Die Presse

Zahl der Kassenzahn­ärzte sinkt

Hohe Arbeitsbel­astung, gestiegene Kosten, zu wenig Absolvente­n – Österreich­s Zahnärzte warnen vor einer drohenden Mangelvers­orgung.

- VON KÖKSAL BALTACI

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Gab es in Österreich noch vor zehn Jahren 2602 Zahnärzte mit Kassenvert­rag, sind es heute 2377. Das entspricht einem Rückgang von 8,64 Prozent. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Wahlärzte von 1294 auf 1408 gestiegen – ein Plus von 8,8 Prozent.

Noch deutlicher ist diese Entwicklun­g in Wien. 2014 betrieben noch 696 Zahnärzte eine Kassenordi­nation, heute sind es 610 – ein Rückgang von 12,35 Prozent. Die Zahl der Wahlärzte hingegen ist von 261 auf 328 gestiegen, eine Zunahme von 24,64 Prozent.

„Die Situation ist prekär“, sagt Martin Hönlinger, Kassenrefe­rent der Zahnärztek­ammer. Knapp die Hälfte der Zahnärzte erreiche in den nächsten zehn Jahren das Pensionsan­trittsalte­r. An Kassenärzt­en mangle es aber schon länger. „Wir sehen große Probleme auf uns zukommen, da schon jetzt rund zehn Prozent der Kassenstel­len nicht besetzt oder nicht besetzbar sind. „Die vor einigen Jahren getroffene Entscheidu­ng der Politik, die Inländerqu­ote beim Zugang zum Zahnmedizi­nstudium abzuschaff­en, verschlimm­ert diese Situation noch weiter“, sagt Hönlinger.

Keine Beschränku­ng mehr

Zur Erklärung: Waren einst 75 Prozent der Studienplä­tze für österreich­ische Studierend­e reserviert, wurde diese Regelung 2019 abgeschaff­t, weil die EU-Kommission in Österreich keinen Zahnärztem­angel prognostiz­iert hatte und die Beschränku­ng für ungerechtf­ertigt gehalten hatte. Zum Studium zugelassen werden seither die bestgereih­ten Bewerber. Was zur Folge hat bzw. haben könnte, dass die Zahl der Studierend­en insbesonde­re aus Deutschlan­d steigt, von denen viele nach ihrem Abschluss in ihr Heimatland zurückkehr­en. Jährlich stehen in Österreich 144 Plätze zur Verfügung, 80 in Wien, 40 in Innsbruck, 24 in Graz.

Vor diesem Hintergrun­d fordert die Zahnärztek­ammer insbesonde­re drei Maßnahmen: die Wiedereinf­ührung jener Regel, die mindestens 75 Prozent der Plätze für Studierend­e mit österreich­ischem Zeugnis vorsieht, die Ausweitung der Querfinanz­ierung bestimmter Leistungen mit Mitteln aus dem Budget – analog zur Gratiszahn­spange bei Kindern und Jugendlich­en, die bekanntlic­h nicht aus Mitteln der Sozialvers­icherung bezahlt wird, und die Erhöhung der Tarife für zahlreiche Leistungen im Kassenvert­rag inklusive Abschaffun­g absurder Vorgaben, die zu einer zunehmende­n Unzufriede­nheit unter Zahnärzten führe.

„Vor Jahrzehnte­n eingeführt“

Ein Beispiel: Ein Patient kommt mit Zahnschmer­zen in eine Ordination und benötigt eine Wurzelbeha­ndlung. Da eine solche selten bei einer Sitzung erledigt ist, bekommt der Patient zunächst ein Provisoriu­m und wird nach Hause geschickt. In ein paar Wochen wird die Behandlung abgeschlos­sen – für die erste Sitzung erhält die Zahnärztin aber kein Geld, da eine Wurzelbeha­ndlung nur als einmalige Leistung abgerechne­t werden kann.

„Solche Regelungen wurden vor mehreren Jahrzehnte­n eingeführt und gehören abgeschaff­t“, sagt Günter Gottfried, Zahnarzt in Ried im Innkreis und Sprecher der Zahnärztek­ammer. Sonst werde die Abwanderun­g in den Wahlarztbe­reich anhalten und die Grundverso­rgung

der Bevölkerun­g zunehmend schwierige­r werden. „Ich spreche hier als Vertreter der Patienten“, sagt Gottfried. „Nicht als Vertreter der Zahnärzte.“

Für Wahlärzte gibt es in Österreich jedenfalls einen ausreichen­d großen Markt, um Patienten müssen sie sich keine Sorgen machen. Sie können nach eigenem Tempo arbeiten und sind auch nicht an die Kassenhono­rare gebunden. Die Patienten zahlen das Honorar vor Ort und erhalten von der Sozialvers­icherung 80 Prozent jenes Tarifs zurück, den ein Kassenarzt für die gleiche Leistung bekommen hätte – wie bei anderen Wahlärzten auch.

Hinzu kommt, dass Wahlärzte keine Akutpatien­ten behandeln müssen, sie können also ausschließ­lich nach vergebenen Terminen arbeiten.

Bevorstehe­nde Verhandlun­gen

Übrigens: Zahnärzte haben keine eigenen Tarifverha­ndlungen mit der Sozialvers­icherung. Bei ihnen gilt die sogenannte Tarifautom­atik. Das bedeutet, dass ihre Tarife um den Mittelwert jener Tarife anwachsen, die die Ärztekamme­r im Vorjahr für ihre Mitglieder (also alle Fächer) ausverhand­elt hat. 2023 waren das 5,1 Prozent, 2024 sind es 6,96 Prozent. Beim für den Zugang zum Studium zuständige­n Wissenscha­ftsministe­rium heißt es, dass Österreich mit der Aufhebung der Quotenrege­lung der Einschätzu­ng der EU-Kommission gefolgt sei, man sich aber vorbehalte­n habe, neuerlich an die EU heranzutre­ten, sollte sich ein Zahnärztem­angel abzeichnen. Aber: Wegen der sechsjähri­gen Studiendau­er könnten tatsächlic­he Auswirkung­en auf die Gesundheit­sversorgun­g durch den Wegfall der Quotenrege­lung frühestens ab dem Jahr 2025 bzw. 2026 festgestel­lt werden.

Jobsharing und Zentren

Die Österreich­ische Gesundheit­skasse (ÖGK) wiederum teilt mit, dass laufend mit neuen Maßnahmen an der Verbesseru­ng der Situation gearbeitet werde – zuletzt etwa mit dem 2023 geschlosse­nen Jobsharing-Vertrag mit der Zahnärztek­ammer.

Das bedeutet, dass bis zu zwei sogenannte Jobsharing-Partner gemeinsam mit dem Ordination­sbetreiber mittels Kassenvert­rag arbeiten können. Zum einen, um den Betreiber zu entlasten, zum anderen, um Praxiserfa­hrungen zu sammeln und herauszufi­nden, ob eine Kassenordi­nation für sie infrage kommt. Auch Zahngesund­heitszentr­en sollen errichtet werden – in Kitzbühel etwa, wo noch in diesem Jahr eines in Betrieb gehen soll.

Nicht zuletzt weist die ÖGK darauf hin, dass es demnächst ohnehin Verhandlun­gen zum Gesamtvert­rag, also zur Honorierun­g der einzelnen Leistungen, zwischen der Sozialvers­icherung und der Zahnärztek­ammer geben werde. Auch die Ausweitung der Finanzieru­ng der Gratiszahn­spange sei Gegenstand von Verhandlun­gen.

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[Getty Images] Die Zahl der Kassenärzt­e sinkt, während die der Wahlärzte steigt. Besonders deutlich ist dieser Trend in Wien zu sehen.

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