„Der Sprit ist im Iran billiger als Wasser“
Expedition Europa: Aserbaidschan wünscht sich einen Korridor durch Armenien – das könnte zu einer kriegerischen Auseinandersetzung führen.
Um wieder mal eines der potenziellen Schlachtfelder von morgen zu begehen, mache ich in diesem Winter noch schnell den „ZangezurKorridor“. Armenien definiert „Korridor“als Wunsch des Erzfeinds Aserbaidschan, eine Verbindungsstraße zu seiner westlichen Exklave Nachitschewan durch Armenien zu bekommen, die pantürkischen Verbündeten Aserbaidschan und Türkei meinen damit eher einen Streifen Land, den sie Armenien notfalls auch militärisch abringen könnten – so bald wie möglich.
Die betroffene armenische Südregion Sjunik ist dünn besiedelt und von unzugänglichen Hochgebirgen durchzogen, nur ganz unten an der kurzen armenisch-iranischen Grenze wäre eine Vereinigung der Turkwelt „Turan“leicht : Entlang des Grenzflusses Aras verläuft bereits die derzeit brachliegende Bahnstrecke Baku-Meghri-NachitschewanJerewan-Moskau. Weder Armenien noch der Iran will jedoch die armenisch-iranische Grenze hergeben. Man sollte meinen, der „erste christliche Staat der Welt“und die aggressive Vormacht des schiitischen Islamismus hätten einander nichts zu sagen, die Beziehungen sind aber freundlich, für das zwischen zwei feindseligen Turkstaaten eingezwängte Armenien stellt der Iran eine Lebensschnur zur Welt dar.
Armenien ist klein, die Fahrt aus Jerewan ins Grenzstädtchen Meghri dauert aber sieben bis acht Stunden, die vor den verlorenen Karabach-Kriegen genutzte Fernstraße Goris-Kapan wird von aserbaidschanischen Uniformierten blockiert. Ich muss in die schwindelerregende Schlucht unter dem Tatev-Kloster runter, über die „Teufelsbrücke“. Kurz vor Meghri eine böse Überraschung: ein 2535 Meter hoher Pass, ganz oben keine Leitplanken mehr. Leer heimfahrende iranische Lkw, darunter Oldtimer mit Nase.
1925 Meter tiefer bin ich in Meghri, einer ockerfarbenen Oase zwischen kahlen ockerfarbenen Felsen. Es dunkelt, aber ich sehe noch den Iran. Man erkennt die verwaiste Bahntrasse mit ihren aufwendigen Galerien. Die Schienen wurden beim Kriegsausbruch mit Aserbaidschan abmontiert und von der neuen Nationalelite verhökert. Nur die Älteren erinnern sich an den Zug, mit dem sie zu Sowjetzeiten durch Nachitschewan nach Jerewan fuhren. Die Jüngeren wissen nicht einmal, dass der Bahnhof ein Bahnhof war.
Am Stahlzaun des Grenzübergangs lehnen über dreißig geschundene, meist zweirädrige Marktroller. Armenier dürfen einmal täglich 25 Kilo aus dem Iran einführen. Ich höre Liebeserklärungen an das faszinierende Nachbarland: „Der Iran ist so groß, dass du vier Jahreszeiten gleichzeitig hast.“– „Fünf Kilo Mandarinen kosten im Iran 1000 Dram, ein Kilo bei uns 800 Dram. Nur die iranischen Würstel sind halt nix.“– „Sprit ist bei ihnen billiger als Wasser!“– „Es kommen sogar vierköpfige Familien aus Jerewan im Auto, schlafen eine Nacht in einer Billigpension und fahren mit 200 Kilo wieder heim.“Auf eine Frau mit Marktroller wartend, schwingt ein ewiger Grenztaxler wehrhafte Reden gegen die befürchtete Zangezur-Aggression. Auch in der angrenzenden iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan leben mehrheitlich Aseris: „Die Mullahs machen genau das Richtige mit ihnen – die knuten sie ordentlich!“
Am Abend trete ich in eine russisch als „Diskoteka“angeschriebene Bar. Der Besitzer, der zwischendurch mit armenischen Freunden in Petersburg skypt, hat ältere Freunde um eine üppige Fleischplatte versammelt, von der keiner viel nimmt. Siehe da, hier sitzt das Establishment der Grenzwache, und das Establishment lädt mich dazu. Besonders ein knolläugiger Soldat der Grenztruppen schaut bewegt auf die Achtzigervideos, die auch mich so rühren, auf den verliebten Glanz in den Augen der jungen Romina Power. Keiner der Männer war je in Italien, aber „ein Freund war in Portugal und sagt, die Leute im Süden Europas sind so wie wir“. Er leidet darunter, dass er Armenien als Soldat seit 25 Jahren nicht verlassen darf: „In der Pension fahre ich als Erstes nach Paris, mein Bruder hat dort ein Restaurant.“Der Beamte von der Staatsbank am Grenzübergang schwärmt von seinem Ausflug in den Iran. Es sei unfassbar billig. Als die Rede auf Armeniens unzuverlässige Schutzmacht Russland kommt, schimpfen sie los. Der jüngste Armenier am Tisch arbeitet in Meghri für die Grenztruppen des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Er verstummt und setzt sich später weg.
Anderntags fahre ich über den kahlen Meghri-Pass zurück. Der Nebel zieht zum Glück erst auf anderen Pässen auf. Ich weiß jetzt, dass die Locals hier oben Kräuter für Heiltees sammeln, die bringe ich den Großmüttern mit. Ich weiß nun auch, dass ich nicht in die Teufelsschlucht, sondern nur den Lkw folgen muss – auf einer brandneuen, 25 bis 30 durchgehende Kilometer in den Berg gesprengten Straße. Unbemerkt von der Welt und von gängigen Routenplanern, baut sich Armenien hier seinen eigenen Korridor – in den Iran.