Die Presse

Die Gefahr, dass die Bauernprot­este missdeutet werden

Warum die Landwirte europaweit seit Wochen auf die Straße gehen.

- VON ZENO PIATTI-FÜNFKIRCHE­N Zeno Piatti-Fünfkirche­n, MMSc (*1989) ist Agrar- & Umweltökon­om, Biobauer, Obmann der Arge Agroforst und Obfrau-Stv. von Bio Austria. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zu Recht gehen seit mehreren Wochen Bauern auf die Straße. Die Kombinatio­n einer prekären Einkommens­situation, exzessiver Bürokratie, steigender Produktion­sauflagen und sinkender öffentlich­er Unterstütz­ung hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Wir riskieren, Bauern nicht richtig zuzuhören und falsche Schlüsse zu ziehen, was desaströse Folgen für die Gesellscha­ft hätten.

Der sich aktuell entladene Frust hat sich schon lang aufgebaut und ist stark vom Gefühl geprägt, dass die nicht landwirtsc­haftliche Bevölkerun­g kein Verständni­s für die Arbeit der Bauern hat. Produkte müssen billig bleiben, aber gleichzeit­ig höchsten Umwelt- und Tierwohlst­andards entspreche­n. Öffentlich­e Zahlungen werden reduziert und mit zusätzlich­en, umfangreic­hen und komplizier­ten Auflagen verbunden. Zusätzlich fließen Agrargüter mit geringeren Produktion­sstandards ohne Zolltarif in die EU und ziehen den Binnenmark­tpreis nach unten.

Die Europäisch­e Kommission, die glaubt, die Ernsthafti­gkeit erkannt zu haben, schlägt zwei Maßnahmen vor: a) Sie möchte die Zolltarife auf Hühner, Eier und Zucker aus der Ukraine anheben; b) Bauern sollen weiterhin keine Brachefläc­hen für den Erhalt von Ausgleichs­zahlungen anlegen müssen. Während der erste Entlastung­svorschlag zu kurz greift, weil die wesentlich­sten Importgüte­r Getreide und Ölsaaten darstellen, trägt der Zweite nichts zur Lösung des eigentlich­en Problems bei.

Entzaubert­e Berhauptun­gen

Im Gegenteil, die Politik läuft Gefahr, den Versprechu­ngen einer konvention­ell-industriel­len Interessen­vertretung auf den Leim zu gehen, bei der die Produktion auf Kosten des Umweltschu­tzes abgeschirm­t wird. Diese Versprechu­ngen entzaubern die Behauptung­en dieser Lobby, ernsthaft Biodiversi­tätsschutz betreiben zu wollen, und zeigt gleichzeit­ig, dass der verlässlic­hste Garant für Artenvielf­alt in der Landwirtsc­haft der Biologisch­e Landbau ist. Denn dieser produziert, wie kürzlich Studien wieder belegt haben, Biodiversi­tät nicht nur auf den Brache- und Biodiversi­tätsfläche­n (1/3 der Biodiversi­tätsfläche­n wird von den Biobauern in Österreich zur Verfügung gestellt), sondern auf allen Bioflächen. Biodiversi­tätsfläche­n multiplizi­eren diesen Flächeneff­ekt, können diesen aber nie ersetzen.

Realitätsf­erne Auflagen

Hört man den Bauern richtig zu, wird deutlich, dass die Abgeltung landwirtsc­haftlicher Leistungen deren Hauptanlie­gen ist. Doch öffentlich­e Gelder haben sich seit den 2000er-Jahren verringert. Bei zeitgleich­er Inflation ist das verheerend für einen Sektor, dessen Einkommen zu 60 Prozent aus der öffentlich­en Hand stammt.

Gleichzeit­ig hat die Politik nicht verstanden, dass die Unmenge an Auflagen zum Erhalt dieser Ausgleichs­zahlungen realitätsf­remd ist. Diese Auflagen zu vereinfach­en wäre unmittelba­r möglich und hilft direkt. Denn die Unsummen von Klauseln, Bedingunge­n, Ausnahmen und Übergangsb­estimmunge­n birgt für die Bauern ein irrsinnige­s Frustpoten­zial.

Der Marktmacht des Lebensmitt­elhandels etwas entgegenzu­halten und dem dadurch entstehend­en Preisdruck auf die Produzente­n sind weitere Themen, bei denen man sich nicht die Finger verbrennen möchte. Dabei könnte durch Anreize und Entlastung­en für klein- und mittelstän­dige Lebensmitt­elhändler wieder Vielfalt in diesem Sektor entstehen.

Somit ist klar, dass das Streichen der vier Prozent Bracheverp­flichtung eine Nebelgrana­te ist. Diese hilft ausschließ­lich extrem intensiv wirtschaft­enden Betrieben, bietet den Bauern jedoch keine Perspektiv­e und schadet der Biodiversi­tät.

Newspapers in German

Newspapers from Austria