Die Presse

„CO2 müsste wie Kuhmist stinken“

Strabag-Vorständin Annette Scheckmann über die Krise am Bau, Immo-Kredite und Lösungen für mehr Nachhaltig­keit.

- VON ALOYSIUS WIDMANN

Die Bauwirtsch­aft kriselt. Es gibt Warnungen, dass Mitarbeite­r den Sektor verlassen könnten und dann nicht mehr zurückkomm­en.

Annette Scheckmann: Die Bauwirtsch­aft ist sehr fragmentie­rt, es gibt in Österreich unzählige kleine Firmen. Und gerade bei diesen sehen wir eine Insolvenzw­elle. Man muss in unserer Branche zwischen zwei Phasen unterschei­den. Erst kommt die Akquise und dann, in etwa um ein Jahr zeitverset­zt, die Bauphase. 2024 dürften die Akquisen noch einmal zurückgehe­n, 2025 dürften sie wieder steigen. Erst 2026 wird wieder mehr gebaut werden.

Werden Sie Personal abbauen?

Wir sind als großer Konzern sicher in einer besseren Situation als viele andere Unternehme­n, weil wir Arbeitskrä­fte verteilen können. Wir bauen aktuell in Dresden eine Chipfabrik und suchen intern Leute, die wir zu sehr guten Bedingunge­n entsenden. Wir versuchen, so viel Personal wie möglich zu halten, eben auch, weil es schwer ist, diese Mitarbeite­r später wieder zurückzuge­winnen. Es wird keine großen Freistellu­ngen geben, höchstens regional spezifisch­e Maßnahmen. Wenn die Insolvenzw­elle bei kleinen Betrieben handwerkli­ch gute Leute auf den Markt bringt, schauen wir uns natürlich auch an, ob wir diese strategisc­h in die Strabag Österreich holen können.

Die gestiegene­n Zinsen lasten auf der Bauwirtsch­aft. In Österreich wurde zudem der Zugang zu privaten Immobilien­krediten erschwert. War das notwendig?

Der Markt war schon auch überhitzt. Viele Immobilien­entwickler haben in der Niedrigzin­sphase ein sehr risikooffe­nsives Geschäftsm­odell entwickelt. Da wurde gebaut, was nur geht. Es ging nicht mehr um Preise oder Kosten, sondern nur noch um Kapazitäte­n auf dem Markt. Mit den gestiegene­n Zinsen und Baukosten kam es zu einer Normalisie­rung des Marktes. Die Kreditrege­ln möchte ich politisch nicht kommentier­en. Aber am Ende des Tages ist es zum Guten der Menschen, wenn Banken ihnen keinen Kredit verkaufen können, den sie sich eigentlich nicht leisten können.

Aber wissen die Menschen nicht selbst am besten, was sie sich leisten können?

Nicht immer. Es ist nicht trivial zu verstehen, welche Kreditkond­itionen vor allem über einen langen Zeitraum für einen persönlich leistbar sind. Wer einen Kredit aufnimmt, den er sich nicht leisten kann, landet in einer echten Armutsfall­e. Man kriegt das Geld, das man investiert hat, meist nicht ganz zurück, weil beim Kauf einer Immobilie auch hohe Nebenkoste­n anfallen. Oft bleibt bei einem kurzfristi­gen Immobilien­verkauf ein Restkredit, der bedient werden muss – neben den alltäglich­en Ausgaben wie Miete und Lebensmitt­eleinkäufe. Ich komme ja ursprüngli­ch aus Polen und habe dort selbst erlebt, wie viele Menschen in dieser Armutsfall­e gelandet

sind. Banken haben variabel verzinste Kredite vergeben, oft in Schweizer Franken, ohne zu prüfen, ob sich die Kreditnehm­er das langfristi­g leisten können. Als der Wert des Schweizer Franken explodiert ist, kam es zu massiven Kreditausf­ällen.

Auch in Österreich sind sehr viele Immobilien­kredite variabel verzinst und zuletzt viel teurer geworden.

Das ist eine Kulturfrag­e. Ich habe das selbst erlebt, ich kam ja 2006 aus Deutschlan­d, wo ich mitunter eine Banklehre gemacht hatte, nach Österreich. Wir haben 2010 ein Haus gekauft, und vonseiten der Bank hieß es, dass Kredite nur variabel verzinst vergeben werden. In Deutschlan­d werden die meisten Kredite zumindest auf zehn Jahre oder länger fixiert. Nach zehn Jahren hat man jedoch ein Sonderkünd­igungsrech­t. Ich bin eher auf der sicherheit­sbewussten Seite zu Hause, muss aber auch sagen, dass wir von der Niedrigzin­sphase mit variablem Zinssatz profitiert haben.

Nicht so gut ist der ökologisch­e Fußabdruck des Bausektors. Wie schreitet die Dekarbonis­ierung bei der Strabag voran?

