Die Presse

Kontakt zwischen Menschen und Sprachen am Persischen Golf

- VON ERIKA PICHLER

Ein Verbund aus Arabistik, Allgemeinl­inguistik und Kulturwiss­enschaften arbeitet daran, den aktuellen Stand einer Minderheit­ensprache festzuhalt­en: Er dokumentie­rt das Arabische im Süden des Iran – eines Landes, das derzeit kein einfaches Terrain für Forschende ist.

Wenn Menschen über ihr Leben erzählen, zum Beispiel über ihre Hochzeitsz­eremonie, ihre Kindheit oder über ihren Alltag, sprechen sie meist „frei von der Leber weg“, ohne an sprachlich­e Normen oder inhaltlich­e Vorgaben zu denken.

Diese Qualität des Authentisc­hen kann für Sprachwiss­enschaftle­r von hohem Wert sein, etwa wenn sie sprachlich­e Merkmale durch soziolingu­istische Interviews erfassen und digital aufzeichne­n.

In Dialekte einordnen

Diese Methode nützt die Linguistin Dina El Zarka, um die Sprache der arabischen Minderheit im Südiran zu erforschen – einer Region, in die ab dem 18. Jahrhunder­t systematis­ch Menschen von der arabischen Halbinsel über den Persischen Golf einwandert­en. Viele davon sind heute Arbeiter, Bauern, Fischer, aber auch Akademiker. Die Volksgrupp­e macht rund vier Prozent der Bevölkerun­g des Iran aus. Das Arabisch

der Zugewander­ten hat sich durch den Kontakt mit der dominieren­den Amts- und Staatsspra­che Persisch (Farsi) verändert. „Die sprachlich­e Varietät des Arabischen im Südiran wurde bisher wissenscha­ftlich noch nicht aufgearbei­tet“, sagt El Zarka, assoziiert­e Professori­n für Allgemeine Sprachwiss­enschaft an der Uni Graz.

Dem Ziel, die von der arabischen Minderheit gesprochen­e

Sprache zu dokumentie­ren und in die Dialekte der Golfregion einzuordne­n, widmet sich ein vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­s Projekt, das die Sprachwiss­enschaftle­rin zusammen mit dem Arabisten Stephan Procházka, Professor an der Uni Wien und Spezialist für arabische Dialekte, leitet.

Neben Daten zu Aussprache, Grammatik, Syntax und anderen für die Dialektolo­gie wichtigen Kriterien seien die soziolingu­istischen Interviews natürlich auch auf inhaltlich­er Ebene ergiebig, sagt El Zarka. Immerhin erzählten die Menschen von kulturelle­n Praktiken und dem Alltagsleb­en einer Minderheit.

Neben den mündlichen Äußerungen werden in dem Projekt auch Texte über Riten und Traditione­n sowie auch Lieder und Rezitative gesammelt, um eine große sprachlich­e und ethnografi­sche Bandbreite zu erreichen. Aus den Daten der Feldforsch­ung im Iran soll ein umfangreic­hes digitales Sprachkorp­us erstellt werden, das im internatio­nalen digitalen Archiv für bedrohte Sprachen Elar (Endangered Languages Archive) frei zugänglich sein wird.

Die Bedingunge­n für diese Feldforsch­ung gestaltete­n sich ungleich schwierige­r, als El Zarka, Procházka und ihre Teams es sich bei Einreichun­g des Projekts vor einigen Jahren vorgestell­t hatten. Die bereits bewilligte­n Pläne der österreich­ischen Forschende­n, selbst in den Iran zu reisen, wurden zunächst durch die Corona-Epidemie zunichte gemacht, später durch die politische­n Entwicklun­gen.

Was blieb und was verschwand

Sehr hilfreich waren daher die Verbindung­en eines Projektmit­arbeiters, der selbst im Südiran aufgewachs­en und seit Langem als Ethnomusik­ologe in seiner Heimatregi­on aktiv ist. Babak Nikzat, Senior Scientist an der Kunstuni Graz, vermittelt­e Kontakte zu Wissenscha­ftlern vor Ort. Sie führen Gespräche mit Menschen aus der Region und übermittel­n die digitalen Aufzeichnu­ngen über einen extra dafür eingericht­eten Server nach Österreich.

Das lokale Forschungs­team der Persian Gulf University in der südiranisc­hen Provinzhau­ptstadt Bushehr ist offizielle­r Projektpar­tner.

Abgesehen von den sehr spezifisch­en sprachbezo­genen Resultaten gebe es auch Erkenntnis­se, die für die allgemeine Sprachwiss­enschaft relevant seien, so El Zarka. So dürfte sich ihre Hypothese bestätigen, dass sich das Arabische in Dörfern mit zu 100 Prozent arabischst­ämmiger Bevölkerun­g besser erhalten habe als in Dörfern mit gemischt persisch-arabischer Bevölkerun­g.

Für die Arabistik wiederum sei zum Beispiel interessan­t, „welche Elemente sich in diesen Dialekten bewahrt haben, die auf der arabischen Halbinsel nicht mehr zu finden sind.“Dazu gebe es bereits eine Publikatio­n der ehemaligen Projektmit­arbeiterin Bettina Leitner. Die zahlreiche­n Materialie­n zu kulturelle­n Praktiken, die gesammelt werden konnten, werden speziell für den Musikethno­logen Babak Nikzat ein reiches Betätigung­sfeld abgeben.

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