Die Gefahr, dass die Bauernproteste missdeutet werden
Warum die Landwirte europaweit seit Wochen auf die Straße gehen.
Zu Recht gehen seit mehreren Wochen Bauern auf die Straße. Die Kombination einer prekären Einkommenssituation, exzessiver Bürokratie, steigender Produktionsauflagen und sinkender öffentlicher Unterstützung hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Wir riskieren, Bauern nicht richtig zuzuhören und falsche Schlüsse zu ziehen, was desaströse Folgen für die Gesellschaft hätten.
Der sich aktuell entladene Frust hat sich schon lang aufgebaut und ist stark vom Gefühl geprägt, dass die nicht landwirtschaftliche Bevölkerung kein Verständnis für die Arbeit der Bauern hat. Produkte müssen billig bleiben, aber gleichzeitig höchsten Umwelt- und Tierwohlstandards entsprechen. Öffentliche Zahlungen werden reduziert und mit zusätzlichen, umfangreichen und komplizierten Auflagen verbunden. Zusätzlich fließen Agrargüter mit geringeren Produktionsstandards ohne Zolltarif in die EU und ziehen den Binnenmarktpreis nach unten.
Die Europäische Kommission, die glaubt, die Ernsthaftigkeit erkannt zu haben, schlägt zwei Maßnahmen vor: a) Sie möchte die Zolltarife auf Hühner, Eier und Zucker aus der Ukraine anheben; b) Bauern sollen weiterhin keine Bracheflächen für den Erhalt von Ausgleichszahlungen anlegen müssen. Während der erste Entlastungsvorschlag zu kurz greift, weil die wesentlichsten Importgüter Getreide und Ölsaaten darstellen, trägt der Zweite nichts zur Lösung des eigentlichen Problems bei.
Entzauberte Berhauptungen
Im Gegenteil, die Politik läuft Gefahr, den Versprechungen einer konventionell-industriellen Interessenvertretung auf den Leim zu gehen, bei der die Produktion auf Kosten des Umweltschutzes abgeschirmt wird. Diese Versprechungen entzaubern die Behauptungen dieser Lobby, ernsthaft Biodiversitätsschutz betreiben zu wollen, und zeigt gleichzeitig, dass der verlässlichste Garant für Artenvielfalt in der Landwirtschaft der Biologische Landbau ist. Denn dieser produziert, wie kürzlich Studien wieder belegt haben, Biodiversität nicht nur auf den Brache- und Biodiversitätsflächen (1/3 der Biodiversitätsflächen wird von den Biobauern in Österreich zur Verfügung gestellt), sondern auf allen Bioflächen. Biodiversitätsflächen multiplizieren diesen Flächeneffekt, können diesen aber nie ersetzen.
Realitätsferne Auflagen
Hört man den Bauern richtig zu, wird deutlich, dass die Abgeltung landwirtschaftlicher Leistungen deren Hauptanliegen ist. Doch öffentliche Gelder haben sich seit den 2000er-Jahren verringert. Bei zeitgleicher Inflation ist das verheerend für einen Sektor, dessen Einkommen zu 60 Prozent aus der öffentlichen Hand stammt.
Gleichzeitig hat die Politik nicht verstanden, dass die Unmenge an Auflagen zum Erhalt dieser Ausgleichszahlungen realitätsfremd ist. Diese Auflagen zu vereinfachen wäre unmittelbar möglich und hilft direkt. Denn die Unsummen von Klauseln, Bedingungen, Ausnahmen und Übergangsbestimmungen birgt für die Bauern ein irrsinniges Frustpotenzial.
Der Marktmacht des Lebensmittelhandels etwas entgegenzuhalten und dem dadurch entstehenden Preisdruck auf die Produzenten sind weitere Themen, bei denen man sich nicht die Finger verbrennen möchte. Dabei könnte durch Anreize und Entlastungen für klein- und mittelständige Lebensmittelhändler wieder Vielfalt in diesem Sektor entstehen.
Somit ist klar, dass das Streichen der vier Prozent Bracheverpflichtung eine Nebelgranate ist. Diese hilft ausschließlich extrem intensiv wirtschaftenden Betrieben, bietet den Bauern jedoch keine Perspektive und schadet der Biodiversität.