Mileis Feldzug gegen „Verräter“ Argentinien. Das riesige Gesetzespaket des Präsidenten Javier Milei scheiterte im Parlament. Der macht eine „Kaste“aus Provinzfürsten und Oppositionspolitikern für das Versagen verantwortlich.
An der Klagemauer in Jerusalem brach Javier Milei in Tränen aus. Und die Welt konnte live die Kehrtwende in Argentiniens Außenpolitik mitverfolgen. Aber während Milei noch den Umzug der argentinischen Botschaft nach Jerusalem ankündigte, mussten seine Parlamentarier daheim den Neuanfang vertagen.
Nach einem Monat intensiver Debatte im Kongress zog die Regierung ihr fundamentales „Gesetz über Grundlagen und Ausgangspunkte für die Freiheit der Argentinier“zurück. Und niemand weiß, ob dahinter Absicht oder Unkenntnis stand.
Dabei hatte die große Parlamentskammer Ende der Vorwoche dem Regelwerk, das weite Teile des argentinischen Staatswesens neu organisieren und Bürokratie abbauen will, grundsätzlich zugestimmt. Auf dem Weg zu dieser grundsätzlichen Zustimmung hatte
Mileis Regierung, die ja nur 38 der 257 Abgeordneten stellt, auf Bitten einer „kooperativen Koalition“aus Parteien rechts der Mitte schon mehr als 280 Paragrafen aus dem ursprünglichen Gesetzestext genommen. Blieben noch 386 Regeländerungen, deren umstrittenste einzeln abgesegnet werden sollten.
Doch dazu kam es nicht. Nachdem acht der ersten 20 Paragrafen durchgefallen waren, beschlossen die Abgeordneten von Mileis Partei, das Gesetz zurückzustellen. Aber offenbar wussten sie nicht, dass sie damit das gesamte Megapaket formell annullierten. Nun müsste das Werk, das den Kongress einen ganzen Monat Sommerferien und 80 Stunden Debatte gekostet hat, neu eingebracht werden.
Virtueller Pranger für Gegner
Um die Stümperei seiner Spitzenvertreter zu überdecken, vermeldete Milei aus der tiefsten Nacht in Israel, dass er selbst die Rücknahme angeordnet habe, beschimpfte via X all jene, die ihm keine Sondervollmachten
ausstellen wollten, als „Vaterlandsverräter“und verschickte eine Namensliste aller braven, aber auch unbotmäßigen Abgeordneten. Ein virtueller Pranger für die „Kaste“.
Während politische Beobachter das als Rückschlag interpretierten und die Kurse von argentinischen Wertpapieren an der Wall Street um bis zu zehn Prozent verloren, versuchte die Regierung Schadensbegrenzung. In mehreren TV-Interviews erklärte Finanzminister Luis Caputo, dass das Malheur den Konsolidierungskurs nicht gefährde. Die Regierung will in diesem Jahr fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes einsparen. Das hat Milei dem Internationalen Währungsfonds ebenso fest zugesagt wie die Akkumulation von 10 Milliarden Dollar an Währungsreserven.
Für drei Viertel dieser Einsparungen brauche er die Zustimmung des Kongresses nicht, erklärte Caputo. Und das vierte Viertel soll nun wohl durch die Wiedereinhebung von Benzinsteuern, die seit der Pandemie eingefroren waren, aufgefüllt werden. Und aus Transfers an die 24 Provinzen, deren öffentliche Sektoren in den letzten zwei Jahrzehnten enorm zugelegt hatten, finanziert mit Sonderzuweisungen des Bundes aus der Notenpresse. Wenn Milei aus Israel und Rom, wo er am Wochenende Papst Franziskus trifft, zurückkommt, könnte er mehrere Spitzenbeamte auswechseln, die „verräterischen“Provinzgouverneuren nahestehen. Das Problem dabei: Schon jetzt hat Milei nicht annähernd genügend fähige Leute, um die Leitungsposten im Staatswesen zu besetzen. Sein Machtzentrum besteht aus seinem Kabinettschef Nicolás Posse, seiner Generalsekretärin Karina Milei, die seine Schwester und sein persönlicher Schatten ist, und dem Kommunikationschef Santiago Caputo, dessen Bedeutung nun noch wachsen dürfte.
Hohe Inflationsraten
Denn nach dem Schiffbruch im Parlament wird Milei versuchen, mithilfe von Social-Media-Propaganda gegen die „Kaste“ein schwer angeschlagenes Land neu aufzustellen. Aber kann das gelingen, wenn dessen Bevölkerung von Tag zu Tag weiter verarmt?
Vor dem Betriebsunfall lagen Mileis Zustimmungsraten noch auf der Höhe des Ergebnisses der Stichwahl, wo Milei 56 Prozent einfuhr. Die Frage ist: Wie lang noch? Die offizielle Inflationsrate lag im Dezember bei 211 Prozent im Jahresvergleich. Aber tatsächlich kosten heute viele Lebensmittel drei, vier oder gar fünfmal mehr als vor einem Jahr. Die Gehälter kommen da nicht mit und die Pensionen erst recht nicht.
Schrumpfende Wirtschaft
Milei und Caputo behaupten, die Steigerungsraten lägen unter den ursprünglichen Szenarien und tendierten weiter nach unten. Andere sind da nicht so sicher, denn Treibstoffe, Strom, Gas und der Nahverkehr werden ab März deutlich teurer. Bis dahin wird auch die Rezession wirken. Der IWF erwartet, dass Argentiniens Wirtschaft um 2,8 Prozent schrumpft, und ist damit noch wesentlich optimistischer als argentinische Ökonomen, die einen Rückgang um die 5 Prozent befürchten.