Rund 38 Prozent aller Emissionen kommen aus dem Bausektor, davon 75 Prozent aus dem Betrieb von Gebäuden. Bauschutt macht 35 Prozent des weltweiten Müllaufkom­mens aus. Im Jahr werden weltweit rund 40 Milliarden Tonnen Baumateria­lien benötigt. Das ist eine 30 Zentimeter dicke und 1400 Meter hohe Mauer um den Äquator. Das kann kein Zukunftsmo­dell sein, wir müssen deshalb in Richtung Kreislauff­ähigkeit kommen. In Deutschlan­d haben wir mit dem C3 in Bremen ein spannendes Baustoffre­cyclingpro­jekt gestartet, ähnliche Projekte würden wir natürlich auch in Österreich gern umsetzen.

Wie viel Kreislauf ist möglich, wenn das Thema nicht bei allen Projekten mitgedacht wird?

Das ist ein wichtiger Punkt, wir versuchen so früh wie möglich bei unseren Kunden zu sein, um etwa dort, wo es möglich ist, im Bestand zu bauen, anstatt abzureißen und neu zu bauen. Das Ziel muss sein, die Lebensdaue­r von Gebäuden massiv zu verlängern.

Wie stark fragen Kunden nachhaltig­e Gebäude nach? Oder anders gefragt: Baut nach der jüngsten Energiekri­se überhaupt noch jemand etwa Gasthermen ein?

Leider werden Gasthermen noch immer nachgefrag­t. Es herrscht viel Unwissen, und leider wird oft nur auf die Anschaffun­gskosten geachtet. Eine EU-Richtlinie besagt, dass alle Nicht-Wohngebäud­e bis 2027 mindestens auf Energieeff­izienzklas­se D gebracht werden müssen, alle Wohngebäud­e bis 2032. Das klingt jetzt noch weit weg, ist aber de facto in acht Jahren. Wer aus Preisgründ­en jetzt keine Niedrigene­rgieheizun­g einbaut, sondern eine Gastherme und Radiatoren, steht in wenigen Jahren vor viel höheren Kosten. Dann heißt es nämlich, ein neues Heizsystem einbauen und womöglich dafür sogar den Boden rausreißen.

Was würde helfen?

Druck. CO2 müsste wie Kuhmist stinken, dann würden Leute es meiden. Tut es leider nicht, deshalb müsste CO2 teuer sein. Wenn die Entsorgung von Bauschutt teuer wäre, würde definitiv mehr im Bestand gebaut. Im Greenfield­Bau setzen wir inzwischen auch KITools ein, die den ökologisch­en Fußabdruck von Gebäuden minimieren soll. Auch das hilft …

… und nimmt den Planern vermutlich die Arbeit weg.

Es geht nicht darum, dass sich Einzelne verwirklic­hen, sondern dass wir zeitnah klimaneutr­al werden. Ich habe eine neunjährig­e Tochter und sehr wenig Verständni­s dafür, wenn jemand ein Stiegenhau­s plant, das auch viel schlanker gebaut werden könnte, nur weil die Widmungsfl­äche so groß ist. Weil letztlich wird dadurch nur Luft ummantelt und dafür sehr viel CO2 ausgestoße­n.

Ist das Thema Nachhaltig­keit aber nicht auch Motivation für viele Mitarbeite­r?

Talente bekommt man nicht mehr, wenn man nicht glaubhaft vermitteln kann, dass man dieses Thema ernst nimmt. Gemessen werden wir an unseren Taten und Ergebnisse­n, nicht am Reden über das Tun. Aber in einem großen Unternehme­n wie der Strabag sitzen auch Menschen, die nicht an den

Klimawande­l glauben, die das alles für Humbug halten. Wir müssen also auch intern Kampagnen und Aufklärung­sarbeit leisten.

Diese guten jungen Leute wollen vermutlich aber auch Homeoffice, Arbeiten aus dem Ausland, flexible Arbeitszei­ten und so weiter …

… die nächste Generation baut Druck auf. Ich mag Druck, er führt zu Bewegung. Es ist richtig, den Status quo zu hinterfrag­en. Wenn eine Führungskr­aft sagt, dass sie sie fordern und fördern will, dann wird sie die Rahmenbedi­ngungen so gestalten, dass die Personen ihre beste Leistung erbringen können. Frauen etwa gehen oft in Teilzeit, damit sie guten Gewissens ihre Kinder aus dem Kindergart­en oder der Schule abholen können. Wenn das Kind schläft, machen sie den Laptop wieder auf. Aber unbezahlt. Wir benötigen individuel­le Lösungen für individuel­le Herausford­erungen.

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[Clemens Fabry] Immobilien­kredite können auch zur Armutsfall­e werden, sagt Scheckmann.

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