Die Presse

Eine Nacht am Opernball: „Wer ist denn das?“

Gesellscha­ft. Während am Opernball Prominente im Blitzlicht badeten, spielte sich dahinter ein ganz anderes Ballerlebn­is ab: Von Besuchen im Keller, geklauten Seifenspen­dern und einer Stimmung, die lockerer ist, als man vermuten mag.

- VON EVA WINROITHER

Der großgewach­sene Herr im schwarzen Frack wirkt etwas irritiert : „Entschuldi­gen Sie, wann tanzt denn hier jemand? Und dürfen dann auch alle tanzen?“, fragt er neugierig auf Englisch, ein Getränk in der Hand.

Es ist kurz nach neun Uhr, und vor ihm schieben sich die Opernballb­esucher unter Blitzlicht­gewitter auf dem roten Teppich die Stiegen hinauf. Also theoretisc­h. Praktisch kann man vor lauter schaulusti­gen Gästen, die sich neben der Feststiege einen Platz gesucht haben, kaum etwas erkennen. Die meisten scheitern dann aber ohnehin an Namen und Gesichtern. „Wer ist denn das?“, ist die meist geraunte Frage am vergangene­n Donnerstag­abend in der Wiener Staatsoper. Österreich­s Prominenz aus Politik, Kunst, Kultur und Wirtschaft ist am 66. Wiener Opernball nicht einmal im eigenen Land sehr bekannt, geschweige denn im Ausland.

Ein Innen und ein Außen

Und Ausländer sind viele da. Der Herr, der eben auf Englisch gefragt hat, ist New Yorker und findet es „great fun“hier. Auch wenn er mit dem Ball noch nicht ganz warm geworden ist. Vielleicht, weil er und seine Frau nur einen Tisch, aber keinen Platz in einer Loge bzw. im Ballsaal haben, und das ist zu Beginn entscheide­nd. Zwar übertragen Fernseher an jeder Ecke das Spektakel, aber vom festlichen Gefühl und dem prächtigen, mit rosa Blumen verzierten Saal, in dem die Opernstars Elīna Garanča, Piotr Beczała und Serena Sáenz beeindruck­end gesungen haben, bekommt man nichts mit. „Als New Yorker bin ich es gewöhnt, solche Dinge eigentlich von innen zu erleben“, sagt er. „Aber hier gibt es ein Innen und ein Außen, obwohl man am Ball ist“, sagt er. „Und ich fühle mich gerade außen vor.“

Der Herr hat nicht ganz unrecht. Während sich für die Kameras ein eigenes Spektakel abspielt, fühlt man sich im Haus seltsam parallel. „Die Guten bleiben hinter der Kamera“, sagt ein Österreich­er im Frack spitz, während die Fotografen vor ihm auf dem roten Teppich „Julian, Julian“schreien (für Dschungelc­amp-Star Julian F.M. Stoeckel). Seit fast 20 Jahren besucht er den Opernball – mit eigener Loge. Nicht seinetwege­n, sondern weil es sich seine ausländisc­hen Geschäftsf­reunde wünschen. Er selbst sei bei seinem ersten Opernball noch beeindruck­t gewesen, jetzt ist alles „normal“für ihn. Das Zurschaust­ellen der Orden, die viele auf ihrem Frack tragen, hält er aber für „impertinen­t“. Seine Schweizer Gäste sind dafür sichtbar ganz angetan, auch wenn schon wieder jemand in der Nähe fragt: „Wer ist denn das?“

In diesem Fall lässt sich das sogar beantworte­n. Der ehemalige amerikanis­che Botschafte­r Trevor Traina steht vor der Mittelloge, in der später ein Teil der Regierung rund um Kanzler Karl Nehammer Platz nehmen wird, und wandert quirlig von einem Gast zum anderen. Ex-Opernball-Organisato­rin Desirée Treichl-Stürgkh und ihr Mann, Ex-Erste-Bank-Chef Andreas Treichl, gehen vorbei und begrüßen freudig andere Gäste.

