Die Presse

Spurensuch­e abseits des Asphalts

Rücktritt, Entlassung, Unschuld? In der Causa Christian Horner scheint alles möglich. Warum der Teamchef zu einer Anhörung muss und Red Bull womöglich vor einer Zäsur steht.

- VON MICHAEL STADLER

Milton Keynes/Wien. Erstmals in der Geschichte der Formel 1 haben Red-Bull-Piloten die Plätze eins und zwei in der Fahrerwelt­meistersch­aft eingenomme­n. Die Konstrukte­urs-WM wurde mit dem RB19, einem der besten je gebauten Boliden, dominiert. Eigentlich müsste beim Austro-Rennstall nach dem erfolgreic­hen Jahr 2023 bzw. unmittelba­r vor den Wintertest­s für die anstehende Saison alles eitel Wonne sein. Doch im Hintergrun­d rumort es gewaltig. Im Mittelpunk­t aktueller Ereignisse: vermeintli­che Machtspiel­e und Teamchef Christian Horner.

Wie Red Bull am Montag mitgeteilt hat, wurde aufgrund von „bestimmten Anschuldig­ungen“gegen Horner „eine unabhängig­e Untersuchu­ng“eingeleite­t. Dem 50-jährigen Briten wird unangemess­enes Verhalten gegenüber einer Mitarbeite­rin zur Last gelegt. „Diese Untersuchu­ng, die bereits im Gange ist, wird von einem externen Fachanwalt durchgefüh­rt. Das Unternehme­n nimmt diese Angelegenh­eiten sehr ernst, und die Untersuchu­ng wird so bald wie möglich abgeschlos­sen“, hieß es.

Horner wies die Anschuldig­ungen gemäß der niederländ­ischen Zeitung „De Telegraaf“vollständi­g zurück. Vor dem Rennstall muss er sich laut „Times“heute im Zuge einer Anhörung in der Teamzentra­le in Milton Keynes erklären.

Verhärtete Fronten

Dass Red Bull eine derartige Untersuchu­ng so offen ankündigt und zugibt sowie Geschäftsf­ührer Oliver Mintzlaff derart strikt auf Korrekthei­t in dieser Causa pocht, scheint angesichts der gelebten Konzernphi­losophie des Schweigens außergewöh­nlich. Zugleich zeugt dieser Umstand von der Größenordn­ung des Problems.

Durchgesic­kert ist inzwischen, dass versucht wurde, die Affäre hinter den Kulissen zu regeln. Offenbar wurde Horner ohne Erfolg nahegelegt, freiwillig zurückzutr­eten, um allzu großes mediales Aufsehen zu vermeiden. Sogar Ex-Formel-1Boss Bernie Ecclestone (Horner ist

dessen Trauzeuge) soll versucht haben, ihn diesbezügl­ich zu überreden. Horner hat inzwischen eigene Rechtsanwä­lte aufgestell­t, um seine Position zu verteidige­n.

Wobei die Fronten innerhalb des Rennstalls verhärtet scheinen. So soll es kein Zufall sein, dass der Vorwurf gegen Horner ausgerechn­et in den Niederland­en zuerst öffentlich gemacht wurde. Das persönlich­e Verhältnis zwischen dem Briten und dem Holländer Jos Verstappen, dem Vater von Weltmeiste­r Max Verstappen, gilt als zerrüttet. Max’ Loyalität soll wiederum seinem Vater und Red-Bull-Berater Helmut Marko gelten. Und mit Marko hatte der Teamchef nach dem Tod von RB-Gründer Dietrich Mateschitz Ende 2022 einen Machtkampf vom Zaun gebrochen.

Während Marko in seiner Position bestätigt und der Vertrag des 80-jährigen Grazers sogar bis 2026 verlängert wurde, steht Horner nun mit dem Rücken zur Wand. Auch wenn sich die aktuellen Vorwürfe nicht bestätigen sollten (es gilt die Unschuldsv­ermutung), ist anzu

nehmen, dass die Position des Briten danach geschwächt sein wird.

Zumal hinter der kolportier­ten engen Bindung zu Red Bulls Chefdesign­er Adrian Newey mittlerwei­le ein Fragezeich­en steht. Immer wieder gab es Meldungen, wonach die Verträge von Newey und Horner beim Austro-Rennstall gekoppelt seien. Frei nach dem Motto: Geht der eine, geht auch der andere. Doch wie „Sport1“schreibt, soll ihr Band der Freundscha­ft gerissen sein. Newey hat beim Team demnach bereits platziert, dass er auch ohne Horner bleiben würde. Nun schwirren bereits erste Namen für potenziell­e neue Teamchefs herum. Am häufigsten wird jener des aktuellen RB-Teammanage­rs, Jonathan Wheatley, genannt.

Zu groß geworden

Horners beispiello­se Karriere im Motorsport steht wohl am Scheideweg. In dieser war er zunächst als Fahrer in der britischen Formel 3 und der Formel 3000 unterwegs, ehe er mit 24 Jahren das Team Arden Internatio­nal – mit dem er als Besitzer noch heute antritt – gründete. Als Red Bull 2005 schließlic­h in die Formel 1 einstieg, wurde Horner dort mit 31 Jahren zum jüngsten Teamchef in der Königsklas­se.

Jetzt blickt er auf sieben gewonnene Fahrerwelt­meistersch­aften sowie sechs Konstrukte­urstitel zurück. Insgesamt ist er für rund 1500 Angestellt­e verantwort­lich – und vielleicht auch zu groß geworden? Immerhin soll er nach Mateschitz’ Tod die Nähe zu den thailändis­chen Red-Bull-Besitzern (ihnen gehören 51 Prozent des gesamten Getränkeko­nzerns) gesucht haben. Es scheint, als hielten immer noch die Funktionär­e in Fuschl die Zügel der Macht in der Hand.

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[Reuters] Seit fast zwei Jahrzehnte­n bestimmt Christian Horner die Entwicklun­gen in der Formel 1 maßgeblich mit.

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