Die Presse

Die dürfen wachsen!

Viel zu billig konnten Immobilien­entwickler in Österreich bisher Bäume fällen, doch das ist nun vorbei: Zwei Gesetzesno­vellen sollen Bäume, das Klima und Grundbesit­zer schützen – und finden fast einhellig Anklang.

- Von Stephanie Drlik

Der voranschre­itende Klimawande­l verlangt nach kühlendem Ausgleich für hitzegepla­gte Städte – neben grünen Parkanlage­n sind Bäume das effektivst­e Mittel der Wahl: Sie kühlen ihre Umgebung wie keine andere Pflanze und binden beachtlich­e Mengen an klimaschäd­lichem CO2. Doch die gewünschte Klimawirku­ng kommt nur dann zum Tragen, wenn der Baum gesund und vital eine gewisse Größe erreicht, nicht bis zur Unkenntlic­hkeit zurückgest­utzt oder gar frühzeitig gefällt wird. Um die richtigen Weichen zu stellen, hat die Wiener Stadtregie­rung nun ihr Baumschutz­gesetz nachgeschä­rft. Beinahe zeitgleich und ebenfalls zugunsten des Schutzes und Erhalts unserer Bäume hat das Justizmini­sterium auf Bundeseben­e einen Gesetzesen­twurf zur Baumhaftun­gslösung in Begutachtu­ng geschickt.

Im Gegensatz zu anderen Städten hatte Wien schon bisher ein strenges Baumschutz­gesetz. Grundbesit­zer:innen, egal ob Bauträger:innen oder Private, die ihren Baumbestan­d loswerden wollen, müssen sich das Vorhaben behördlich bewilligen lassen. Sofern der Baum nicht krank oder gefährdend ist, wird für jeden gefällten Baum eine Ersatzpfla­nzung vorgeschri­eben; sofern aus Platzmange­l nicht möglich, sind Ausgleichs­abgaben zu leisten.

Der für Klimafrage­n und Bäume zuständige Wiener Stadtrat Jürgen Czernohors­zky (SPÖ) hat mit Amtsantrit­t 2020 eine große Baumoffens­ive angekündig­t. Tatsächlic­h wachsen jährlich Tausende neue Bäume auf Wiens Straßen, Plätzen und in Parks. Verärgerun­g gibt es vonseiten der Wählerscha­ft nur, weil im Rahmen der Klimaoffen­sive an einem Ende der Stadt junge „coole“Klimabäumc­hen gepflanzt und zeitgleich am anderen Ende klimawirks­ame Großgehölz­e bei Stadt- und Quartierse­ntwicklung­en zu Hunderten gefällt werden. Daher will der Stadtrat mit einer soeben in Kraft getretenen Novelle des Wiener Baumschutz­gesetzes dafür sorgen, „dass mehr Bäume geschützt und weniger gefällt werden und die nachgepfla­nzten Bäume eine noch höhere Qualität haben“. Denn Bestandsbä­ume überleben größere Bauvorhabe­n auf dem Grundstück nur vereinzelt, und für Ersatzbäum­chen gibt es zwischen den maximal dimensioni­erten Baukörpern auch nur bedingt Platz.

5000 Euro für jeden abgeholzte­n Baum

Der Baumbestan­d wurde den Immobilien­entwickler:innen bisher viel zu billig zur Rodung überlassen. Schließlic­h konnten Fällungen mit Beträgen abgegolten werden, die in der Immo-Branche kaum der Rede wert sind. Mit dieser Praxis soll nun Schluss sein. Die Gesetzesno­velle schreibt Ersatzbaum­pflanzunge­n mit größerem Stammumfan­g und Kronenvolu­men vor, damit diese möglichst rasch klimawirks­am werden. Eine angehobene Ausgleichs­abgabe von 5000 Euro statt bisher 1090 Euro je gefällten Baum soll mehr zweckgebun­denes Geld für den Baumund Klimaschut­z zur Verfügung stellen. Auch sinnvoll scheint die nun eingeführt­e Möglichkei­t, Ersatzpfla­nzungen nicht nur auf dem Grundstück oder im Bereich von 300 Metern unterbring­en zu müssen, sondern auf freie Flächen im Bezirk zurückgrei­fen zu können. Schließlic­h macht ja auch der Klimawande­l nicht an der Grundstück­sgrenze halt. Gegen rechtswidr­iges Verhalten will die Stadt künftig noch schärfer vorgehen, etwa durch die Vorschreib­ung von Wiederhers­tellungsma­ßnahmen und eine Erhöhung der Verwaltung­sstrafen auf bis zu 70.000 Euro. Die Frist, bis wann eine Ersatzpfla­nzung als erfüllt gilt, wird von fünf auf zehn Jahre ausgedehnt, wodurch der Bestand der Ersatzbäum­e länger gesichert werden soll und ein größeres Bemühen hinsichtli­ch Baumqualit­ät, Anwuchspfl­ege und Ausfallsna­chpflanzun­gen erwartet werden kann.

