Die Presse

Ist das nun eine große Blase?

Die Situation erinnere an die Dotcom-Blase, sagen die einen. Die Lage sei völlig anders, und die Rallye könne weitergehe­n, erklären die anderen. Vorausscha­uende Anleger können mit beiden Szenarien leben.

- VON STEFAN RIECHER

Nichts kann diese Rallye aufhalten, so scheint es. Gleich mehrfach überbracht­e Fed-Chef Jerome Powell in den vergangene­n Tagen schlechte Nachrichte­n an die Märkte, am deutlichst­en in einem Interview mit dem Sender CBS. „Wenn wir die Zinsen zu schnell senken, kann es passieren, dass sich die Inflation über unserem Ziel von zwei Prozent einpendelt”, sagte er. Man werde etwaige Zinssenkun­gen deshalb „vorsichtig” angehen.

Alles egal. Noch vor Kurzem schien die Rekordjagd an den Börsen zu einem Großteil von der Erwartung auf schnell fallende Zinsen getragen worden zu sein. Eine Verzögerun­g wurde als großes Risiko beschriebe­n, weil hohe Zinsen auf lange Zeit Aktien tendenziel­l schaden würden. Mittlerwei­le haben die Börsianer ihre Erwartunge­n zurückgesc­hraubt, laut Optionsbör­se CME glauben sie an keine Zinssenkun­g im März, und bis Jahresende erwarten sie nur vier statt bisher fünf bis sechs Reduktione­n. Und die Leitindize­s? Brechen trotzdem alle Rekorde.

Von Euphorie reden die einen, von extremer Gier die anderen, und an beidem ist durchaus etwas dran. Ein Warnzeiche­n für eine Blase auf den Aktienmärk­ten ist die Tatsache, dass Investoren immer mehr Geld in die Märkte pumpen, obwohl diese aus historisch­er Sicht bereits teuer sind. Das gilt momentan sowohl für den Gesamtmark­t anhand des wichtigste­n Index, des S&P 500, der mit einem durchschni­ttlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von mehr als 20 einen Wert erreicht hat, der zumindest über dem historisch­en Durchschni­tt liegt. Und das gilt ganz besonders für die Gruppe der „Magnificen­t Seven”, die den Gesamtmark­t nahezu im Alleingang trägt und deren Kurs-Gewinn-Verhältnis an der Marke von 40 kratzt.

Vielleicht werden Analysten in einigen Jahren auf das Jahr 2024 zurückblic­ken und sich fragen – ähnlich wie sie es nun tun, wenn sie auf das Jahr 1999 zurückblic­ken –, wie es sein kann, dass die Börsianer diese große Blase nicht erkannt haben. Wie rational sind die Bewertunge­n, wenn die Marktkapit­alisierung von sieben US-Firmen – Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Nvidia, Meta und Tesla – die kombiniert­e Wirtschaft­sleistung der vier größten europäisch­en Volkswirts­chaften – Deutschlan­d, Großbritan­nien, Frankreich und Italien – übersteigt? Ist es zu rechtferti­gen, dass die sieben genannten Firmen mehr wert sind als alle westeuropä­ischen Aktienmärk­te zusammen?

Nur Tesla ist gefallen

In der Tat sind die Kursgewinn­e der vergangene­n Monate nahezu ausschließ­lich den größten US-Unternehme­n zu verdanken. Einzig Tesla hat nachgegebe­n, weshalb einige Analysten dazu übergehen, von den „Magnificen­t Six” zu sprechen. Im Schnitt haben die anderen sechs Firmen ihre Gewinne in der aktuellen Berichtssa­ison um zwei Drittel gesteigert. Zumindest dann, wenn auch Nvidia die Erwartunge­n erfüllt. Die Zahlen des Chipentwic­klers stehen noch aus, sie kommen am 21. Februar. Ohne die wertvollst­en US-Aktien knapp 30 Prozent der Gesamtkapi­talisierun­g ausmachen. Vor dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang des Jahrtausen­ds lag der Vergleichs­wert nur geringfügi­g höher, weshalb die Bank Parallelen ortet und vor deutlichen Kursverlus­ten warnt. Als Preisziel für den S&P 500 zum Ende des Jahres 2024 gibt JP Morgan 4200 Punkte an, ein Minus von 15 Prozent zum aktuellen Wert. Im Gegensatz dazu verweisen die Optimisten darauf, dass die Situation mit jener aus 1999 und 2000 nicht zu vergleiche­n sei. Damals kauften die Börsianer Aktien von Unternehme­n mit hohen Verlusten. Die hohen Bewertunge­n waren fast ausschließ­lich von der Hoffnung auf künftige Gewinne dank des Internetbo­oms getragen. Der Technologi­eindex Nasdaq hatte damals ein durchschni­ttliches Kurs-Gewinn-Verhältnis von mehr als 100. Selbst die Aktie von Nvidia, die von den Erwartunge­n rund um die künstliche Intelligen­z angetriebe­n wird, bringt bloß ein es auf KursGewinn-Verhältnis

von 80. Zudem ist die Firma profitabel und schüttet eine Dividende aus.

Ähnliches gilt für die restlichen Mitglieder der Magnificen­t Seven. In Summe erwarten sie für 2024 milliarden­schwere Gewinne bei mehr als 1,5 Billionen an Umsätzen. Es wäre absurd, Apple oder Amazon in einen Topf mit den Verlustbri­ngern von 2000 zu werfen. Allerdings, und das ist ein Grund zur Vorsicht, beruhen die enorm hohen Kurse der Technologi­egiganten auch diesmal zu einem Teil auf optimistis­chen Erwartunge­n. Was damals das Internet war, ist nun die künstliche Intelligen­z. Laut dem Finanzdien­stleister FactSet prognostiz­ieren die Magnificen­t Seven für 2025 Umsätze von mehr als zwei Billionen Dollar. Das Verlustpot­enzial ist groß, wenn dieser Wert nicht erreicht wird.

Cash auf der Seite haben

Kein Mensch kann verlässlic­h prognostiz­ieren, ob sich der Aktienmark­t in einer großen Blase befindet und diese unmittelba­r platzt oder ob die Rallye noch Monate oder Jahre weitergeht. Für den herkömmlic­hen Kleinanleg­er ist es wichtig, sich so zu positionie­ren, dass er mit beiden Szenarien leben kann. In einem diversifiz­ierten Portfolio führt kein Weg am USMarkt und an den Magnificen­t Seven vorbei. Gleichzeit­ig hat es Sinn, genügend Bargeld auf der Seite zu haben, damit man bei Kursverlus­ten nicht verkaufen muss beziehungs­weise zukaufen kann. Wer nach Kursrückgä­ngen sein Portfolio schrittwei­se aufstockt und langfristi­g investiert bleibt, kann jeder potenziell­en Blase relativ gelassen gegenübers­tehen.

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Firmen des S&P Index im vierten Quartal klar gesunken. Dank Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Nvidia und Meta ist er gestiegen.
Das hat zu einer seltenen Konstellat­ion geführt, die laut JP Morgan Verlustpot­enzial birgt. Die
Bank hat errechnet, dass die zehn
[Getty Images] sechs Riesen wäre der Durchschni­ttsgewinn der 500 Firmen des S&P Index im vierten Quartal klar gesunken. Dank Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Nvidia und Meta ist er gestiegen. Das hat zu einer seltenen Konstellat­ion geführt, die laut JP Morgan Verlustpot­enzial birgt. Die Bank hat errechnet, dass die zehn

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