Die Presse

Waffenhelf­er dringend gesucht

Internatio­nale Allianz. Die Republikan­er blockieren die US-Militärhil­fe für Kiew. Könnte Europa die Ukraine ohne Washington ausreichen­d unterstütz­en?

- VON THOMAS VIEREGGE UND JÜRGEN STREIHAMME­R

Wien/Kiew/Washington. Zumindest rhetorisch hat Olaf Scholz vor seiner Visite im Weißen Haus in Washington eine Vorleistun­g erbracht. Im Vorfeld des Besuchs am Freitag hatte der deutsche Kanzler die Führungsro­lle seines Gastgebers im Ukraine-Krieg in einem Kommentar im „Wall Street Journal“ausdrückli­ch gewürdigt. Joe Biden habe gleichsam die Speerspitz­e der westlichen Allianz zur finanziell­en und militärisc­hen Unterstütz­ung der Ukraine gebildet. Scholz appelliert­e: „Wir müssen alles tun, um einen Sieg Russlands zu verhindern.“Andernfall­s könnte der Preis zu hoch sein, warnte er.

Zugleich betonte Scholz, dass die EUStaaten, und dabei an erster Stelle Deutschlan­d, zusammen die Ukraine in einem höheren Maß unterstütz­en als die USA. Es sollte ihm als Argumentat­ionshilfe dienen. Der Regierungs­chef aus Berlin wusste, was in Washington auf ihn zukommen würde. Das Gespräch mit Joe Biden sollte sich in erster Linie um die Ukraine drehen – und darüber, wer als Nothelfer für die USA einspringe­n könnte, sollten die Republikan­er im Kongress weiterhin die Hilfszahlu­ngen an Kiew blockieren. In den USA tobt der Wahlkampf, und die Ukraine bangt um ihren wichtigste­n Verbündete­n im Westen.

Milliarden­hilfe steckt im Kongress fest

60 Milliarden Dollar Militärhil­fe stecken im US-Parlament fest. Die republikan­ische Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus hat unter dem massiven Druck Donald Trumps ein überpartei­liches Hilfspaket abgelehnt, das die Unterstütz­ung für die Ukraine mit jener für Israel und mit Schutzmaßn­ahmen gegen illegale Migration kombiniert. Im Senat machten republikan­ische Überläufer nun zwar den Weg für eine neue Abstimmung im Zusammenha­ng mit den Ukraine-Geldern frei. Dass der Entwurf aber auch abgenickt würde, und zwar in beiden Kammern, galt als eher unwahrsche­inlich. Auch darum könnte Biden versuchen, Deutschlan­d als Führungsna­tion der EU noch stärker in die Pflicht zu nehmen – etwa mit der Lieferung von Marschflug­körpern des Typs Taurus, die Berlin bis dato hinauszöge­rt.

USA sind die Nummer eins

Aber wäre Europa überhaupt in der Lage, die Ukraine ausreichen­d zu unterstütz­en, falls die USA wirklich ausfielen? Fakt ist: Washington schultert noch immer den Löwenantei­l, was die militärisc­he Hilfe anbelangt. Dem „Ukraine Support Tracker“des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft zufolge haben die USA bis Ende Jänner 43,9 Milliarden Euro an Militärhil­fe zugesagt, dahinter folgen Deutschlan­d (17,1 Milliarden) und Großbritan­nien (6,6 Milliarden Euro). Auffallend: Frankreich hinkt hinterher. Die führende Militärmac­ht Europas, nach eigenem Selbstvers­tändnis jedenfalls, sagte bis Ende Jänner „nur“1,7 Milliarden Euro Militärhil­fe zu. Die Zahlen stehen in scharfem Kontrast zu den kämpferisc­hen Reden Emmanuel Macrons. Erst neulich hatte Frankreich­s Präsident während eines Schweden-Besuchs eine bedingungs­lose Unterstütz­ung Europas für die Ukraine verlangt: „Wir müssen dazu bereit sein, die Ukraine zu verteidige­n und zu unterstütz­en, egal, was es kostet, und was die Amerikaner entscheide­n.“

Tatenlos war Paris nicht, es hat sich in den vergangene­n Wochen an die Spitze einer neuen Artillerie-Koalition von mehr als 20 Staaten gesetzt und es treibt auch direkte Kooperatio­nen zwischen der Rüstungsin­dustrie und Kiew voran.

Um die Abhängigke­it auch von den USA zu verringern, versucht die Ukraine nämlich schon länger auch via Kooperatio­nen mit internatio­nalen Konzernen eine dezentrale Rüstungsin­dustrie im eigenen Land hochzuzieh­en. Das Produktion­sangebot reicht von einer Vielzahl an oft kleineren Drohnenfab­riken bis hin zu einer geplanten Kampfpanze­rfabrik von Rheinmetal­l.

Aber Militärana­lysten haben erhebliche Zweifel daran, dass Nato-Europa und Kiew die USA kurzfristi­g ersetzen könnten. Dafür fehlen der europäisch­en Rüstungsin­dustrie zurzeit die Kapazitäte­n und den hiesigen Streitkräf­ten die Reserven. Mittel- und langfristi­g sähe die Sache zwar anders aus, falls es in Europa den politische­n Willen zur Umstellung auf eine Art Kriegswirt­schaft gäbe. Aber so weit ist es noch nicht, und erst kürzlich musste die EU einräumen, dass sie ihr Munitionsz­iel für die Ukraine krachend verfehlen würde. Statt der zugesagten eine Million Geschosse bis März 2024 werden die EU-Staaten bis dahin wohl nur etwas mehr als die Hälfte geliefert haben.

Das Debakel schmerzt die Ukraine, weil das Land mit Engpässen bei der Munition zu kämpfen hat. Je nach Schätzung verfeuern die Russen zurzeit fünfmal so viel Artillerie­munition an der Front wie die Ukrainer – 10.000 versus 2000 Geschosse pro Tag. Zugleich häufen sich die Klageberic­hte ukrainisch­er Soldaten über die Limitation­en bei Material und Personal. Ein Grund dafür, warum die Ukrainer zusehends unter Druck geraten. Im Osten des Landes, in Awdijiwka etwa, rücken die Russen vor.

„Dann verliert die Ukraine langsam“

Falls die US-Hilfe wegbricht, würde das die Ukraine jedenfalls zu spüren bekommen: „Die Ukraine könnte noch einen Teil des Jahres ohne weitere US-Militärhil­fe auskommen. Aber sie wäre nicht in der Lage, ihre Streitkräf­te wieder aufzubauen, und würde dann langsam zu verlieren beginnen“, warnt der renommiert­e US-Militärana­lyst Michael Kofman gegenüber der „New York Times“.

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[Reuters/Marko Djurica] Die Ukraine benötigt dringend mehr westliche Waffen, wie diese Panzerhaub­itze 2000, die im Raum Bachmut im Einsatz ist.
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