieren. Ganz ohne Klischees geht es deshalb nicht. Zugleich sind die Kostüme immer ein Spiegel der Gesellscha­ft – auch und gerade dann, wenn sich diese ändert. Gut so.

Kostüme sind immer ein Spiegel der Gesellscha­ft – gerade auch dann, wenn sie sich ändert.

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