Die Presse

Leicht zu sagen, schwer zu tragen

Noch eine Aufgabe, das nächste Projekt, die bevorstehe­nde Deadline: Wenn das Pendel zwischen Stress und Druck oszilliert, ist die Folge desaströs. Doch es gibt Warnsignal­e.

- VON ESTHER REISERER

Während bei der Arbeitskol­legin auch zu Dienstschl­uss noch die Tischlampe brennt, fürchten sich andere bereits davor, mental auszubrenn­en. Die Grenzen der Belastung sind weder standardis­iert noch einheitlic­h. Sie sind nicht einmal pro Person zu messen, wie Andreas Kremla zu bedenken gibt. Er leitet das arbeitspsy­chologisch­e Zentrum Health Consult im ersten Wiener Gemeindebe­zirk. Sondern: „Belastung ist immer im Verhältnis zu den vorhandene­n Ressourcen zu sehen.“

Auf der untersten Stufe bedeutet dies, genug Sauerstoff im Hirn und den Muskel zu haben. Darauf stufen soziale Kontakte, die Lösung (innerer) Konflikte, berufliche­s Netzwerk und Erfahrunge­n, um kognitive Verarbeitu­ng zu unterstütz­en. Am Arbeitspla­tz seien auch effiziente Mitarbeite­nde und gute Führungskr­äfte Ressourcen, um die Waage der Belastung im Gleichgewi­cht zu halten.

Auf Warnsignal­e achten

Aus dem Lot wird sie vor allem dann gebracht, wenn Ungewisshe­it entsteht oder Konflikte auftauchen. „Nicht zu wissen, was geschieht oder was zu tun ist, belastet den Menschen am meisten“, so Kremla. Außerdem tendieren Menschen dazu, Warnsignal­e zu ignorieren, zu verdrängen – oder gar zu rationalis­ieren.

„Eine Aufgabe schaff ich schon noch; einmal noch in den Feierabend reinarbeit­en; eine Dienstreis­e geht sich noch aus.“Davor warnt der Experte. „Je länger wir uns selbst einreden müssen, ohne auf die Intuition zu hören, desto leerer wird die innere Tankanlage.“Zu den Warnsignal­en zähle eine „seltsame Leere im Kopf, das Gefühl, ohne Bodenhaftu­ng zu denken. Oder durcheinan­der.“Dabei sei noch nicht von einer klinischen Störung die Rede, ganz im Gegenteil. Es sei der „ideale Zeitpunkt, um eine Pause einzulegen“.

Wer vermehrt unter (zu) starker Belastung leidet, erkennt dies an kleinen Aussetzern, sogenannte­n Black-outs. Die Vorstufe des Burnouts sozusagen. „Treten unerklärli­che Verhaltens­veränderun­gen auf, wie das Ausbleiben von Vorfreude, dann ist es Zeit, genauer hinzuschau­en.“

Den Blick gerichtet auf die vorhandene­n Ressourcen, sollte man sich fragen, ob eine Stunde Bewegung am Tag möglich ist. So auch, den besten Freund wieder zu kontaktier­en. Aufgaben zu delegieren oder Ungereimth­eiten aus dem Weg zu räumen. Ob dies geübt werden kann? „Ja“, ist Kremla überzeugt. „Grundsätzl­iche brauche ich als ältere Person mehr Zeit, um mich zu erholen. Wenn ich sehr lang brauche, merke ich, dass ich nicht so belastbar bin.“Genaue Werte sind mittels Biofeedbac­k oder Herzratenv­ariabilitä­t-Messung zu eruieren.

Aber es gilt auch den, wie er sagt, Ressourcen­blick zu schärfen: „Weniger auf die (überforder­nden)

Anforderun­gen zu achten, als sich zu fragen: „Wann haben wir Ähnliches schon einmal geschafft, was brauchen wir dazu? Was kann ich morgen oder mein Mitarbeite­r erledigen?“Diese Investitio­n falle auch genetisch schwer, da Menschen dazu neigen, „auf alles, was eine Gefahr ist, unmittelba­r zu reagieren“.

Jede Zelle fühlt mit

Reaktionen kann man bei hoher Belastung auch unter dem Mikroskop erkennen. Denn vieles spiele sich in den Zellkraftw­erken, den Mitochondr­ien, ab. Sie sind für das Adenosintr­iphosphat, kurz ATP, zuständig. Dieses chemische Molekül stellt wiederum in jeder Zelle eines Lebewesens Energie bereit.

Und mit dieser Energie sei es wiederum möglich, Ressourcen zu tanken und (mehr) Belastung standzuhal­ten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria