Kontakt zwischen Menschen und Sprachen am Persischen Golf
Ein Verbund aus Arabistik, Allgemeinlinguistik und Kulturwissenschaften arbeitet daran, den aktuellen Stand einer Minderheitensprache festzuhalten: Er dokumentiert das Arabische im Süden des Iran – eines Landes, das derzeit kein einfaches Terrain für Forschende ist.
Wenn Menschen über ihr Leben erzählen, zum Beispiel über ihre Hochzeitszeremonie, ihre Kindheit oder über ihren Alltag, sprechen sie meist „frei von der Leber weg“, ohne an sprachliche Normen oder inhaltliche Vorgaben zu denken.
Diese Qualität des Authentischen kann für Sprachwissenschaftler von hohem Wert sein, etwa wenn sie sprachliche Merkmale durch soziolinguistische Interviews erfassen und digital aufzeichnen.
In Dialekte einordnen
Diese Methode nützt die Linguistin Dina El Zarka, um die Sprache der arabischen Minderheit im Südiran zu erforschen – einer Region, in die ab dem 18. Jahrhundert systematisch Menschen von der arabischen Halbinsel über den Persischen Golf einwanderten. Viele davon sind heute Arbeiter, Bauern, Fischer, aber auch Akademiker. Die Volksgruppe macht rund vier Prozent der Bevölkerung des Iran aus. Das Arabisch
der Zugewanderten hat sich durch den Kontakt mit der dominierenden Amts- und Staatssprache Persisch (Farsi) verändert. „Die sprachliche Varietät des Arabischen im Südiran wurde bisher wissenschaftlich noch nicht aufgearbeitet“, sagt El Zarka, assoziierte Professorin für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Uni Graz.
Dem Ziel, die von der arabischen Minderheit gesprochene
Sprache zu dokumentieren und in die Dialekte der Golfregion einzuordnen, widmet sich ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt, das die Sprachwissenschaftlerin zusammen mit dem Arabisten Stephan Procházka, Professor an der Uni Wien und Spezialist für arabische Dialekte, leitet.
Neben Daten zu Aussprache, Grammatik, Syntax und anderen für die Dialektologie wichtigen Kriterien seien die soziolinguistischen Interviews natürlich auch auf inhaltlicher Ebene ergiebig, sagt El Zarka. Immerhin erzählten die Menschen von kulturellen Praktiken und dem Alltagsleben einer Minderheit.
Neben den mündlichen Äußerungen werden in dem Projekt auch Texte über Riten und Traditionen sowie auch Lieder und Rezitative gesammelt, um eine große sprachliche und ethnografische Bandbreite zu erreichen. Aus den Daten der Feldforschung im Iran soll ein umfangreiches digitales Sprachkorpus erstellt werden, das im internationalen digitalen Archiv für bedrohte Sprachen Elar (Endangered Languages Archive) frei zugänglich sein wird.
Die Bedingungen für diese Feldforschung gestalteten sich ungleich schwieriger, als El Zarka, Procházka und ihre Teams es sich bei Einreichung des Projekts vor einigen Jahren vorgestellt hatten. Die bereits bewilligten Pläne der österreichischen Forschenden, selbst in den Iran zu reisen, wurden zunächst durch die Corona-Epidemie zunichte gemacht, später durch die politischen Entwicklungen.
Was blieb und was verschwand
Sehr hilfreich waren daher die Verbindungen eines Projektmitarbeiters, der selbst im Südiran aufgewachsen und seit Langem als Ethnomusikologe in seiner Heimatregion aktiv ist. Babak Nikzat, Senior Scientist an der Kunstuni Graz, vermittelte Kontakte zu Wissenschaftlern vor Ort. Sie führen Gespräche mit Menschen aus der Region und übermitteln die digitalen Aufzeichnungen über einen extra dafür eingerichteten Server nach Österreich.
Das lokale Forschungsteam der Persian Gulf University in der südiranischen Provinzhauptstadt Bushehr ist offizieller Projektpartner.
Abgesehen von den sehr spezifischen sprachbezogenen Resultaten gebe es auch Erkenntnisse, die für die allgemeine Sprachwissenschaft relevant seien, so El Zarka. So dürfte sich ihre Hypothese bestätigen, dass sich das Arabische in Dörfern mit zu 100 Prozent arabischstämmiger Bevölkerung besser erhalten habe als in Dörfern mit gemischt persisch-arabischer Bevölkerung.
Für die Arabistik wiederum sei zum Beispiel interessant, „welche Elemente sich in diesen Dialekten bewahrt haben, die auf der arabischen Halbinsel nicht mehr zu finden sind.“Dazu gebe es bereits eine Publikation der ehemaligen Projektmitarbeiterin Bettina Leitner. Die zahlreichen Materialien zu kulturellen Praktiken, die gesammelt werden konnten, werden speziell für den Musikethnologen Babak Nikzat ein reiches Betätigungsfeld abgeben.