Adolf H. spukt 79 Jahre nach dem Tod noch immer durch die Politik
Warum die Nazi-Ära aus dem Grab heraus noch immer stark die heutige Politik deutscher Regierungen beeinflusst, und warum das eine zweischneidige Sache ist.
Auf die Frage, ob die neuerdings so erfolgreiche rechtsextreme AfD wirklich so eine große Gefahr für die deutsche Demokratie sei, dass Massendemos gegen sie notwendig sind, antwortete jüngst der frühere Außenminister Joschka Fischer: „Es wurden schon einmal eine solche Partei und ihr Führer gnadenlos unterschätzt. Und es war eben Deutschland. Es war nicht Frankreich, es war nicht Großbritannien. Es war bei uns. Wir sind in Deutschland. Und wir haben eine besondere Geschichte. Eine, die schmerzt bis auf den heutigen Tag.“
Nun muss man kein Fan der AfD sein, um daran zu zweifeln, dass deren Spitzenkandidatin, Alice Weidel, sozusagen eine Wiedergängerin Adolf
Hitlers ist und ihre Partei eine
Art Kopie der NSDAP im Digitalzeitalter darstellt. Insofern ist die Parallele etwas derb geraten. Trotzdem ist Fischers Argument teilweise nachvollziehbar: Dass es in Deutschland oder auch Österreich eine andere Sensibilität in diesen Dingen gibt oder geben sollte, folgt einer historischen Logik, gegen die nichts einzuwenden ist.
Leider, und dieses Problem wird gern weitläufig umfahren, führt diese „besondere Geschichte“, die „schmerzt bis auf den heutigen Tag“, aber immer wieder in zentralen Bereichen der Politik zu Ergebnissen, die zwar im Lichte dieser Geschichte erklärbar sind, dadurch aber nicht besser werden. Bis heute ist eine Art „Nazi-Komplex“eine treibende Kraft der deutschen Politik und führt dort immer wieder zu wenig rationalem Agieren.
Besonders sichtbar wird das in der Migrationspolitik der offenen Tür seit 2015, die auch als Versuch der politischen Eliten Deutschlands gelesen werden kann, den Millionen Opfern des NS-Regimes nun Millionen von Geretteten gegenüberzustellen und so die kollektive Moral-Bilanz der Deutschen vor der Geschichte auszugleichen. Ein leider wenig tauglicher Versuch. „Selbst wenn Jahrzehnte dazwischen liegen, kann man nicht Millionen Juden töten und später dann Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land holen“, formulierte Modezar
Karl Lagerfeld die Konsequenzen dieser geschichtsgetriebenen Politik.
Geschichtsgetrieben ist nicht nur, aber eben auch die Art und Weise, wie Deutschland über Jahrzehnte sein Militär zur Lachnummer degradierte und sich weigerte, innerhalb der EU seinem Gewicht angemessen zu führen – und damit Verantwortung zu übernehmen.
Geschichtsgetrieben ist zweifellos auch das unter Deutschlands Eliten besonders stark ausgeprägte Bedürfnis, den Nationalstaat gleichsam zu überwinden und in einer hypothetischen europäischen Nation aufzugehen – ein Bedürfnis, das Franzosen, Italiener oder Polen deutlich weniger umtreibt. Bis zu einem gewissen Grad als geschichtsgetrieben kann man auch die radikale wie teure und in ihrem Nutzen nicht ganz unumstrittenen deutsche Klimapolitik lesen, die stets mit ihrer „Vorbildfunktion“argumentiert wird: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, eine Form der vermeintlichen Wiedergutmachung früheren deutschen Wütens gegen die Welt.
Nun ist grundsätzlich ja verständlich, dass eine Nation von ihrer Geschichte geprägt wird. Irritierend ist im Fall der deutschen aber die Inbrunst, mit der die Menschen 78 Jahre nach dem Ableben Adolf Hitlers auf dessen Gräuel referenzieren; auch dort, wo durch dieses überproportionale Gewichten der Geschichte heute neuer Schaden entsteht, wie eben in der Migrationspolitik. Und zwar nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa.
Irritierend ist die Inbrunst, mit der die Deutschen noch immer auf die von Adolf Hitler angerichteten Gräuel referenzieren.
Dabei geht es nicht darum, den berüchtigten „Schlussstrich“zu ziehen. Aber es geht darum, einen vernünftigen Ausgleich zu schaffen zwischen den Konsequenzen der von Fischer zitierten „besonderen Geschichte“– und einem angemessen selbstbewussten Vertrauen in den Umstand, dass Deutschland heute weitgehend eine ganz normale Nation geworden ist – mit allen damit verbundenen Stärken und Schwächen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.