Gaza-Krieg stürzt Wirtschaft im Nahen Osten in die Krise
Einbrüche im Tourismus, gestörte Lieferketten: Selbst bei baldigem Ende der Kämpfe dürfte es keine rasche wirtschaftliche Erholung in der Region geben.
Für den Fremdenverkehr vom Libanon bis nach Ägypten lief es gerade so gut. Die Pandemie war überwunden, die Besucherzahlen in Nahost kletterten im vergangenen Jahr so schnell wie in keiner anderen Weltgegend: Zwischen Januar und Juli reisten über 20 Prozent mehr Urlauber in die Region als vor Corona, wie die UNO errechnete. Ägypten, eines der Hauptreiseziele in der Region, verdiente 15 Milliarden Dollar an den Touristen, so viel wie nie zuvor.
Dann kam der Gaza-Krieg. Seit dem 7. Oktober ist der Tourismus eingebrochen, internationale Reedereien meiden das Rote Meer und den Suezkanal. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für dieses Jahr mit einem schrumpfenden Wachstum in der Region. Hunderttausenden Menschen droht der Absturz in die Armut.
Als Kriegspartei ist auch Israel betroffen: Es kommen so gut wie keine Touristen mehr. Der Krieg kostet das Land nach Medienberichten rund 260 Millionen Dollar pro Tag. Die Ratingagentur S&P deutete bereits an, dass sie die Kreditwürdigkeit Israels herabstufen könnte. Allerdings hat Israel mit einer Wirtschaftsleistung von 500 Milliarden Dollar im Jahr und einer modernen Infrastruktur wesentlich bessere Voraussetzungen als andere Staaten der Region, um nach dem Krieg wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen.
Dagegen gehen Länder wie Ägypten, die schon vor dem Krieg mit strukturellen Problemen zu kämpfen gehabt haben, selbst bei einem raschen Ende des Kriegs auf schwierige Zeiten zu. „Eine schnelle Erholung wird es für Ägypten und andere Länder im Nahen Osten und Nordafrika wohl kaum geben“, sagt Robert Mogielnicki, Wirtschaftsexperte beim Arab Gulf State Institute in Washington. Der Rückgang des Frachtverkehrs durch das Rote Meer und den Suezkanal verschärfe die Krise für Ägypten noch, sagte Mogielnicki unserer Zeitung. Seit die Houthi-Rebellen im Jemen mit ihren Angriffen auf Schiffe im Roten Meer begonnen haben, ist die Zahl der Frachter im Suezkanal stark gefallen. Im Januar sanken die Einnahmen Ägyptens aus den Durchfahrtsgebühren am Kanal um fast die Hälfte – eine Hiobsbotschaft für den Staatshaushalt in Kairo.
Milliardenschäden
Schon im vergangenen Dezember beliefen sich die wirtschaftlichen Folgeschäden des Kriegs in Ägypten, Jordanien und Libanon – drei Länder in unmittelbarer Nachbarschaft des Kriegsgebiets – auf insgesamt zehn Milliarden Dollar, schätzte die UN-Entwicklungsorganisation UNDP damals. In diesem Jahr erwartet der IWF für die Länder der Region nur noch ein Wirtschaftswachstum von 2,9 Prozent, das ist ein halber Prozentpunkt weniger als noch im Oktober prognostiziert worden war.
Sollte der Krieg noch lang weitergehen oder sich nach der jüngsten iranisch-amerikanischen Eskalation noch weiter ausbreiten, könnte nach Schätzung der UNDP eine halbe Million Menschen verarmen.
Touristen reagieren sensibel auf internationale Krisen. Selbst in der türkischen Metropole Istanbul, mehr als tausend Kilometer von Gaza entfernt, seien seit Oktober viele Buchungen storniert worden, sagt ein Hotelmanager am Bosporus. Auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Israel und muslimischen Staaten der Region, die bis zum Herbst floriert haben, leiden unter dem Krieg. Der Handelsaustausch zwischen Israel und der Türkei hat sich halbiert.
In reichen arabischen Staaten sind angekündigte notwendige Wirtschaftsreformen in Gefahr, wenn der Krieg noch lang dauert. Der Ölgigant Saudiarabien, der seine Wirtschaft mit Milliardeninvestitionen zukunftsfähig machen will, spürt derzeit allerdings noch keine großen Beeinträchtigungen durch den Krieg. Auch das Interesse deutscher Firmen am Königreich wächst weiter. „Wir haben viel Nachfrage von deutschen Unternehmen, die sich Saudiarabien anschauen wollen“, sagt Dalia Samra-Rohte, Delegierte der Deutschen Wirtschaft bei der Auslandshandelskammer Riad. „Im Tagesgeschäft geht hier der Aufschwung weiter“, sagt Samra-Rohte im Gespräch mit unserer Zeitung.
Kleinere Schwierigkeiten gibt es nach Einschätzung der Wirtschaftsexpertin zurzeit allenfalls durch die Störung der Lieferketten. So verzögere sich die Lieferung von Baumaschinen für Großprojekte der saudischen Führung, etwa in der Zukunftsstadt Neom. Derzeit ist das noch kein großes Problem, könnte aber eines werden, wenn der Krieg andauert.
Freilich drohen Saudiarabien auch andere langfristige Kriegsfolgen. Zu den Zielen der Regierung gehört der Ausbau von Häfen am Roten Meer zu internationalen Logistikzentren;
dabei konkurrieren die Saudis mit Golfstaaten auf der Ostseite der Arabischen Halbinsel wie den Vereinigten Arabischen Emiraten. Sollte der Gaza-Krieg noch lang dauern und die Schifffahrt im Roten Meer weiter behindern, könnte dies die saudischen Pläne ins Stolpern bringen, meint Samra-Rohte.
Ungewissheit nach Kriegsende
Wie schnell die Wirtschaft in der Region nach dem Krieg aus der Krise kommt, hängt nicht nur von einem Ende der Kämpfe ab, sondern auch von den politischen Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit.
„Sollte sich die israelische Regierung zu einem echten neuen Friedensprozess mit den Palästinensern bekennen, dann wird sich ziemlich schnell auch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit entwickeln“, sagt Ahmet Sözen, Experte für internationale Beziehungen an der Universität des Östlichen Mittelmeers in Zypern.
Als Feld für eine künftige Zusammenarbeit sieht der Experte vor allem die Energiewirtschaft, sagte Sözen unserer Zeitung. Die Kooperation bei Gas, erneuerbaren Energien und bei der Verknüpfung der Stromnetze könnten allen Volkswirtschaften der Region helfen.
Doch das sei Zukunftsmusik, meint Sözen: „Kurzfristig wird das nichts.“