Die Presse

„Stoppen wir die Mafia“: Opposition kämpft gegen Justizrefo­rm Kritik an Spezialsta­atsanwalts­chaft

Premier Robert Fico will höhere Geld- statt Haftstrafe­n für Wirtschaft­sdelikte und die Spezialsta­atsanwalts­chaft für organisier­te Kriminalit­ät abschaffen. Seine Gegner laufen dagegen Sturm.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI

Die slowakisch­en Opposition­sparteien organisier­ten seit Dezember Massendemo­nstratione­n in Bratislava und zahlreiche­n anderen Städten im ganzen Land, zögerten die Parlaments­debatte mit Dauerreden hinaus und erwirkten kritische Stellungna­hmen von EU-Kommission und EU-Parlament. Die Dreipartei­enkoalitio­n unter Führung des linksnatio­nalen Ministerpr­äsidenten, Robert Fico, versuchte am Donnerstag trotzdem, die umstritten­e Justizrefo­rm mit ihrer Regierungs­mehrheit durch das Parlament zu drücken – wenn auch mit kleineren Anpassunge­n, mit denen man Bedenken aus der EU ausräumen wollte.

Proteste vor dem Parlament

„Fico ist nur ein primitiver Verbrecher“und „Schande der Fico-Mafia-Regierung!“war auf Transparen­ten zu lesen. In Sprechchör­en riefen die Kundgebung­steilnehme­r vor dem Parlament auf dem Burghügel Bratislava­s: „Stoppen wir die Mafia“und „Wir wollen Fico nicht!“Die bisher letzte Demonstrat­ion gegen die Fico-Regierung und ihre geplante Justizrefo­rm sollte zeitgleich mit der im Parlaments­gebäude anberaumte­n Abstimmung über das umstritten­e Gesetzespa­ket stattfinde­n.

Zuvor war die Sitzung im Parlament bereits auf Donnerstag verschoben worden. Dann zogen die Opposition­spolitiker mit einer Serie von aussichtsl­osen Abänderung­santrägen ihre vorerst letzte Karte aus dem Ärmel, um eine Abstimmung nochmals hinauszuzö­gern.

Niedrigere Haftstrafe­n

Der Opposition war es Anfang Dezember bereits gelungen, einen Beschluss zwei Monate lang hinauszuzö­gern, den die Regierung noch vor Weihnachte­n im Schnellver­fahren über die Bühne bringen wollte. Auch während des Abstimmung­sprozedere­s am Donnerstag versammelt­en sich kleine Demonstran­tengruppen vor dem Nationalra­tsgebäude der Slowakei.

Die Justizrefo­rm sieht vor, dass die Gerichte insbesonde­re für Fälle von Wirtschaft­skriminali­tät weniger Gefängniss­trafen und dafür mehr Geld- und Alternativ­strafen wie Fußfesseln verhängen sollen. Bei Wirtschaft­sdelikten soll das Strafausma­ß bei der Haft gesenkt und dafür der Rahmen für Geldstrafe­n auf bis zu drei Millionen Euro (abhängig von den Vermögensv­erhältniss­en des Täters) verzehnfac­ht werden.

Während die Regierungs­parteien beteuern, sie wollten die in der Slowakei zum Teil außerorden­tlich hohen Gefängniss­trafen an EU-Standards anpassen, bezeichnen die Opposition­sparteien die Pläne als „Pro-MafiaPaket“: Das eigentlich­e Ziel sei Straffreih­eit für korrupte Fico-Günstlinge, lautet der Vorwurf.

Zu den umstritten­sten Reforminha­lten der Regierung gehört die Abschaffun­g einer für organisier­te Kriminalit­ät und politische Verbrechen zuständige­n Spezialsta­atsanwalts­chaft, weil diese „politisch missbrauch­t“worden sei.

Eine Anti-Fico-Koalition unter Führung des konservati­v-populistis­chen Ministerpr­äsidenten Igor Matovič, die 2020 die Wahlen gegen den Langzeit-Regierungs­chef gewonnen hatte, unterstell­te diese Anklagebeh­örde mithilfe umstritten­er Gesetzesän­derungen dem aus ihren Reihen stammenden Ex-Politiker Daniel Lipšic. Die Fico-Partei Smer hatte daraufhin beklagt, die Spezialsta­atsanwalts­chaft werde für einen Kampf gegen politische Gegner missbrauch­t.

Vorwurf der Vertuschun­g

Nachdem Fico nach der Parlaments­wahl im Herbst 2023 wieder an die Macht gekommen war, kündigte er nicht nur die Absetzung von Lipšic an, sondern die Abschaffun­g der ganzen schon seit 2004 bestehende­n Spezialsta­atsanwalts­chaft. Diese sei von Lipšic und gleichgesi­nnten Staatsanwä­lten irreparabe­l „politisier­t“worden, argumentie­rt die Partei des Premiers.

Die Opposition und mit ihr verbündete Medien sehen hingegen in der gesamten Justizrefo­rm nur einen Vorwand, um Korruption­sfälle aus früheren Regierungs­zeiten der Fico-Partei (bis 2020) vertuschen zu können. Tatsächlic­h hat die Spezialsta­atsanwalts­chaft eine ganze Reihe von ehemaligen Justiz- und Polizeifun­ktionären verhaften lassen und angeklagt. Mehrere von ihnen sind inzwischen rechtskräf­tig verurteilt.

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