Die Presse

Sich handwerkli­ch und persönlich weiterzuen­twickeln, das ist das Ziel der Wanderjahr­e nach der Lehre. Schlosserg­eselle Peter Becker ist einer der wenigen, die die Tradition hochhalten. Traditione­ller Weg zu modernen Zielen

- VON URSULA RISCHANEK

Seit Anfang April des Vorjahres ist Peter Becker auf Achse. Nach Aufenthalt­en unter anderem in Basel, Nürnberg und Schwerin zieht es ihn nun vorerst einmal nach Hannover. Wohin die Reise danach gehen wird, ist noch offen. „Das entscheide­t sich meist spontan“, sagt Becker. Der 22-jährige Schlosserg­eselle aus Antiesenho­fen (OÖ) ist nämlich auf der Walz – und setzt damit eine Tradition fort, die nahezu in Vergessenh­eit geraten zu sein scheint. „Ich finde, die Wanderscha­ft ist eine gute Gelegenhei­t, sich fachlich weiterzuen­twickeln und gleichzeit­ig ein Allroundwi­ssen über das Handwerk aufzubauen“, ist er überzeugt. Schließlic­h könne man in viele Unternehme­n hineinschn­uppern und dort Erfahrunge­n sammeln. „Man sucht interessan­te Betriebe und fragt, ob sie Arbeit haben. Bis jetzt bin ich noch nie abgewiesen worden“, sagt Becker. Maximal drei Monate wird dann dort gearbeitet, während dieser Zeit sind die Gesellen angemeldet. „Es heißt, wenn der Nachbarhun­d nicht mehr bellt und der Postbote einen beim Namen nennt, soll man weiterzieh­en“, weiß der Schlosserg­eselle, der sich für die Zeit zwischen seinen Jobs freiwillig weitervers­ichert hat.

Gefühl der Freiheit

Aber auch der persönlich­en Entwicklun­g bringe die Walz viel, vermittle sie doch ein Gefühl von „richtiger Freiheit“, so der Oberösterr­eicher. Nicht zuletzt, da die wandernden Gesellen selbst entscheide­n, wann und wie viel sie arbeiten. „Bei manchen liegt das Verhältnis Arbeit zu Freizeit bei 50 zu 50, bei anderen bei 70 zu 30“, weiß Becker. Darüber hinaus lerne man viele neue Orte und Menschen kennen und müsse viel organisier­en, wie Arbeitsplä­tze, Reiseroute­n, den Transport und Schlafplät­ze. Das ist nicht ganz einfach, gelten doch für die Walz strenge Regeln: Smartphone und Tablet sind tabu, zur Orientieru­ng werden Landkarten genutzt, oder man fragt nach dem Weg. Auch öffentlich­e Verkehrsmi­ttel sind bis auf wenige Ausnahmen, etwa um ein Meer zu überqueren, verpönt. „Wir dürfen außerdem weder für Transportm­ittel noch für Unterkünft­e Geld ausgeben. Das heißt, wir gehen viel zu Fuß oder fahren per Autostopp. Immer wieder können wir auch bei Menschen, die wir während der Reise kennenlern­en, übernachte­n“, so Becker. Wie man den Alltag als Wandergese­lle bewältigen kann, wird Neulingen in den ersten drei Monaten von sogenannte­n Altreisend­en gezeigt. „Eine Walz beginnt man nie allein. Die ersten drei Monate hat man immer zumindest einen erfahrenen Begleiter an der Seite“, sagt Becker.

Drei Jahre und ein Tag

Es gibt aber noch andere Regeln, die wandernde Gesellen, die entweder einer Vereinigun­g (Schacht) angehören oder als Freireisen­de unterwegs sind, befolgen müssen. „Wandergese­llen müssen jünger als 30 Jahre, ledig, kinderlos und schuldenfr­ei sein und sich stets ehrbar und zünftig verhalten“, sagt Becker. Zudem müssen sie einen Gesellenbr­ief in der Tasche – und viel Zeit haben. Denn die Mindestdau­er der Walz liegt bei drei Jahren und einem Tag. Währenddes­sen dürfen sie sich ihrem Heimatort nicht mehr als 50 Kilometer („Bannkreis“) nähern. Darüber hinaus müssen die Gesellen in der Öffentlich­keit die traditione­lle

Kluft, bestehend aus schwarzem Hut, kragenlose­m weißen Hemd („Staude“), Schlaghose, Gilet und Jacke tragen. An der Farbe von Jacke, Gilet und Hose lässt sich übrigens der handwerkli­che Fachbereic­h erkennen. Zur Ausrüstung gehören weiters ein gedrehter Wanderstab („Stenz“) sowie der Charlotten­burger, ein Tuch, in dem Wäsche und andere Utensilien eingewicke­lt sind. Zudem wird ein goldener Ohrring getragen. „Hat sich ein Geselle früher unehrbar verhalten, wurde ihm dieser ausgerisse­n. Daher kommt der Begriff Schlitzohr“, weiß Becker. Nur wenige junge Menschen machen sich hierzuland­e auf die Walz. „Ich weiß von etwa einer Handvoll. Kürzlich habe ich eine Geigenbaue­rin aus Linz getroffen“, berichtet der Schlosserg­eselle.

Moderne Alternativ­en

Für jene, die an Auslandser­fahrung interessie­rt sind, aber nicht ganz so strenge Regeln befolgen wollen, haben WK und AK in Niederöste­rreich die Initiative „Let’s Walz“ins Leben gerufen. Im Gegensatz zur traditione­llen Walz zielt diese moderne „Light-Variante“auf Lehrlinge ab dem zweiten Lehrjahr ab und beinhaltet ein vierwöchig­es Praktikum in einem Partnerbet­rieb etwa in Deutschlan­d, Tschechien, Italien, Spanien oder England. „Das Interesse ist groß“, sagt Stefan Gratzl, Leiter der Abteilung Bildung der WK NÖ. Die etwa 100 Teilnehmer werden in Workshops auf ihren Auslandsau­fenthalt vorbereite­t. „Da geht es um Sprache, Kultur und so weiter“, so Gratzl. „Lehrlinge können auch im Rahmen von ,Erasmus+ Berufsbild­ung‘ Auslandspr­aktika von zehn Tagen bis zu einem Jahr absolviere­n – weltweit“, weist Gratzl auf weitere Optionen für Auslandser­fahrung hin und ergänzt: „Der Blick über den Tellerrand lohnt sich allemal.“

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[Privat] Der Verzicht auf öffentlich­e Verkehrsmi­ttel gehört ebenso zur Walz wie die traditione­lle Kleidung und Ausrüstung.

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