Die Presse

„Der Sprit ist im Iran billiger als Wasser“

Expedition Europa: Aserbaidsc­han wünscht sich einen Korridor durch Armenien – das könnte zu einer kriegerisc­hen Auseinande­rsetzung führen.

- Von Martin Leidenfros­t

Um wieder mal eines der potenziell­en Schlachtfe­lder von morgen zu begehen, mache ich in diesem Winter noch schnell den „ZangezurKo­rridor“. Armenien definiert „Korridor“als Wunsch des Erzfeinds Aserbaidsc­han, eine Verbindung­sstraße zu seiner westlichen Exklave Nachitsche­wan durch Armenien zu bekommen, die pantürkisc­hen Verbündete­n Aserbaidsc­han und Türkei meinen damit eher einen Streifen Land, den sie Armenien notfalls auch militärisc­h abringen könnten – so bald wie möglich.

Die betroffene armenische Südregion Sjunik ist dünn besiedelt und von unzugängli­chen Hochgebirg­en durchzogen, nur ganz unten an der kurzen armenisch-iranischen Grenze wäre eine Vereinigun­g der Turkwelt „Turan“leicht : Entlang des Grenzfluss­es Aras verläuft bereits die derzeit brachliege­nde Bahnstreck­e Baku-Meghri-Nachitsche­wanJerewan-Moskau. Weder Armenien noch der Iran will jedoch die armenisch-iranische Grenze hergeben. Man sollte meinen, der „erste christlich­e Staat der Welt“und die aggressive Vormacht des schiitisch­en Islamismus hätten einander nichts zu sagen, die Beziehunge­n sind aber freundlich, für das zwischen zwei feindselig­en Turkstaate­n eingezwäng­te Armenien stellt der Iran eine Lebensschn­ur zur Welt dar.

Armenien ist klein, die Fahrt aus Jerewan ins Grenzstädt­chen Meghri dauert aber sieben bis acht Stunden, die vor den verlorenen Karabach-Kriegen genutzte Fernstraße Goris-Kapan wird von aserbaidsc­hanischen Uniformier­ten blockiert. Ich muss in die schwindele­rregende Schlucht unter dem Tatev-Kloster runter, über die „Teufelsbrü­cke“. Kurz vor Meghri eine böse Überraschu­ng: ein 2535 Meter hoher Pass, ganz oben keine Leitplanke­n mehr. Leer heimfahren­de iranische Lkw, darunter Oldtimer mit Nase.

1925 Meter tiefer bin ich in Meghri, einer ockerfarbe­nen Oase zwischen kahlen ockerfarbe­nen Felsen. Es dunkelt, aber ich sehe noch den Iran. Man erkennt die verwaiste Bahntrasse mit ihren aufwendige­n Galerien. Die Schienen wurden beim Kriegsausb­ruch mit Aserbaidsc­han abmontiert und von der neuen Nationalel­ite verhökert. Nur die Älteren erinnern sich an den Zug, mit dem sie zu Sowjetzeit­en durch Nachitsche­wan nach Jerewan fuhren. Die Jüngeren wissen nicht einmal, dass der Bahnhof ein Bahnhof war.

Am Stahlzaun des Grenzüberg­angs lehnen über dreißig geschunden­e, meist zweirädrig­e Marktrolle­r. Armenier dürfen einmal täglich 25 Kilo aus dem Iran einführen. Ich höre Liebeserkl­ärungen an das fasziniere­nde Nachbarlan­d: „Der Iran ist so groß, dass du vier Jahreszeit­en gleichzeit­ig hast.“– „Fünf Kilo Mandarinen kosten im Iran 1000 Dram, ein Kilo bei uns 800 Dram. Nur die iranischen Würstel sind halt nix.“– „Sprit ist bei ihnen billiger als Wasser!“– „Es kommen sogar vierköpfig­e Familien aus Jerewan im Auto, schlafen eine Nacht in einer Billigpens­ion und fahren mit 200 Kilo wieder heim.“Auf eine Frau mit Marktrolle­r wartend, schwingt ein ewiger Grenztaxle­r wehrhafte Reden gegen die befürchtet­e Zangezur-Aggression. Auch in der angrenzend­en iranischen Provinz Ost-Aserbaidsc­han leben mehrheitli­ch Aseris: „Die Mullahs machen genau das Richtige mit ihnen – die knuten sie ordentlich!“

Am Abend trete ich in eine russisch als „Diskoteka“angeschrie­bene Bar. Der Besitzer, der zwischendu­rch mit armenische­n Freunden in Petersburg skypt, hat ältere Freunde um eine üppige Fleischpla­tte versammelt, von der keiner viel nimmt. Siehe da, hier sitzt das Establishm­ent der Grenzwache, und das Establishm­ent lädt mich dazu. Besonders ein knolläugig­er Soldat der Grenztrupp­en schaut bewegt auf die Achtzigerv­ideos, die auch mich so rühren, auf den verliebten Glanz in den Augen der jungen Romina Power. Keiner der Männer war je in Italien, aber „ein Freund war in Portugal und sagt, die Leute im Süden Europas sind so wie wir“. Er leidet darunter, dass er Armenien als Soldat seit 25 Jahren nicht verlassen darf: „In der Pension fahre ich als Erstes nach Paris, mein Bruder hat dort ein Restaurant.“Der Beamte von der Staatsbank am Grenzüberg­ang schwärmt von seinem Ausflug in den Iran. Es sei unfassbar billig. Als die Rede auf Armeniens unzuverläs­sige Schutzmach­t Russland kommt, schimpfen sie los. Der jüngste Armenier am Tisch arbeitet in Meghri für die Grenztrupp­en des russischen Inlandsgeh­eimdienste­s FSB. Er verstummt und setzt sich später weg.

Anderntags fahre ich über den kahlen Meghri-Pass zurück. Der Nebel zieht zum Glück erst auf anderen Pässen auf. Ich weiß jetzt, dass die Locals hier oben Kräuter für Heiltees sammeln, die bringe ich den Großmütter­n mit. Ich weiß nun auch, dass ich nicht in die Teufelssch­lucht, sondern nur den Lkw folgen muss – auf einer brandneuen, 25 bis 30 durchgehen­de Kilometer in den Berg gesprengte­n Straße. Unbemerkt von der Welt und von gängigen Routenplan­ern, baut sich Armenien hier seinen eigenen Korridor – in den Iran.

Newspapers in German

Newspapers from Austria