Adieu, bunter Sari: Mein Kostüm von damals ist heute rassistisch
Stereotypisierende Kostüme lässt man heutzutage besser bleiben. Aber was ist dann der Sinn von Fasching? Warum es uns so schwerfällt loszulassen.
Vor einiger Zeit fand ich Fotos von den Faschingsfesten meiner Volksschulzeit. In der dritten Klasse trug ich einen Sari, den mir mein Onkel von einer Geschäftsreise aus Indien mitgebracht hatte. Im Gesicht hatte ich getöntes Make-up, dazu einen roten Punkt, das Bindi, über der Nasenwurzel. Auf dem Klassenfoto sind auch zwei Pocahontas, ein „Indianer“mit Federkrone, ein Cowboy und eine „Japanerin“mit Kimono und langem Lidstrich zu sehen.
Die Fotos erweckten widersprüchliche Gefühle in mir. Zum Glück haben wir dazugelernt, denke ich mir, einerseits. Ein sogenanntes Brownface, bei dem man sich für ein Kostüm einen dunkleren Teint zulegt, ist heute zu Recht ein rassistisches NoGo. Stereotypisierende Kostüme, die fremde Kulturen verklärend, herabwürdigend oder inkorrekt darstellen, mittlerweile ebenso. Sie reißen Riten – wie den Federschmuck – aus dem Kontext. Die Stereotype haben zudem eine blutige Geschichte: Sie wurden benutzt, um Ausbeutung und Unterdrückung zu rechtfertigen.
Doch meine achtjährigen Klassenkameradinnen wollten bestimmt nicht das Leid indigener Völker durch die Hände europäischer Zuwanderer verharmlosen. Pocahontas hatte ihr Interesse geweckt, weil die Häuptlingstochter im damaligen Disney-Film als mutige Heldin dargestellt wurde. Aber das Ergebnis ist das gleiche: ein Kostüm, das nach unten tritt. „Indianerkostüme“werden deshalb heute zu Recht nicht mehr gern gesehen.
Das Gefühl, dass an dieser positiven Kindheitserinnerung etwas falsch gewesen sein sollte, war mir unangenehm. Ich erinnerte mich, wie schön ich mich im bunten Sari fühlte. Oder ging ich einem bekannten psychologischen Phänomen auf den Leim, indem ich die vermeintlich gute alte Zeit verherrlichte? Vermutlich hätte ich das Faschingsfest in einem anderen Kostüm genauso toll gefunden.
Heutzutage hört man häufig, dass Kostüme, die fremde Kulturen darstellen, das Interesse von Kindern an diesen wecken würden. Ich weiß, dass ich damals stolz war, etwas Authentisches von weit weg in die recht homogene Volksschulklasse eines Wiener Außenbezirks zu bringen. Aber hatten wir über die Bedeutung des Bindi gesprochen? In der hinduistischen Tradition symbolisiert es unter anderem Frömmigkeit und das innere Auge. Ich bin ziemlich sicher, dass ich das damals nicht gewusst habe.
„Ich bin kein Kostüm“war der Slogan einer Plakatkampagne, die der deutsche Antidiskriminierungsverband, gefördert von der Linken, 2017 veröffentlichte. Zu sehen ist etwa eine schwarze Frau, daneben eine Person im „Afrikanerin“-Kostüm. In den sozialen Medien machte man sich damals über die Kampagne lustig: Es „beschwert“sich unter anderem eine Katze über ein Katzenkostüm. Im ersten Moment brachte mich das zum Schmunzeln. Aber natürlich ist es ein Unterschied, ob man die Identität historisch unterdrückter Menschen annimmt oder die eines beliebten Haustiers.
Sucht man im Internet nach „Österreicherin“oder „Österreicher“-Kostüm, schlägt Google Trachten, kaiserliche Gewänder oder eine Uniform vor. Von keinem dieser Outfits fühlte ich mich akkurat repräsentiert. Besonders schlimm fand ich das nicht, witzig allerdings ebenso wenig.
Online entdeckte ich auch das Kostüm „orthodoxer Jude“. Bart, Schläfenlocken, Hut. Würde das jemand tragen, der keinen Bezug zum Judentum hat, empfände ich das als antisemitisch. Denn anders als beim „Österreicher“-Kostüm gibt es hier eine Geschichte des Spotts und der Verfolgung.
Vielleicht, dachte ich, erwarten wir ja vom Karneval gleichzeitig zu viel und zu wenig. Es ist eine christliche Tradition, die traditionell Gelegenheit bietet, die Rollen zu vertauschen. Doch der Sinn davon war stets auch, gesellschaftliche Verhältnisse einzuzementieren. Ganz ohne Klischees geht es deshalb nicht. Zugleich sind die Kostüme immer ein Spiegel der Gesellschaft – auch und gerade dann, wenn sich diese ändert. Gut so.
Kostüme sind immer ein Spiegel der Gesellschaft – gerade auch dann, wenn sie sich ändert.