Israel geht an die Grenze
Analyse. Die israelische Armee bereitet eine Offensive in Rafah vor. Verbündete fürchten eine Katastrophe. Und Ägypten droht sogar mit der Aufkündigung des Friedensvertrags.
Wien/Jerusalem. Die Welt starrt auf Rafah. Denn die Stadt ganz im Süden des Gazastreifens, an der Grenze zu Ägypten, soll zum Ziel einer israelischen Offensive zu werden. Premier Benjamin Netanjahu hat seiner Armee den Befehl gegeben, einen Einsatz dort vorzubereiten sowie Evakuierungspläne für die Bewohner auszuarbeiten. „Wir sind nicht leichtsinnig“, sagte Netanjahu in einem Interview. Es werde einen „sicheren Korridor“für die Zivilisten geben, versicherte er.
Aber die Aussagen beruhigten Beobachter kaum. Und die Terroristen der Hamas drohten, eine Bodenoffensive in Rafah würde jegliche Verhandlungen über Geiselfreilassungen zunichtemachen Aber auch enge Verbündete bedrängten Israel öffentlich, von einem Angriff auf die Stadt Rafah abzusehen, zumal dort Hunderttausende Flüchtlinge gestrandet sind.
Österreich „tief beunruhigt“
Die USA warnten vor einer drohenden „Katastrophe“. Und Österreichs Außenministerium, das sich in den vergangenen Monaten mehrfach demonstrativ auf die Seite Israels gestellt hatte, kritisierte Netanjahus Pläne am Wochenende gleichfalls deutlich: Man sei „tief beunruhigt über eine mögliche Militäroperation in Rafah ohne einen Ausweg für Zivilisten“, schrieb das Außenministerin auf X. „Zivilisten müssen jederzeit geschützt werden“, hieß es in dem Post.
Zwar wurden erst danach Auszüge aus dem Netanjahu-Interview publik, in dem dieser erklärte, der Zivilbevölkerung würde „ein sicherer Weg aus der Stadt ermöglicht“. Aber zunächst war nicht klar, wohin dieser Weg führen könnte. Denn als der Gaza-Krieg begann, rief Israel die Bewohner des dicht besiedelten Landstreifens auf, sich in Richtung Süden und Rafah in Sicherheit zu bringen. Inzwischen hält sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Gaza in der Stadt auf. Nun holt sie der Krieg auch dort ein. Denn aus der Luft wird Rafah längst angegriffen. Am Samstag erst bombardierte Israels Armee zwei Häuser. Berichten zufolge starben mehr als 20 Menschen. Israels Armee bestätigte, dass bei einem Angriff zwei Hamas-Verantwortliche ausgeschaltet wurden.
Nach israelischen Angaben wurde Rafah nicht nur zum Zufluchtsort von Zivilisten, sondern auch von Hamas-Kämpfern. Vier Hamas-Bataillone sollen sich in Rafah verschanzen. Ohne Angriffe auf diese Bataillone sei es „unmöglich, das Kriegsziel zu erreichen“, nämlich die Hamas auszuschalten, begründete Netanjahu.
Zentrum der Bemühungen, die Offensive noch zu verhindern und eine Waffenruhe zu vereinbaren, wurde Kairo. Nachdem hochrangige Hamas-Funktionäre in der ägyptischen Hauptstadt zu Gast waren, wird jetzt CIA-Chef Bill Burns am Nil erwartet. Für Ägypten ist der Einsatz für ein Ende des Kriegs besonders dringend: Man befürchtet eine Flüchtlingswelle aus dem Gazastreifen auf die ägyptische Sinai-Halbinsel. Kairo schickt zusätzliche Panzer und Truppen an die Grenze und warnte Israel ebenfalls vor einer Großoffensive. „Jede Ausweitung militärischer Operationen hätte schwere Konsequenzen“, sagte Außenminister Sameh Shoukry am Wochenende.
Ägypten schickt Panzer
Für Ägypten steht viel auf dem Spiel. Dass Israel nun auch im Süden angreift, bedeute Alarm für Ägypten, sagt der Nahost-Experte Joshua Landis von der Universität Oklahoma. „Ägypten will keine zwei Millionen bitterarme Palästinenser aufnehmen“, sagte Landis zur „Presse“. Schließlich stehe das mit 110 Millionen Menschen bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt schon jetzt am Rande des Staatsbankrotts.
Präsident Abdel Fatah al-Sisi fürchte auch um die innere Sicherheit, sagt Landis. Ägypten hat zwar Kontakte zur Hamas und nutzt diese in den Gesprächen. Aber ideologisch ist Sisi ein Feind der radikalen Palästinensergruppe, die zur Bewegung der Muslimbruderschaft gehört.