Waffenhelfer dringend gesucht
Internationale Allianz. Die Republikaner blockieren die US-Militärhilfe für Kiew. Könnte Europa die Ukraine ohne Washington ausreichend unterstützen?
Wien/Kiew/Washington. Zumindest rhetorisch hat Olaf Scholz vor seiner Visite im Weißen Haus in Washington eine Vorleistung erbracht. Im Vorfeld des Besuchs am Freitag hatte der deutsche Kanzler die Führungsrolle seines Gastgebers im Ukraine-Krieg in einem Kommentar im „Wall Street Journal“ausdrücklich gewürdigt. Joe Biden habe gleichsam die Speerspitze der westlichen Allianz zur finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine gebildet. Scholz appellierte: „Wir müssen alles tun, um einen Sieg Russlands zu verhindern.“Andernfalls könnte der Preis zu hoch sein, warnte er.
Zugleich betonte Scholz, dass die EUStaaten, und dabei an erster Stelle Deutschland, zusammen die Ukraine in einem höheren Maß unterstützen als die USA. Es sollte ihm als Argumentationshilfe dienen. Der Regierungschef aus Berlin wusste, was in Washington auf ihn zukommen würde. Das Gespräch mit Joe Biden sollte sich in erster Linie um die Ukraine drehen – und darüber, wer als Nothelfer für die USA einspringen könnte, sollten die Republikaner im Kongress weiterhin die Hilfszahlungen an Kiew blockieren. In den USA tobt der Wahlkampf, und die Ukraine bangt um ihren wichtigsten Verbündeten im Westen.
Milliardenhilfe steckt im Kongress fest
60 Milliarden Dollar Militärhilfe stecken im US-Parlament fest. Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus hat unter dem massiven Druck Donald Trumps ein überparteiliches Hilfspaket abgelehnt, das die Unterstützung für die Ukraine mit jener für Israel und mit Schutzmaßnahmen gegen illegale Migration kombiniert. Im Senat machten republikanische Überläufer nun zwar den Weg für eine neue Abstimmung im Zusammenhang mit den Ukraine-Geldern frei. Dass der Entwurf aber auch abgenickt würde, und zwar in beiden Kammern, galt als eher unwahrscheinlich. Auch darum könnte Biden versuchen, Deutschland als Führungsnation der EU noch stärker in die Pflicht zu nehmen – etwa mit der Lieferung von Marschflugkörpern des Typs Taurus, die Berlin bis dato hinauszögert.
USA sind die Nummer eins
Aber wäre Europa überhaupt in der Lage, die Ukraine ausreichend zu unterstützen, falls die USA wirklich ausfielen? Fakt ist: Washington schultert noch immer den Löwenanteil, was die militärische Hilfe anbelangt. Dem „Ukraine Support Tracker“des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zufolge haben die USA bis Ende Jänner 43,9 Milliarden Euro an Militärhilfe zugesagt, dahinter folgen Deutschland (17,1 Milliarden) und Großbritannien (6,6 Milliarden Euro). Auffallend: Frankreich hinkt hinterher. Die führende Militärmacht Europas, nach eigenem Selbstverständnis jedenfalls, sagte bis Ende Jänner „nur“1,7 Milliarden Euro Militärhilfe zu. Die Zahlen stehen in scharfem Kontrast zu den kämpferischen Reden Emmanuel Macrons. Erst neulich hatte Frankreichs Präsident während eines Schweden-Besuchs eine bedingungslose Unterstützung Europas für die Ukraine verlangt: „Wir müssen dazu bereit sein, die Ukraine zu verteidigen und zu unterstützen, egal, was es kostet, und was die Amerikaner entscheiden.“
Tatenlos war Paris nicht, es hat sich in den vergangenen Wochen an die Spitze einer neuen Artillerie-Koalition von mehr als 20 Staaten gesetzt und es treibt auch direkte Kooperationen zwischen der Rüstungsindustrie und Kiew voran.
Um die Abhängigkeit auch von den USA zu verringern, versucht die Ukraine nämlich schon länger auch via Kooperationen mit internationalen Konzernen eine dezentrale Rüstungsindustrie im eigenen Land hochzuziehen. Das Produktionsangebot reicht von einer Vielzahl an oft kleineren Drohnenfabriken bis hin zu einer geplanten Kampfpanzerfabrik von Rheinmetall.
Aber Militäranalysten haben erhebliche Zweifel daran, dass Nato-Europa und Kiew die USA kurzfristig ersetzen könnten. Dafür fehlen der europäischen Rüstungsindustrie zurzeit die Kapazitäten und den hiesigen Streitkräften die Reserven. Mittel- und langfristig sähe die Sache zwar anders aus, falls es in Europa den politischen Willen zur Umstellung auf eine Art Kriegswirtschaft gäbe. Aber so weit ist es noch nicht, und erst kürzlich musste die EU einräumen, dass sie ihr Munitionsziel für die Ukraine krachend verfehlen würde. Statt der zugesagten eine Million Geschosse bis März 2024 werden die EU-Staaten bis dahin wohl nur etwas mehr als die Hälfte geliefert haben.
Das Debakel schmerzt die Ukraine, weil das Land mit Engpässen bei der Munition zu kämpfen hat. Je nach Schätzung verfeuern die Russen zurzeit fünfmal so viel Artilleriemunition an der Front wie die Ukrainer – 10.000 versus 2000 Geschosse pro Tag. Zugleich häufen sich die Klageberichte ukrainischer Soldaten über die Limitationen bei Material und Personal. Ein Grund dafür, warum die Ukrainer zusehends unter Druck geraten. Im Osten des Landes, in Awdijiwka etwa, rücken die Russen vor.
„Dann verliert die Ukraine langsam“
Falls die US-Hilfe wegbricht, würde das die Ukraine jedenfalls zu spüren bekommen: „Die Ukraine könnte noch einen Teil des Jahres ohne weitere US-Militärhilfe auskommen. Aber sie wäre nicht in der Lage, ihre Streitkräfte wieder aufzubauen, und würde dann langsam zu verlieren beginnen“, warnt der renommierte US-Militäranalyst Michael Kofman gegenüber der „New York Times“.