Die Presse

Schon wieder Rekord in der Kernfusion!

Der Weg zur effiziente­n Energiegew­innung ist steinig, aber mit Erfolgsmel­dungen gepflaster­t.

- VON THOMAS KRAMAR

Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden“, sagte der Schwimmer Mark Spitz, nachdem sein Kollege Michael Phelbs seinen Rekord – siebenmal Gold bei den Olympische­n Sommerspie­len 1972 in München – gebrochen hatte, indem er bei den Spielen in Peking acht Goldmedail­len erschwamm. Das war 2008, also nach immerhin 36 Jahren. In der Kernfusion geht’s deutlich schneller.

„Rekordbrec­hende 59 Megajoule an anhaltende­r Fusionsene­rgie demonstrie­ren das Potenzial der Fusion“, ließen die Forscher und Ingenieure am Joint European Torus (JET) in Oxford am 9. Februar 2022 verlautbar­en. Die britische Fachzeitsc­hrift „Nature“schrie unisono: „Nuclear-fusion reactor smashes energy record.“Kaum zwei Jahre später, am 8. Februar 2024, ist es wieder so weit: Das Max-Planck-Institut für Plasmaphys­ik (IPP) in Garching

bei München verkündet einen „Weltrekord bei der Energieerz­eugung“: 69 Megajoule!

Hat München also nukleartec­hnisch Oxford geschlagen? Nein. Beide Rekorde wurden in Oxford im JET erzielt. Das ist nämlich ein seit 1973 laufendes Projekt der Europäisch­en Atomgemein­schaft, an dem Institute aus mehreren europäisch­en Ländern teilnehmen, darunter das IPP.

Nun weiß man aus der Wirtschaft, dass eine anständige Branche jedes Jahr einen Umsatzreko­rd melden muss, schließlic­h läuft ihr die Inflation davon. Kernenergi­e unterliegt im Gegensatz zu Geld – hoffentlic­h – keiner Inflation. Auffällig ist aber, dass in der Rekordmeld­ung von 2022 nicht stand, aus wie viel Masse die Energie gewonnen wurde. 2024 schon: 0,2 Milligramm „Brennstoff“, gemeint sind wohl die Wasserstof­fisotope Deuterium und Tritium, die zu Helium verschmelz­en. Das IPP erläutert: „Für die gleiche Energiemen­ge hätte es etwa zwei Kilogramm Braunkohle gebraucht – rund zehn Millionen Mal so viel.“

Der Vergleich ist wirksam, aber unfair. Die Braunkohle wird gemeinhin verbrannt, also in einer chemischen Reaktion mit Sauerstoff umgesetzt. Mit den Atomkernen in ihr passiert nichts. Und Reaktionen von Atomkernen, bei denen die starke Kraft eine Rolle spielt, haben es nun einmal an sich, dass bei ihnen wesentlich größere Energiemen­gen entstehen als bei chemischen Reaktionen, bei denen „nur“die elektromag­netische Kraft mitwirkt.

Erfreulich immerhin, dass das IPP klar schreibt, dass auch beim aktuellen Experiment mehr Energie hineingest­eckt wurde, als herausgeko­mmen ist. Dass also die Kernfusion noch weit davon entfernt ist, zur Energiepro­duktion zu dienen. (Auf Erden, in der Sonne funktionie­rt sie ganz gut und versorgt uns mit viel Energie.) Wie lang es dauern wird? Seit 50 Jahren immer 30 Jahre von heute an, sagen böse Zungen. Mit einigen weiteren Rekordbrüc­hen auf dem Weg ist jedenfalls zu rechnen.

Der Vergleich mit Braunkohle ist unfair: Diese wird gemeinhin verbrannt, den Atomkernen passiert nichts.

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