Spurensuche abseits des Asphalts
Rücktritt, Entlassung, Unschuld? In der Causa Christian Horner scheint alles möglich. Warum der Teamchef zu einer Anhörung muss und Red Bull womöglich vor einer Zäsur steht.
Milton Keynes/Wien. Erstmals in der Geschichte der Formel 1 haben Red-Bull-Piloten die Plätze eins und zwei in der Fahrerweltmeisterschaft eingenommen. Die Konstrukteurs-WM wurde mit dem RB19, einem der besten je gebauten Boliden, dominiert. Eigentlich müsste beim Austro-Rennstall nach dem erfolgreichen Jahr 2023 bzw. unmittelbar vor den Wintertests für die anstehende Saison alles eitel Wonne sein. Doch im Hintergrund rumort es gewaltig. Im Mittelpunkt aktueller Ereignisse: vermeintliche Machtspiele und Teamchef Christian Horner.
Wie Red Bull am Montag mitgeteilt hat, wurde aufgrund von „bestimmten Anschuldigungen“gegen Horner „eine unabhängige Untersuchung“eingeleitet. Dem 50-jährigen Briten wird unangemessenes Verhalten gegenüber einer Mitarbeiterin zur Last gelegt. „Diese Untersuchung, die bereits im Gange ist, wird von einem externen Fachanwalt durchgeführt. Das Unternehmen nimmt diese Angelegenheiten sehr ernst, und die Untersuchung wird so bald wie möglich abgeschlossen“, hieß es.
Horner wies die Anschuldigungen gemäß der niederländischen Zeitung „De Telegraaf“vollständig zurück. Vor dem Rennstall muss er sich laut „Times“heute im Zuge einer Anhörung in der Teamzentrale in Milton Keynes erklären.
Verhärtete Fronten
Dass Red Bull eine derartige Untersuchung so offen ankündigt und zugibt sowie Geschäftsführer Oliver Mintzlaff derart strikt auf Korrektheit in dieser Causa pocht, scheint angesichts der gelebten Konzernphilosophie des Schweigens außergewöhnlich. Zugleich zeugt dieser Umstand von der Größenordnung des Problems.
Durchgesickert ist inzwischen, dass versucht wurde, die Affäre hinter den Kulissen zu regeln. Offenbar wurde Horner ohne Erfolg nahegelegt, freiwillig zurückzutreten, um allzu großes mediales Aufsehen zu vermeiden. Sogar Ex-Formel-1Boss Bernie Ecclestone (Horner ist
dessen Trauzeuge) soll versucht haben, ihn diesbezüglich zu überreden. Horner hat inzwischen eigene Rechtsanwälte aufgestellt, um seine Position zu verteidigen.
Wobei die Fronten innerhalb des Rennstalls verhärtet scheinen. So soll es kein Zufall sein, dass der Vorwurf gegen Horner ausgerechnet in den Niederlanden zuerst öffentlich gemacht wurde. Das persönliche Verhältnis zwischen dem Briten und dem Holländer Jos Verstappen, dem Vater von Weltmeister Max Verstappen, gilt als zerrüttet. Max’ Loyalität soll wiederum seinem Vater und Red-Bull-Berater Helmut Marko gelten. Und mit Marko hatte der Teamchef nach dem Tod von RB-Gründer Dietrich Mateschitz Ende 2022 einen Machtkampf vom Zaun gebrochen.
Während Marko in seiner Position bestätigt und der Vertrag des 80-jährigen Grazers sogar bis 2026 verlängert wurde, steht Horner nun mit dem Rücken zur Wand. Auch wenn sich die aktuellen Vorwürfe nicht bestätigen sollten (es gilt die Unschuldsvermutung), ist anzu
nehmen, dass die Position des Briten danach geschwächt sein wird.
Zumal hinter der kolportierten engen Bindung zu Red Bulls Chefdesigner Adrian Newey mittlerweile ein Fragezeichen steht. Immer wieder gab es Meldungen, wonach die Verträge von Newey und Horner beim Austro-Rennstall gekoppelt seien. Frei nach dem Motto: Geht der eine, geht auch der andere. Doch wie „Sport1“schreibt, soll ihr Band der Freundschaft gerissen sein. Newey hat beim Team demnach bereits platziert, dass er auch ohne Horner bleiben würde. Nun schwirren bereits erste Namen für potenzielle neue Teamchefs herum. Am häufigsten wird jener des aktuellen RB-Teammanagers, Jonathan Wheatley, genannt.
Zu groß geworden
Horners beispiellose Karriere im Motorsport steht wohl am Scheideweg. In dieser war er zunächst als Fahrer in der britischen Formel 3 und der Formel 3000 unterwegs, ehe er mit 24 Jahren das Team Arden International – mit dem er als Besitzer noch heute antritt – gründete. Als Red Bull 2005 schließlich in die Formel 1 einstieg, wurde Horner dort mit 31 Jahren zum jüngsten Teamchef in der Königsklasse.
Jetzt blickt er auf sieben gewonnene Fahrerweltmeisterschaften sowie sechs Konstrukteurstitel zurück. Insgesamt ist er für rund 1500 Angestellte verantwortlich – und vielleicht auch zu groß geworden? Immerhin soll er nach Mateschitz’ Tod die Nähe zu den thailändischen Red-Bull-Besitzern (ihnen gehören 51 Prozent des gesamten Getränkekonzerns) gesucht haben. Es scheint, als hielten immer noch die Funktionäre in Fuschl die Zügel der Macht in der Hand.