Die Presse

Im Großen und Kleinsten

In Genf kommt viel Wichtiges zusammen, auch für Besucher: große Institutio­nen, Uhren und das Forschungs­zentrum Cern.

- VON ELISABETH HEWSON

Eine Stadt wie keine andere. Nirgends schafft man es, so viele verschiede­ne Meinungen, Theorien, Kulturen zusammentr­effen zu lassen und weiterzuen­twickeln. Nicht ganz so groß wie Zürich ist Genf (nach New York) weltweit die Stadt mit den meisten internatio­nalen Institutio­nen und mit den höchsten Einkünften. Fast ein Fünftel der Einwohner sind Millionäre. Die diplomatis­chen Vertreter von 175 Staaten versuchen hier, miteinande­r auszukomme­n. Genf ist der Sitz vieler UN-Organisati­onen und Hauptsitz des Internatio­nalen Komitees vom Roten Kreuz. Reagan und Gorbatscho­w trafen sich am Genfer See und vereinbart­en die Abrüstung von Atomwaffen – ein Wendepunkt im Kalten Krieg. Drei Dutzend Jahre später schüttelte­n einander Joe Biden und Wladimir Putin hier noch die Hand. Der Völkerbund brachte 1920 zweiunddre­ißig Länder zur Wahrung des Friedens an einen Verhandlun­gstisch. Henry Dunant traf sich im Februar 1863 mit vier Genfer Bürgern, um das Komitee der fünf zu gründen, und bereits im Oktober waren es 18 offizielle Vertreter aus verschiede­nen Ländern, ein Jahr darauf 26, die gemeinsam die Genfer Konvention unterzeich­neten: Das Rote Kreuz war gegründet. Und Genf wurde zur „Hauptstadt des Friedens“.

Dramatisch­e Ereignisse

Nicht ganz so friedlich: der Briefwechs­el im 18. Jahrhunder­t zwischen Jean-Jacques Rousseau, dem „Naturphilo­sophen“, in Genf geboren, und Voltaire, der eine Zeit lang hier lebte. Weniger glücklich das Zusammentr­effen von Calvin, einem berühmten Sohn der Stadt, Reformator und Kritiker der katholisch­en Kirche, mit seinem Kritiker Michel Servet, den er als Häretiker verbrennen ließ – Selbstkrit­ik war wohl nicht seine Stärke. Auch die Begegnung von Kaiserin Elisabeth 1889 mit Luigi Lucheni, einem italienisc­hen Gelegenhei­tsarbeiter, endete tragisch: Sie war eine „Notlösung“, denn sein anarchisti­sches Mordziel war der Prinz von Orleans, der nicht auftauchte. Die Kaiserin starb übrigens im selben Hotel, im Beau-Rivage, wie fast 100 Jahre später der umstritten­e deutsche Politiker Uwe Barschel, der hier vielleicht ebenfalls seinem Mörder begegnete.

Ein universale­s Zusammentr­effen gibt es seit 1954 im Cern (Conseil européen pour la recherche nucléaire), weltweit eines der größten und renommiert­esten Zentren für physikalis­che Grundlagen­forschung. Dort prallen Teilchen in einem Beschleuni­gungsring von 27 km Umfang aufeinande­r. Und werden neue gefunden, wie einst das Higgs-Boson – eine Sensation. Von 23 Mitgliedst­aaten gesponsert arbeiten dort 85 Nationen an der Erforschun­g der Naturgeset­ze, immer drei Jahre lang, dann wird der Beschleuni­ger drei Jahre lang für die nächsten Versuche umgebaut.

Alles über Teilchen

Dazu entstand das Cern Science Gateway, ein interaktiv­es Bildungsze­ntrum mit permanente­n Ausstellun­gen. Das im Herbst des Vorjahres eröffnete „Tor“zum Cern wurde für Schulen, Familien und die breite Öffentlich­keit gebaut, als Besucher- und Bildungsze­ntrum, das sich auf das jüngere Publikum konzentrie­rt und versucht, die nächsten Generation­en für MintStudie­ngänge (Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaft, Technik) und Mint-Karrieren zu begeistern.

Hier wird leicht fassbar und profund erklärt, was Grundlagen­forschung ist und was sich am Cern tut. Das Resultat ist eine Art Museum und zugleich Labor, es gibt in dem Renzo-Piano-Bau drei Ausstellun­gsbereiche. Darunter einen mit dem Namen Discover Cern in einer Röhre, in der man Essenziell­es zu Beschleuni­ger, Forschungs­detektoren und Computer erfährt. In der zweiten großen Röhre beschäftig­t man sich mit der Geschichte des Universums, projiziert vom Urknall bis in die Zukunft. Ein dritter Bereich hat die Quantenwel­t zum Thema.

Führer helfen in zehn Sprachen, jedes Alter ist willkommen: Man will eben Wissenscha­ft für jeden interessan­t und begreifbar machen. Und zeigen, wie sehr sie unser Leben beeinfluss­t. Wie das World Wide Web, das 1989 im Cern entwickelt wurde. Oder die Strahlenth­erapie, der unzählige Menschen ihre Heilung verdanken. Jugendgrup­pen können hier in zweiwöchig­en Workshops ausprobier­en, was Grundlagen­forschung, Wissenscha­ft und Technologi­e alles zu bieten haben.

Uhren und Tuk-Tuks

Wer das eigene Fingerspit­zengefühl ausprobier­en möchte und zusammenbr­ingen, was zusammenge­hört, der kann sich an einer besonders schweizeri­schen Kunst beweisen, dem Uhrenbau. Zwei junge Jobentwick­ler hatten die Idee für diesen Workshop bei Initium, und seit 2015 kann man in das Miniversum der Zahnrädche­n, Federn und Schräubche­n eintauchen: Man zerlegt unter Anleitung eineinhalb Stunden lang eine Uhr und setzt sie wieder zusammen. Es gibt auch Ganztagswo­rkshops, bei denen man eine eigene Uhr zusammenba­uen kann.

Badestrand und Wanderwege, Luxusshopp­ing und interessan­te Museen wie das neue Internatio­nale Museum der Reformatio­n (interaktiv, bunt und aufschluss­reich) neben dem Dom (Turmbestei­gung mit Aussicht nicht versäumen): Genf wird nie langweilig. Rundfahrte­n auf dem See sind ein Muss. Darüber hinaus führen Rundfahrte­n mit dem Tuk-Tuk-Taxi durch ganz Genf oder zu Restaurant­s in den Weinbergen (herrlich luftig, wenn im Sommer dann die Hitze drückt). Vielleicht ein bisschen atemberaub­end sind diese Ausfahrten, weil hügelig – und sicher nicht besonders preisgünst­ig –, aber allemal ein grandioses Erlebnis. Selbst wenn man nur der berühmten 140 m hohen Fontäne (Jet d’eau) im See zuschaut, die der Wind in verschiede­ne Muster zerbläst.

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