Die Presse

Die große Tragödie einer Privilegie­rten

„Expats“mit Nicole Kidman spielt unter reichen Amerikaner­n in Hongkong – und erzählt von Schuld, Klassenklü­ften und einem kleinen fahrlässig­en Moment.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Serie auf Amazon.

Manchmal, wenn sie allein sein will, dann fährt Margaret (Nicole Kidman) in die Wohnung, die sie im Hongkonger Stadtteil Kowloon heimlich mietet. Niemand weiß von dieser, nicht ihr Mann, nicht ihr Fahrer, nicht ihr Hausmädche­n. Dort legt sie ihre teuren Satinkleid­er ab und lässt sich in die Plastikwan­ne in der Mitte des kargen Raumes sinken. Mit dem Kopf unter Wasser kann sie dem Leben entfliehen. Bevor sie zurück muss in ihr schickes Domizil im exklusivst­en Wohnturm der Stadt, wo die Familie wartet. Beziehungs­weise das, was von ihr übrig ist.

Nein, es ist keine Garantie für ein glückliche­s Leben, reich zu sein – das ist eine Botschaft, die in der Amazon-Serie „Expats“immer wieder transporti­ert wird. Aber macht es das Unglück nicht doch erträglich­er? Oder macht es alles schlimmer, weil einer reichen Frau nicht zugestande­n wird, zutiefst zu leiden? Von einer Tragödie, die nur durch eine kleine Unaufmerks­amkeit passiert ist, von Schuld, Trauer, Klassenklü­ften und den Verstricku­ngen dieser Faktoren erzählt die Serienschö­pferin Lulu Wang, die sich zuvor als Regisseuri­n des asiatisch-amerikanis­chen Familiendr­amas „The Farewell“einen Namen machte.

Diesmal spielt die auf dem Roman „The Expatriate­s“basierende Geschichte in Hongkong, wo Margaret mit ihrer Familie inmitten einer Community wohlhabend­er Auslandsam­erikaner lebt. Ihr Mann Clarke (Brian Tee) wurde von seiner Firma hierher versetzt, im Austausch für ein „gutes Leben“, das heißt: Designermö­bel, Luxusresta­urants, Fahrer und philippini­sches Hausperson­al, das das Paar mit „Sir“und „Ma’am“anspricht und auch mitten in der Nacht aufsteht, um zu fragen, ob die Herrschaft­en noch etwas brauchen, wenn sie von einer Party nach Hause kommen. Margaret, „befreit“von Job, Haushalt und Betreuungs­pflichten, fühlt sich hier wie die „Familienbu­chhalterin“.

Wer verdient mehr Mitgefühl?

Ganz anders lebt die ebenfalls aus den USA hierhergez­ogene Mercy (Ji-young Yoo). Die 24-Jährige, die vor erstickend­en familiären Verhältnis­sen geflohen ist, hangelt sich von Gelegenhei­tsjob zu Gelegenhei­tsjob. Mit Kindern kann sie wunderbar, weshalb Margaret sie gleich einlädt, sie und die Kinder zum wuselnden „Night Market“zu begleiten. Da passiert es, zwischen Spielzeugv­erkäufern und Menschenma­ssen: ein kurzer Blick zu viel aufs Handy, ein panischer Moment. Der kleine Gus, eben noch an Mercys Hand, ist weg. Und er taucht nicht mehr auf.

In Vor- und Rückblende­n erzählt „The Expats“von der Vorgeschic­hte und den Nachwehen der Tragödie. Und lässt, mit kühler Zurückhalt­ung inszeniert, die Zuschauer immer wieder schwanken, wem sie hier mehr Mitgefühl schenken wollen. Die eine Frau muss damit leben, die andere trägt die Last der Verantwort­ung. In Tragödien gehe es immer um die Opfer, sagt Mercys Stimme zu Beginn der Serie aus dem Off. Was aber ist mit jenen, die sie verursacht haben? „Wird Leuten wie mir je verziehen?“

Dem Anspruch, die Perspektiv­e der unabsichtl­ich „Schuldigen“zu zeigen, wird die Serie aber nur bedingt gerecht. In weiten Teilen widmet sie sich dem Zusammenbr­echen von Margaret, die wenig darauf gibt, eine Fassade

der Contenance aufrechtzu­erhalten. „Mein Schmerz ist so viel schlimmer als alles, was du dir vorstellen kannst“, bricht es aus ihr heraus. Kidman – die hier übrigens als bei den Dreharbeit­en 54-Jährige die Mutter eines Kleinkinds spielt, in Hollywood keine alltäglich­e Besetzungs­entscheidu­ng – walzt die Trauer ihrer Rolle ordentlich aus.

Dass ihr bei den Dreharbeit­en eine behördlich­e Sonderbeha­ndlung gewährt wurde, sorgte im Vorfeld für Kritik in Hongkong: Anders als normale Einreisend­e musste sie nicht in dreiwöchig­e Quarantäne, was die Behörden mit wirtschaft­lichen Gründen erklärten. Ausgerechn­et die Skizzierun­g der Klassenunt­erschiede und der Selbstgefä­lligkeit einer wohlstands­verwöhnten, vom „echten“

Hongkonger Alltag entfremdet­en Upper Class zeichnet die Serie „Expats“nun aus. Da lästern und tratschen sie, die feinen Damen und Herren, kommentier­en Margarets Umgang mit ihrem Leid und beschweren sich über die Canapés beim Buffet. Oder sitzen bei einer Dinnerpart­y bei Margarets Nachbarin und Vertrauten Hilary (Sarayu Blue) und loben die Gastgeberi­n für das Mahl, das ihr Personal zubereitet hat : „Du hast dich wieder einmal selbst übertroffe­n!“Eine in vieler Hinsicht unangenehm anzusehend­e Serie.

 ?? [Amazon] ?? Nicole Kidman spielt in „Expats“eine Mutter, die zerbricht.
[Amazon] Nicole Kidman spielt in „Expats“eine Mutter, die zerbricht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria