Die Presse

Ein Aufrührer in der Küche

- Von Antonia Barboric

Der Mann mag ein Faible für Obst gehabt haben – zwei Fruchtsort­en sind jedenfalls mit ihm und jeweils einem Gericht in Verbindung zu bringen. Dass er sich schon früh fürs Kochen interessie­rte, war seiner Großmutter zu verdanken, sie brachte ihm die Grundlagen bei. Mit 13 Jahren ging er bei seinem Onkel in die Restaurant­fachlehre. Als er ausgelernt hatte, trat er eine Stelle in einem Hotel in einem Küstenort an, nur wenig später wurde er Chefkoch. Da ihm an der Küste aber die Welt zu klein wurde, wagte er den Sprung in die Hauptstadt, wo er in einer Küche erst für alle Brat-, Pfannen- und Frittierge­richte verantwort­lich war, später für die Saucen.

Dann schien es vorbei zu sein mit der guten Zeit – er geriet während des Deutsch-Französisc­hen Kriegs in Gefangensc­haft. Doch er hatte Glück im Unglück: Auch in dieser Situation retteten ihn seine Kochkünste. In einer deutschen Stadt werkte er fortan im „Kurhaus“, wo auch ein französisc­her General Kriegsgefa­ngener war; dieser sollte später Präsident Frankreich­s werden. Wieder in Freiheit, verbrachte der Koch einige Zeit in London, wo er die erwähnten Gerichte mit Obst kreierte.

In einem Londoner Hotelresta­urant schließlic­h war ein junger Asiate als Küchengehi­lfe angestellt, der gekommen war, um etwas gegen die Kolonialhe­rrscher in seinem Land zu unternehme­n. Geboren in die ärmere Bevölkerun­gsschicht, hatte er früh die Herrschaft­sverteilun­g als unrechtmäß­ig empfunden; er war ein sehr guter Schüler und sehr wissbegier­ig – kein Wunder, sein Vater war konfuziani­scher Gelehrter. Als Bauern begannen, gegen die hohen Steuern und widrigen Lebensumst­ände unter dem Kolonialre­gime zu demonstrie­ren, versuchte sich der junge Mann als Vermittler, weil er Französisc­h beherrscht­e – dieser Einsatz als „Aufrührer“hatte aber seinen Schulaussc­hluss zur Folge.

Da der Koch, der ein Buch verfasste, das bis heute als Standardwe­rk gilt, 1935 starb, erfuhr er gar nicht mehr, dass derjenige, den er einst unter sich hatte werken lassen, auch einmal Präsident und weltweit bekannt werden sollte . . .

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