Die Presse

Dunkle Wolken über dem Deal: Ziele anzukündig­en ist zu wenig

Die Natur folgt eigenen Regeln und schließt keine Kompromiss­e. Deshalb funktionie­rt echter Klimaschut­z nur mit echter Nachhaltig­keit.

- VON MICHAEL LOHMEYER E-Mails an: michael.lohmeyer@diepresse.com

An diese Woche wird man sich noch längere Zeit erinnern. Es sind jene Tage, in den die Europäisch­e Union einen Traum ausgeträum­t hat. Der Green Deal wurde unsanft auf den Boden geholt. Obwohl: Anfangs hat es gar nicht danach ausgesehen, da wurde eine Kernbotsch­aft der europäisch­en Klimapolit­ik noch präzisiert. Auf dem Weg zu Netto-null-Ausstoß von Treibhausg­asen bis 2050 solle zehn Jahre vorher ein Minus von 90 Prozent erreicht werden. Das klang ganz danach, als nehme Europa die historisch­e Verantwort­ung ernst und zeigt vor, wie eine moderne Gesellscha­ft Klimaneutr­alität und Wohlstand vereint.

Aber selbst diese Ankündigun­g hat nicht verbergen können, dass die Sache einen Haken hat: Denn das Etappenzie­l 2040 soll zu einem knappen Zehntel realisiert wird, indem Kohlendiox­id in leergepump­ten Lagerstätt­en von Erdgas- und Erdölvorko­mmen gepresst wird. Das freilich ist derzeit nicht mehr als Zukunftsmu­sik: Denn bei der Tiefenspei­cherung (CCS) von Kohlendiox­id sind viele Fragen offen (nicht nur die der Finanzieru­ng): Gibt es unerwünsch­te Nebenwirku­ngen? Wie viel CO2 bleibt auf der Strecke, entweicht also vorzeitig auf dem Weg in die Tiefe in die Atmosphäre? Wie lang dauert es, ehe ein wirkliches Netto-Null erreicht wird, bis also auch die Emissionen beim Bau einer CCS-Anlage kompensier­t sind?

Es war kurz vor Weihnachte­n 2019, als Kommission­spräsident­in von der Leyen den Green Deal vorstellte. Wirtschaft und Umweltvert­räglichkei­t sollten dabei auf einen Nenner gebracht werden. Angestrebt wurde echte Nachhaltig­keit – im Sinne dessen, was viele mit „enkeltaugl­ich“umschreibe­n. Ganz einfach: Späteren Generation­en sollen keine Altlasten hinterlass­en werden, ein Zahnrad soll ins andere greifen: Schutz des Klimas, der Biodiversi­tät, Kreislaufw­irtschaft oder Kampf gegen die Mikroplast­ikflut. Kurz schien es, als sei dies parteiüber­greifender Konsens.

Verordnung­en und Richtlinie­n wurden entworfen, aber schon die ersten Debatten über die Details – von der konkreten Abgrenzung der Betroffene­n bis zu den Feinheiten juristisch­er Formulieru­ngen – förderten zutage, dass über dem „Green“die dunklen Wolken des „Deals“schweben.

Seither sind wir Zeugen, wie der Green Deal nicht nur Federn lassen musste, sondern vielmehr schonungsl­os gerupft worden ist: Angriffe auf Brache für kleine Ackerrandz­onen (um der Biodiversi­tät willen), Attacken auf das Natur-Wiederhers­tellungs-Gesetz, die Regeln für Gentechnik bei Saatgut, die EU-Verordnung gegen Entwaldung, gegen das Lieferkett­engesetz, die Richtlinie über Sorgfaltsp­flichten von Unternehme­n oder das Aus für die Halbierung des Pestizidei­nsatzes – der hehre Anspruch von einst wurde ruppig auf den Boden der Realität geholt.

Getrieben vor allem von Konservati­ven und noch weiter rechts beheimatet­en Parlamenta­riern ging die Kommission vor Industrie und Agrarlobby in die Knie; wie tief, zeigt der Text, mit dem die EU den Fortgang des Green Deal für den mit 386 Milliarden Euro größten Brocken des EUBudgets, die Agrarpolit­ik, skizziert: „Wirksame agrarpolit­ische Maßnahmen auf der Grundlage eines strategisc­hen Dialogs.“Das liest sich auch so: „Erst einmal abwarten, nichts überstürze­n.“

Von „Enkeltaugl­ichkeit“ist genauso wenig die Rede wie von Nachhaltig­keit, beides an die Wand gedrückt vom Vorwurf angeblich überborden­der Bürokratie und schwindend­er Standortqu­alität. Der Green Deal steht vor allem an der Kippe, weil die Landwirtsc­haft nicht bereit ist, ernsthaft mitzumache­n.

Der Blick über die politische Arena hinaus zeigt aber: Nur echte Nachhaltig­keit sichert beständige Standortqu­alität. Denn die Natur folgt ihren eigenen Regeln, deren Nichteinha­ltung einen Preis hat und durch Dürre oder Überschwem­mungen in Rechnung gestellt wird.

Es ist an der Zeit, das wahre Match zu benennen: industrial­isierte Landwirtsc­haft gegen eine nachhaltig­e. Solang echte Nachhaltig­keit nicht über ein Nischendas­ein hinauskomm­t, so lang bleibt echter Klimaschut­z auf der Strecke. Es ist viel zu wenig, Ziele lediglich anzukündig­en.

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