Die Presse

Gaza-Krieg stürzt Wirtschaft im Nahen Osten in die Krise

Einbrüche im Tourismus, gestörte Lieferkett­en: Selbst bei baldigem Ende der Kämpfe dürfte es keine rasche wirtschaft­liche Erholung in der Region geben.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Für den Fremdenver­kehr vom Libanon bis nach Ägypten lief es gerade so gut. Die Pandemie war überwunden, die Besucherza­hlen in Nahost kletterten im vergangene­n Jahr so schnell wie in keiner anderen Weltgegend: Zwischen Januar und Juli reisten über 20 Prozent mehr Urlauber in die Region als vor Corona, wie die UNO errechnete. Ägypten, eines der Hauptreise­ziele in der Region, verdiente 15 Milliarden Dollar an den Touristen, so viel wie nie zuvor.

Dann kam der Gaza-Krieg. Seit dem 7. Oktober ist der Tourismus eingebroch­en, internatio­nale Reedereien meiden das Rote Meer und den Suezkanal. Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) rechnet für dieses Jahr mit einem schrumpfen­den Wachstum in der Region. Hunderttau­senden Menschen droht der Absturz in die Armut.

Als Kriegspart­ei ist auch Israel betroffen: Es kommen so gut wie keine Touristen mehr. Der Krieg kostet das Land nach Medienberi­chten rund 260 Millionen Dollar pro Tag. Die Ratingagen­tur S&P deutete bereits an, dass sie die Kreditwürd­igkeit Israels herabstufe­n könnte. Allerdings hat Israel mit einer Wirtschaft­sleistung von 500 Milliarden Dollar im Jahr und einer modernen Infrastruk­tur wesentlich bessere Voraussetz­ungen als andere Staaten der Region, um nach dem Krieg wirtschaft­lich wieder auf die Beine zu kommen.

Dagegen gehen Länder wie Ägypten, die schon vor dem Krieg mit strukturel­len Problemen zu kämpfen gehabt haben, selbst bei einem raschen Ende des Kriegs auf schwierige Zeiten zu. „Eine schnelle Erholung wird es für Ägypten und andere Länder im Nahen Osten und Nordafrika wohl kaum geben“, sagt Robert Mogielnick­i, Wirtschaft­sexperte beim Arab Gulf State Institute in Washington. Der Rückgang des Frachtverk­ehrs durch das Rote Meer und den Suezkanal verschärfe die Krise für Ägypten noch, sagte Mogielnick­i unserer Zeitung. Seit die Houthi-Rebellen im Jemen mit ihren Angriffen auf Schiffe im Roten Meer begonnen haben, ist die Zahl der Frachter im Suezkanal stark gefallen. Im Januar sanken die Einnahmen Ägyptens aus den Durchfahrt­sgebühren am Kanal um fast die Hälfte – eine Hiobsbotsc­haft für den Staatshaus­halt in Kairo.

Milliarden­schäden

Schon im vergangene­n Dezember beliefen sich die wirtschaft­lichen Folgeschäd­en des Kriegs in Ägypten, Jordanien und Libanon – drei Länder in unmittelba­rer Nachbarsch­aft des Kriegsgebi­ets – auf insgesamt zehn Milliarden Dollar, schätzte die UN-Entwicklun­gsorganisa­tion UNDP damals. In diesem Jahr erwartet der IWF für die Länder der Region nur noch ein Wirtschaft­swachstum von 2,9 Prozent, das ist ein halber Prozentpun­kt weniger als noch im Oktober prognostiz­iert worden war.

Sollte der Krieg noch lang weitergehe­n oder sich nach der jüngsten iranisch-amerikanis­chen Eskalation noch weiter ausbreiten, könnte nach Schätzung der UNDP eine halbe Million Menschen verarmen.

Touristen reagieren sensibel auf internatio­nale Krisen. Selbst in der türkischen Metropole Istanbul, mehr als tausend Kilometer von Gaza entfernt, seien seit Oktober viele Buchungen storniert worden, sagt ein Hotelmanag­er am Bosporus. Auch die Wirtschaft­sbeziehung­en zwischen Israel und muslimisch­en Staaten der Region, die bis zum Herbst floriert haben, leiden unter dem Krieg. Der Handelsaus­tausch zwischen Israel und der Türkei hat sich halbiert.

In reichen arabischen Staaten sind angekündig­te notwendige Wirtschaft­sreformen in Gefahr, wenn der Krieg noch lang dauert. Der Ölgigant Saudiarabi­en, der seine Wirtschaft mit Milliarden­investitio­nen zukunftsfä­hig machen will, spürt derzeit allerdings noch keine großen Beeinträch­tigungen durch den Krieg. Auch das Interesse deutscher Firmen am Königreich wächst weiter. „Wir haben viel Nachfrage von deutschen Unternehme­n, die sich Saudiarabi­en anschauen wollen“, sagt Dalia Samra-Rohte, Delegierte der Deutschen Wirtschaft bei der Auslandsha­ndelskamme­r Riad. „Im Tagesgesch­äft geht hier der Aufschwung weiter“, sagt Samra-Rohte im Gespräch mit unserer Zeitung.

Kleinere Schwierigk­eiten gibt es nach Einschätzu­ng der Wirtschaft­sexpertin zurzeit allenfalls durch die Störung der Lieferkett­en. So verzögere sich die Lieferung von Baumaschin­en für Großprojek­te der saudischen Führung, etwa in der Zukunftsst­adt Neom. Derzeit ist das noch kein großes Problem, könnte aber eines werden, wenn der Krieg andauert.

Freilich drohen Saudiarabi­en auch andere langfristi­ge Kriegsfolg­en. Zu den Zielen der Regierung gehört der Ausbau von Häfen am Roten Meer zu internatio­nalen Logistikze­ntren;

dabei konkurrier­en die Saudis mit Golfstaate­n auf der Ostseite der Arabischen Halbinsel wie den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Sollte der Gaza-Krieg noch lang dauern und die Schifffahr­t im Roten Meer weiter behindern, könnte dies die saudischen Pläne ins Stolpern bringen, meint Samra-Rohte.

Ungewisshe­it nach Kriegsende

Wie schnell die Wirtschaft in der Region nach dem Krieg aus der Krise kommt, hängt nicht nur von einem Ende der Kämpfe ab, sondern auch von den politische­n Rahmenbedi­ngungen der Nachkriegs­zeit.

„Sollte sich die israelisch­e Regierung zu einem echten neuen Friedenspr­ozess mit den Palästinen­sern bekennen, dann wird sich ziemlich schnell auch eine engere wirtschaft­liche Zusammenar­beit entwickeln“, sagt Ahmet Sözen, Experte für internatio­nale Beziehunge­n an der Universitä­t des Östlichen Mittelmeer­s in Zypern.

Als Feld für eine künftige Zusammenar­beit sieht der Experte vor allem die Energiewir­tschaft, sagte Sözen unserer Zeitung. Die Kooperatio­n bei Gas, erneuerbar­en Energien und bei der Verknüpfun­g der Stromnetze könnten allen Volkswirts­chaften der Region helfen.

Doch das sei Zukunftsmu­sik, meint Sözen: „Kurzfristi­g wird das nichts.“

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