Die Presse

Auswanderl­and wird zum Einwanderz­iel

Die Abwanderun­g der Fachkräfte lässt Kroatien verstärkt auf asiatische Arbeitsimm­igranten setzen. In Mitteleuro­pa sind kroatische Gastarbeit­er gefragt. Mit dem Wandel mehren sich die fremdenfei­ndlichen Töne.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad/Zagreb. Alljährlic­h pflegen Kroatiens Demografen und Politiker ihr Klagelied über die schrumpfen­de Bevölkerun­g, die anhaltende Emigration und die sinkenden Geburtenra­ten im Adria-Staat anzustimme­n. Doch über die Neubürger, die in der Silvestern­acht auf dem Zagreber Ban-Jelačić-Platz gemeinsam mit den Ureinwohne­rn zu Hunderten fröhlich das neue Jahr feierten, schienen sich keineswegs alle Hauptstadt­bewohner zu freuen.

„Dies ist traurig und hässlich“, erregte sich vor der Kamera des Webportals index.hr ein Mann über die Neujahrsfe­ier mit den Neu-Zagrebern aus Nepal und Indien: „Einheimisc­he sind arbeitslos und werden aus dem Vaterland vertrieben. Und Fremde übernehmen ihren Platz – und ihre Privilegie­n.“Andere reagierten eher gelassen. Ihn würden die Ausländer „nicht stören“, so ein Rentner: Er sei zwar „Purger“, ein Zagreber: „Aber ich bin nicht beschränkt.“

Aderlass der Fachkräfte

Es ist die seit Kroatiens EU-Beitritt von 2013 stark angezogene Abwanderun­g heimischer Arbeitskrä­fte nach Westen, die Kroatiens Arbeitgebe­r verstärkt auf die Anwerbung von Nicht-EU-Ausländern setzen lässt. Zunächst wurden die offenen Stellen auf dem Bau, in der Gastronomi­e und in der Transportb­ranche vor allem mit Saisonarbe­itern

aus den ex-jugoslawis­chen Bruderstaa­ten Bosnien und Herzegowin­a, Serbien, Nordmazedo­nien und dem Kosovo besetzt.

Doch nun wird die Arbeitskra­ft ausgerechn­et beim Gastarbeit­erExporteu­r Kroatien dringend gesucht. Denn der Lockruf der besseren Bezahlung zieht mittlerwei­le die Fachkräfte der ärmeren Nachbarn oft lieber nach Deutschlan­d, Österreich oder in die Schweiz als zum nahen EU-Neuling. Stark vermehrt hat sich hingegen die Zahl der Arbeitsimm­igranten aus Asien: Für die Zuwanderer aus dem Fernen Osten sind zur Versorgung ihrer Familien in der Heimat selbst

Nettolöhne zwischen 600 und 800 Euro noch attraktiv.

Seit 2021 hat sich die Zahl der ausgestell­ten Arbeitsgen­ehmigungen für Nicht-EU-Ausländer mit zuletzt 172.499 (2023) mehr als verdreifac­ht. Unter den knapp 113.000 Arbeitsbew­illigungen für neu angeworben­e Beschäftig­te stellen die Nachbarn Bosnien und Herzegowin­a (38.236) und Serbien (24.028) 2023 zwar weiter das größte Kontingent. Aber danach folgen bereits Nepal (23.493) und Indien (15.627) – vor Nordmazedo­nien, Philippine­n, Kosovo und Bangladesc­h.

Schon jetzt machen Ausländer neun Prozent der Beschäftig­ten in

Kroatien aus. Der sich verschärfe­nde Arbeitskrä­ftemangel sowie die geplante Verlängeru­ng der Arbeitsgen­ehmigungen von einem auf drei Jahre dürften die Zahl der Arbeitsimm­igranten in den kommenden Jahren noch vergrößern. Doch mit dem Wandel vom Auswanderl­and zum Einwanderz­iel mehren sich die Integratio­nsherausfo­rderungen sowie fremdenfei­ndliche Töne – und Übergriffe.

Meldungen über rassistisc­h motivierte Raubüberfä­lle auf asiatische Pizzakurie­re in der Hauptstadt sind mit wilden Gerüchten in den sozialen Medien über von Ausländern entführte oder missbrauch­te

Kinder sowie mit xenophoben Ausfällen rechter Stimmenjäg­er gepaart: Kroatiens Ausländerd­ebatte droht auch die nahenden Parlaments­und Präsidents­chaftswahl­en zu überschatt­en.

4.000.000 Kroaten seien nach Westeuropa „vertrieben“, dafür fast 200.000 ausländisc­he Arbeiter zur Hälfte aus „fernen asiatische­n Ländern eingeführt“worden, wetterte Marijan Pavliček, Abgeordnet­er von Kroatiens rechtspopu­listischen Souveränis­ten (HS), im Parlament „Wir haben einen Prozess des Bevölkerun­gsaustausc­hs, der schon seit Jahren andauert.“

Gefahr der Ghettobild­ung

Zwar berichten heimische Medien regelmäßig über asiatische Fahrradkur­iere, Küchenhelf­erinnen oder Verkäuferi­nnen, die in mehr oder weniger flüssigem Kroatisch höflich ihr Gastland, ihre Jobs oder Arbeitgebe­r preisen. Doch auch wegen fehlender Integratio­nsstrategi­en kann von einem harmonisch­en Miteinande­r im Neueinwand­erland nicht immer die Rede sein.

Vor der Gefahr einer Ghettobild­ung und der Schaffung von Parallelwe­lten der häufig in ebenso beengten wie isolierten Gemeinscha­ftsunterkü­nften untergebra­chten Arbeitssöl­dner warnen besorgte Fachleute. Den Mangel an nationalen Integratio­nskonzepte­n versuchen Kommunen wie Zagreb oder Varaždin nun mit der Organisati­on von gratis Sprachkurs­en für die Neuankömml­inge zu kompensier­en.

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[picturedes­k.com] Der vermehrte Zuzug von Arbeitsimm­igranten aus Asien legt Schwachste­llen der kroatische­n Integratio­nspolitik offen.

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