EU schlägt ihren Grünen Deal kurz und klein
Vor vier Jahren wurde das Ziel der Dekarbonisierung Europas zur „Mondmission“geadelt. Eine Pandemie, einen russischen Angriffskrieg und einen Bauernaufstand später ist die Zukunft dieses European Green Deal ungewiss.
Am 11. Dezember 2019 griffen Ursula von der Leyens Redenschreiber ganz tief in die Pathoskiste. „Der Europäische Grüne Deal ist unsere Vision für einen klimaneutralen Kontinent im Jahr 2050“, sprach die Präsidentin der Europäischen Kommission. „Heute ist der Beginn einer Reise. Das ist Europas Mann-auf-dem-MondMoment.“
Vier Jahre und drei Monate später ist es höchst ungewiss, ob die europäische Klima-Mondrakete die Erdumlaufbahn verlassen wird. Denn von den 50 Maßnahmen, die von der Leyen damals zwecks Erreichung der Dekarbonisierung Europas angekündigt hatte, wurden einige zurückgestutzt, andere auf die lange Bank geschoben – und nicht wenige ersatzlos gestrichen.
Gelöbnisse statt Pflichten
Allein in der vergangenen Woche zog die Kommission von der Leyens den Schlussstrich unter ein ehrgeiziges umweltpolitisches Vorhaben: die Halbierung des Einsatzes von Pestiziden in der Landwirtschaft bis zum Jahr 2030.
Am selben Tag legte ihre Kommission den Vorschlag für die Ziele zur Emissionsreduktion bis zum Jahr 2040 vor: eine wichtige Etappe auf dem Weg zum großen Endziel, im Jahr 2050 netto nicht mehr zum Klimawandel beizutragen. Um 90 Prozent sollten die Emissionen der EU in den nächsten 16 Jahren sinken, verglichen mit dem Basisjahr 1990. Derzeit, also nach 34 Jahren, hat Europa nur etwas mehr als ein Drittel dieser Reduktionen erreicht. Wie sich nun in kürzerer Zeit eine
wesentlich größere Emissionssenkung ausgehen soll, ist fraglich. Zumal der Kommissionsvorschlag kein Gesetzesakt ist, sondern bloß eine Mitteilung.
Auch in anderen Bereichen stieg die Kommission von ihren einstigen hohen Ambitionen herab. Die Farm-to-Fork-Strategie (welche die landwirtschaftliche Produktion „vom Acker bis zum Teller“durchgehend nachhaltiger gestalten soll
te), wurde bis zur Unkenntlichkeit entschärft. Das Muster: Wo in den Erstversionen ihrer Dokumente von verbindlichen Zielen die Rede war, blieben am Ende meist nur unverbindliche Willensbekundungen übrig. Die Reform der Chemikalienregulierung, ebenfalls als Teil des Grünen Deals angekündigt, wurde komplett gestrichen.
Und selbst bei den Gesetzesakten, über die sich die Verhandler des Parlaments und des Rats schon geeinigt hatten, kam es immer wieder im letzten Moment zu Unfällen. Und zwar in erster Linie wegen der deutschen Bundesregierung, genauer: der FDP, dem kleinsten der drei Ampel-Koalitionspartner. Die war plötzlich gegen das vereinbarte Ende des Verbrennermotors bis zum Jahr 2030 (genauer: der Neuzulassung von Kraftfahrzeugen mit solch konventionellem Antrieb).
Mit großer Mühe musste ein Zusatz erfunden werden, wonach weiterhin neue Autos, die ausschließlich mit (noch nicht existierenden) synthetischen Kraftstoffen betrieben werden können, neu zugelassen werden können.
Zeitgeist ist nicht mehr grün
Die FDP wiederholt nun diese Behinderungstaktik beim Thema der Emissionsstandards für Lkw. Am Freitag werden die EU-Botschafter versuchen, dazu eine qualifizierte Mehrheit zu finden. Wie die deutsche Position aussieht, war tags zuvor unbekannt, hieß es aus dem Rat gegenüber der „Presse“.
Für diese Rücknahme der klimapolitischen Ziele gibt es mehrere Gründe. Pandemie, Russlands Überfall auf die Ukraine und die dadurch verstärkte Inflation sowie zuletzt der Aufstand der Landwirte haben den politischen Konsens über ihre Notwendigkeit untergraben. Aber manche Fehler hat die Kommission schon vor diesen Krisen begangen. Die zuvor erwähnte Pestizidreduktion hätte beispielsweise mehr Chancen gehabt, wenn die Kommission sie nicht erst im Juni 2022 vorgelegt hätte, sondern früher.
Und vor allem rittert von der Leyen um die nötige Mehrheit im Europaparlament. Nur neun Stimmen Überhang hatte sie 2019, und der Zeitgeist wurde damals von den Klimademonstrationen der Fridays for Future bestimmt. Die Grünen werden bei der Europawahl im Juni voraussichtlich stark verlieren, dafür Parteien rechts der Mitte gewinnen. Die haben mit Klimaschutz wenig am Hut. Ob der Grüne Deal eine zweite Amtszeit von der Leyens überleben würde, ist fraglich.