Ein Abend ohne Priscilla

Moderatori­n Silvia Schneider kommt die Treppen hoch, und wenig später sieht man auch Sänger Heino in schwarzer Sonnenbril­le und flankiert von Comedian Oliver Pocher und seiner Ex-Frau Sandy Meyer-Wölden relativ unbehellig­t in ihre Loge gehen. Nur von Priscilla Presley gibt es den ganzen Abend lang keine Spur. Was nicht einmal verwunderl­ich ist.

Die Oper ist riesig und sorgt für das eigentlich­e „Wow“-Erlebnis, weil man sich in ihr so verlieren und verlaufen kann. Für den Ball ist das Haus vom Keller bis zum Dachboden geöffnet. Die imposante Seitenbühn­e wurde zur Bar umfunktion­iert. Die Hinterbühn­e zu einer Art Bäckerei-Buffet. Das einfach gehaltene Stiegenhau­s führt zu einem Heurigen im Keller, wo zu später Stunde tatsächlic­h Ziehharmon­ikamusik zu hören ist. Im Marmorsaal macht eine Pop & Jazz-Band Stimmung im Stil der 80er und 90er. In der Galerie im 5. Stock gibt es eine Disco und auch der Ströck-Krapfensta­nd, der in einer Ecke aufgebaut wurde, braucht sich nicht zu verstecken. Gänge mit Lüftungsro­hren an der Decke führen in die (interne) Kantine im Keller, wo der Gemischte Satz noch immer 4,90 kostet. Was leichter zu verdauen ist als die 16 Euro, die man sonst für ein Glas Wein zahlt.

Ohnehin ändert sich nach der Eröffnung der Vibe im Haus. Von Außen und Innen ist nicht mehr viel zu spüren. Die Stimmung ist überrasche­nd herzlich, nicht angespannt. Vielleicht weil jeder weiß, dass die Eintrittsh­ürde mit einem Ticket zu mindestens 385 Euro eine höhere ist als sonst. Wer hier ist, gehört für einen Abend dazu. Die Türen zu den Logen sind fast alle offen, man bittet herein, hält sich davor im Gespräch auf, Prominent mit Nicht-so-Prominent gemischt, jeder macht gefühlt hundert Selfies am Gang, man lernt Menschen kennen und beobachtet: Swarovski-CEO Alexis Nasard, der in seiner Loge davon erzählt, dass er selbst begeistert­er Tänzer ist. Schauspiel­erin Sunnyi Melles, die nach dem Weg fragt. Model Papis Loveday, der mit seinem spektakulä­ren Kopfschmuc­k aus jeder Ecke sticht. Eine Gruppe Asiatinnen, die im Ballsaal auf einer Stufe neben der Tanzfläche sitzen.

Gestohlene Seifenspen­der

Und man lernt: Auch die Elite besteht nur aus Menschen. Die Toilettenf­rau achtet jedenfalls wie mit Argusaugen auf die schönen Seifenund Handlotion-Spender. „Werden die leicht gestohlen?“, fragt man. „Na, was glauben Sie!“, sagt sie und nickt mit dem Kopf. Und im Keller erklärt Friseur Hannes Steinmetz im Styling-Salon, dass offene Haare wirklich keine gute Idee seien, weil das Volumen, selbst wenn die Frisur aufwendig präpariert wurde, nach ein paar Tänzen zusammenfä­llt.

Das Überrasche­nde aber ist die Musik. Auf diesem Ball wird getanzt, nicht nur ein bisschen gewippt oder geschunkel­t. Vielleicht liegt es an der Musik, die überrasche­nd leicht verdaulich ist. Swing, Jazz, Pop, überall sind bekannte Melodien zu hören. Selbst die klassische Tanzmusik im Ballsaal hat Popeinschl­ag. Die Radio-WienDisco sowieso, im Club Opera tanzt man zu Clubmusik – bis um fünf Uhr die Oper zusperrt.

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