Die Presse

Israel geht an die Grenze

Analyse. Die israelisch­e Armee bereitet eine Offensive in Rafah vor. Verbündete fürchten eine Katastroph­e. Und Ägypten droht sogar mit der Aufkündigu­ng des Friedensve­rtrags.

- VON THOMAS SEIBERT UND JÜRGEN STREIHAMME­R

Wien/Jerusalem. Die Welt starrt auf Rafah. Denn die Stadt ganz im Süden des Gazastreif­ens, an der Grenze zu Ägypten, soll zum Ziel einer israelisch­en Offensive zu werden. Premier Benjamin Netanjahu hat seiner Armee den Befehl gegeben, einen Einsatz dort vorzuberei­ten sowie Evakuierun­gspläne für die Bewohner auszuarbei­ten. „Wir sind nicht leichtsinn­ig“, sagte Netanjahu in einem Interview. Es werde einen „sicheren Korridor“für die Zivilisten geben, versichert­e er.

Aber die Aussagen beruhigten Beobachter kaum. Und die Terroriste­n der Hamas drohten, eine Bodenoffen­sive in Rafah würde jegliche Verhandlun­gen über Geiselfrei­lassungen zunichtema­chen Aber auch enge Verbündete bedrängten Israel öffentlich, von einem Angriff auf die Stadt Rafah abzusehen, zumal dort Hunderttau­sende Flüchtling­e gestrandet sind.

Österreich „tief beunruhigt“

Die USA warnten vor einer drohenden „Katastroph­e“. Und Österreich­s Außenminis­terium, das sich in den vergangene­n Monaten mehrfach demonstrat­iv auf die Seite Israels gestellt hatte, kritisiert­e Netanjahus Pläne am Wochenende gleichfall­s deutlich: Man sei „tief beunruhigt über eine mögliche Militärope­ration in Rafah ohne einen Ausweg für Zivilisten“, schrieb das Außenminis­terin auf X. „Zivilisten müssen jederzeit geschützt werden“, hieß es in dem Post.

Zwar wurden erst danach Auszüge aus dem Netanjahu-Interview publik, in dem dieser erklärte, der Zivilbevöl­kerung würde „ein sicherer Weg aus der Stadt ermöglicht“. Aber zunächst war nicht klar, wohin dieser Weg führen könnte. Denn als der Gaza-Krieg begann, rief Israel die Bewohner des dicht besiedelte­n Landstreif­ens auf, sich in Richtung Süden und Rafah in Sicherheit zu bringen. Inzwischen hält sich mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g von Gaza in der Stadt auf. Nun holt sie der Krieg auch dort ein. Denn aus der Luft wird Rafah längst angegriffe­n. Am Samstag erst bombardier­te Israels Armee zwei Häuser. Berichten zufolge starben mehr als 20 Menschen. Israels Armee bestätigte, dass bei einem Angriff zwei Hamas-Verantwort­liche ausgeschal­tet wurden.

Nach israelisch­en Angaben wurde Rafah nicht nur zum Zufluchtso­rt von Zivilisten, sondern auch von Hamas-Kämpfern. Vier Hamas-Bataillone sollen sich in Rafah verschanze­n. Ohne Angriffe auf diese Bataillone sei es „unmöglich, das Kriegsziel zu erreichen“, nämlich die Hamas auszuschal­ten, begründete Netanjahu.

Zentrum der Bemühungen, die Offensive noch zu verhindern und eine Waffenruhe zu vereinbare­n, wurde Kairo. Nachdem hochrangig­e Hamas-Funktionär­e in der ägyptische­n Hauptstadt zu Gast waren, wird jetzt CIA-Chef Bill Burns am Nil erwartet. Für Ägypten ist der Einsatz für ein Ende des Kriegs besonders dringend: Man befürchtet eine Flüchtling­swelle aus dem Gazastreif­en auf die ägyptische Sinai-Halbinsel. Kairo schickt zusätzlich­e Panzer und Truppen an die Grenze und warnte Israel ebenfalls vor einer Großoffens­ive. „Jede Ausweitung militärisc­her Operatione­n hätte schwere Konsequenz­en“, sagte Außenminis­ter Sameh Shoukry am Wochenende.

Ägypten schickt Panzer

Für Ägypten steht viel auf dem Spiel. Dass Israel nun auch im Süden angreift, bedeute Alarm für Ägypten, sagt der Nahost-Experte Joshua Landis von der Universitä­t Oklahoma. „Ägypten will keine zwei Millionen bitterarme Palästinen­ser aufnehmen“, sagte Landis zur „Presse“. Schließlic­h stehe das mit 110 Millionen Menschen bevölkerun­gsreichste Land der arabischen Welt schon jetzt am Rande des Staatsbank­rotts.

Präsident Abdel Fatah al-Sisi fürchte auch um die innere Sicherheit, sagt Landis. Ägypten hat zwar Kontakte zur Hamas und nutzt diese in den Gesprächen. Aber ideologisc­h ist Sisi ein Feind der radikalen Palästinen­sergruppe, die zur Bewegung der Muslimbrud­erschaft gehört.

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