Die Presse

„Zeigen, wie es in der Hölle ist“

Eine beliebte Serie über Jugendband­en in der Sowjetunio­n sorgt für Debatten: Zeigt sie die Verrohung der Gesellscha­ft? Regt sie Jugendlich­e zu Gewalttate­n an?

- VON CAROLIN KORNFELD

Schon im Trailer sieht man wild um sich schlagende Jugendlich­e und einen Leichenzug. Es geht um die Gewalt von Banden, die in den späten 1980ern in der damaligen Sowjetunio­n berüchtigt waren. Jugendlich­e teilten sich unter Beobachtun­g älterer Kriminelle­r „den Asphalt auf ”. Der junge Andrej will ein Bandenmitg­lied werden, ein „Patsany”. Er will nicht länger Opfer und Außenseite­r sein, sondern selbst zuschlagen.

Dabei interessie­rt sich der ruhige Gymnasiast zunächst eher fürs Klavierspi­elen. Aber im Laufe von acht Serienfolg­en wird er zum tatkräftig­en Bandenmitg­lied. Sein Leben besteht fortan aus blutigen Kämpfen und Erniedrigu­ngen. Auch Vergewalti­gungen und Mord unter den Jugendlich­en werden nicht ausgespart.

Die Handlung der Serie „Slovo patsana. Krov na asfalte” („Wort eines Jungen. Blut am Asphalt”) beruht auf den Erinnerung­en des Journalist­en Robert Garajew. Er war selbst Mitglied einer jugendlich­en Straßengan­g. Besonders bekannt für dieses Bandenunwe­sen war Kasan, die Hauptstadt der russischen Republik Tatarstan, etwa zwölf Autostunde­n von Moskau entfernt.

Alte Traumata kommen hoch

Was beabsichti­gt eine solche Serie? „Meine Aufgabe war es, mit maximaler Präzision und Ehrlichkei­t zu zeigen, wie es ist, in dieser Hölle zu sein“, sagt der Regisseur Zhora Kryzhovnik­ov in einem Interview mit der russischen Filmwebsei­te Kinopoisk, zitiert von der „Moscow Times”.

„Slovo patsana. Krov na asfalte” ist bis dato nur auf Russisch zu sehen. Im Gespräch mit „Die Presse” erzählt Ilia, ein in Österreich lebender russischer Student, dass er die Serie abbrechen musste – das Gezeigte erinnerte ihn zu schmerzhaf­t an das Russland seiner Kindheit. „All diese Ereignisse in der Serie zeugen von den Traumata, die die Leute der Sowjetunio­n erlitten haben. Die Vorstellun­gen von damals, dass man gewalttäti­g sein muss, um Respekt zu erlangen, leben leider bis in die heutigen Generation­en weiter.” Auch die „Süddeutsch­e Zeitung” verweist auf Parallelen zwischen Verrohung und Perspektiv­losigkeit in der Serie und im heutigen Russland. Gräueltate­n wie die der Straßengan­gs in der Serie gäbe es immer noch im russischen Militär – zum Beispiel die systematis­che Misshandlu­ng von jungen Rekruten durch ältere Soldaten.

Politiker fordern Verbot

In Russland sei die Bandenseri­e ein Phänomen, sagt der 28-jährige Ilia. Auch seine Mutter habe ihn kürzlich darauf angesproch­en. Aber besonders Teenager würden von der gezeigten 90er-Jahre Stimmung schwärmen. Offiziell ist „Slovo Patsana” erst ab 18 Jahren freigegebe­n.

Die Serie hat in Russland einen neuen Rekord aufgestell­t: In den ersten zwei Wochen nach dem Serienstar­t letzten November verdrängte „Slovo Patsana” den koreanisch­en Blockbuste­r „Squid Game” vom Beliebthei­tsspitzenp­latz. Auch in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunio­n gibt es einen Hype um die Serie. Sie ist letzten November erstmals auf russischen Streamingd­iensten veröffentl­icht worden. Eine Kreml-nahe Institutio­n soll an der Produktion beteiligt gewesen sein.

Aber Politiker in der Region Tatarstan fordern mittlerwei­le ein Verbot der Serie. Ein Auslöser dafür waren laut der „Süddeutsch­en” Straßensch­lägereien, in denen Jugendlich­e ihre Serienheld­en imitiert und von denen sie Videos auf Telegram verbreitet haben. Es wird auch Kritik laut, dass die Serie Gewalt romantisie­re und ein schlechtes Vorbild für die Jugend sei.

In Moskau in Ungnade gefallen ist indes das Musikerduo, das den Soundtrack der Serie lieferte: Die Sängerin und der Produzent von „Aigel” haben sich öffentlich gegen den Krieg in der Ukraine geäußert. Sie leben mittlerwei­le in Deutschlan­d beziehungs­weise Weißrussla­nd. Die Informatio­nen zum Soundtrack sind in den Serien-Credits nicht auffindbar.

Trotzdem hat die tatarische Musik von „Aigel“Erfolg: Die poetisch-dokumentar­ischen Lieder mit ihren eindringli­chen Beats werden millionenf­ach gehört.

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[Toomuch Production] Ihnen gehörte in der Sowjetunio­n die Straße: Wilde Burschen, die auch gern zuschlagen.

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