„Zeigen, wie es in der Hölle ist“
Eine beliebte Serie über Jugendbanden in der Sowjetunion sorgt für Debatten: Zeigt sie die Verrohung der Gesellschaft? Regt sie Jugendliche zu Gewalttaten an?
Schon im Trailer sieht man wild um sich schlagende Jugendliche und einen Leichenzug. Es geht um die Gewalt von Banden, die in den späten 1980ern in der damaligen Sowjetunion berüchtigt waren. Jugendliche teilten sich unter Beobachtung älterer Krimineller „den Asphalt auf ”. Der junge Andrej will ein Bandenmitglied werden, ein „Patsany”. Er will nicht länger Opfer und Außenseiter sein, sondern selbst zuschlagen.
Dabei interessiert sich der ruhige Gymnasiast zunächst eher fürs Klavierspielen. Aber im Laufe von acht Serienfolgen wird er zum tatkräftigen Bandenmitglied. Sein Leben besteht fortan aus blutigen Kämpfen und Erniedrigungen. Auch Vergewaltigungen und Mord unter den Jugendlichen werden nicht ausgespart.
Die Handlung der Serie „Slovo patsana. Krov na asfalte” („Wort eines Jungen. Blut am Asphalt”) beruht auf den Erinnerungen des Journalisten Robert Garajew. Er war selbst Mitglied einer jugendlichen Straßengang. Besonders bekannt für dieses Bandenunwesen war Kasan, die Hauptstadt der russischen Republik Tatarstan, etwa zwölf Autostunden von Moskau entfernt.
Alte Traumata kommen hoch
Was beabsichtigt eine solche Serie? „Meine Aufgabe war es, mit maximaler Präzision und Ehrlichkeit zu zeigen, wie es ist, in dieser Hölle zu sein“, sagt der Regisseur Zhora Kryzhovnikov in einem Interview mit der russischen Filmwebseite Kinopoisk, zitiert von der „Moscow Times”.
„Slovo patsana. Krov na asfalte” ist bis dato nur auf Russisch zu sehen. Im Gespräch mit „Die Presse” erzählt Ilia, ein in Österreich lebender russischer Student, dass er die Serie abbrechen musste – das Gezeigte erinnerte ihn zu schmerzhaft an das Russland seiner Kindheit. „All diese Ereignisse in der Serie zeugen von den Traumata, die die Leute der Sowjetunion erlitten haben. Die Vorstellungen von damals, dass man gewalttätig sein muss, um Respekt zu erlangen, leben leider bis in die heutigen Generationen weiter.” Auch die „Süddeutsche Zeitung” verweist auf Parallelen zwischen Verrohung und Perspektivlosigkeit in der Serie und im heutigen Russland. Gräueltaten wie die der Straßengangs in der Serie gäbe es immer noch im russischen Militär – zum Beispiel die systematische Misshandlung von jungen Rekruten durch ältere Soldaten.
Politiker fordern Verbot
In Russland sei die Bandenserie ein Phänomen, sagt der 28-jährige Ilia. Auch seine Mutter habe ihn kürzlich darauf angesprochen. Aber besonders Teenager würden von der gezeigten 90er-Jahre Stimmung schwärmen. Offiziell ist „Slovo Patsana” erst ab 18 Jahren freigegeben.
Die Serie hat in Russland einen neuen Rekord aufgestellt: In den ersten zwei Wochen nach dem Serienstart letzten November verdrängte „Slovo Patsana” den koreanischen Blockbuster „Squid Game” vom Beliebtheitsspitzenplatz. Auch in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion gibt es einen Hype um die Serie. Sie ist letzten November erstmals auf russischen Streamingdiensten veröffentlicht worden. Eine Kreml-nahe Institution soll an der Produktion beteiligt gewesen sein.
Aber Politiker in der Region Tatarstan fordern mittlerweile ein Verbot der Serie. Ein Auslöser dafür waren laut der „Süddeutschen” Straßenschlägereien, in denen Jugendliche ihre Serienhelden imitiert und von denen sie Videos auf Telegram verbreitet haben. Es wird auch Kritik laut, dass die Serie Gewalt romantisiere und ein schlechtes Vorbild für die Jugend sei.
In Moskau in Ungnade gefallen ist indes das Musikerduo, das den Soundtrack der Serie lieferte: Die Sängerin und der Produzent von „Aigel” haben sich öffentlich gegen den Krieg in der Ukraine geäußert. Sie leben mittlerweile in Deutschland beziehungsweise Weißrussland. Die Informationen zum Soundtrack sind in den Serien-Credits nicht auffindbar.
Trotzdem hat die tatarische Musik von „Aigel“Erfolg: Die poetisch-dokumentarischen Lieder mit ihren eindringlichen Beats werden millionenfach gehört.