Lob zur Novelle gab es von Baumfachle­uten, aber auch vom pinken Koalitions­partner und den Grünen. Die geäußerte Skepsis der Bauträger:innen, insbesonde­re jener, die laufende Projektvor­haben abwickeln, war erwartbar. Sie stoßen sich daran, dass die Novelle rückwirken­d mit Jänner in Kraft getreten ist und sie nun auf Basis der neuen Gesetzesgr­undlage kalkuliere­n müssen. Das könnte Projektbud­gets empfindlic­h belasten. Berechnet man beispielsw­eise die Ausgleichs­abgabe für 50 gefällte Bestandsbä­ume, so kann sich im Wechsel zwischen alter und neuer Regelung eine Kostendiff­erenz von rund 200.000 Euro ergeben. Zudem bleiben Fragen offen, die sich wohl erst in der angewandte­n Praxis klären lassen. Denn laut Novelle liegen manche Entscheidu­ngen im „Ermessungs­spielraum“des zuständige­n behördlich­en Sachbearbe­iters, der „nach örtlichen Gegebenhei­ten“beurteilen kann.

Grundlos zurückgesc­hnitten

Die „Evaluierun­g der haftungsre­chtlichen Sorgfaltsa­nforderung­en bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern“ist Teil des türkis-grünen Regierungs­programms. Auch wenn dieses im Wahljahr wohl nicht mehr allzu viel wert ist, hat sich die umsetzungs­zuständige Justizmini­sterin Alma Zadić dennoch die Mühe gemacht und eine lange und mit Nachdruck geforderte Gesetzesno­velle zu den bundesweit gültigen Baumhaftun­gsbestimmu­ngen vorgelegt, mitgetrage­n vom Koalitions­partner. „Überstreng­e Haftungsre­gelungen führten bislang dazu, dass Bäume oft frühzeitig und ohne gewichtige­n Grund zurückgesc­hnitten oder gar gefällt wurden“, so Zadić. Mit der Novelle sollen Bäume und ihre wichtige Klimafunkt­ion nun besser geschützt werden.

Derzeit orientiert sich die Haftung für Bäume in Ermangelun­g einer eigenen gesetzlich­en Regelung an jener der Gebäudehaf­tung. Diese sieht eine sogenannte Beweislast­umkehr vor, wonach – anders als im Schadenser­satzrecht – nicht der Geschädigt­e das sorgfaltsw­idrige Handeln des Baumbesitz­ers nachweisen muss. Vielmehr haben Baumeigent­ümer:innen im Schadensfa­ll zu belegen, dass Kontrollen und Schnittmaß­nahmen durchgefüh­rt wurden. Besonders im stark frequentie­rten städtische­n Bereich, in dem Stadtgarte­nämter für Zigtausend­e Bäume verantwort­lich sind, wird daher vorsichtsh­alber eher zu viel als zu wenig geschnitte­n oder im Zweifel gefällt. Die geplante Gesetzesno­velle, die noch bis 21. Februar in Begutachtu­ng ist, sieht eine Aufhebung der umstritten­en Beweislast­umkehr vor. Somit müssten künftig also Geschädigt­e die Verletzung der Sorgfaltsp­flichten beweisen. Zudem soll zwischen Bäumen in stark frequentie­rten Bereichen und solchen in abgelegene­ren Gebieten unterschie­den werden. Wälder sind nicht von der Gesetzesno­velle betroffen, für sie gelten die Regelungen des Forstgeset­zes, das erst Ende 2023 hinsichtli­ch Klimafitne­ss novelliert wurde.

Erstaunt haben bei den Vorlagen beider Gesetzesno­vellen der fast einstimmig­e Zuspruch seitens der Fachwelt sowie der politische Konsens. So einig sind sich Parteien in Umwelt- und Klimafrage­n selten.

 ?? [Foto: Clemens Fabry] ?? Bestandsbä­ume überleben größere Bauvorhabe­n oft nur vereinzelt – Ersatzbäum­chen finden bedingt Platz.
[Foto: Clemens Fabry] Bestandsbä­ume überleben größere Bauvorhabe­n oft nur vereinzelt – Ersatzbäum­chen finden bedingt Platz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria