„Ich verbringe zu wenig Zeit mit Filmschauen“
Der Leiter des Gartenbaukinos, Norman Shetler, ist bereits mit 23 Jahren in sein eigenes Business „reingestolpert“. Er erzählt der „Presse“vom Erfolg ohne Rezept und warum Streaming keine Geschichten erzählen will.
Die Presse:
Ist es heutzutage noch rentabel, ein Programmkino zu betreiben?
Norman Shetler: Die kurze Antwort ist wahrscheinlich nein. Aber ich bin der falsche Ansprechpartner, weil das Gartenbaukino gefördert wird. Diese kulturpolitische Entscheidung ist schon vor 20 Jahren gefallen, um dieses besondere Kino zu retten, es war schon im Jahr 2002 nicht betreibbar. Ich glaube, sogar mit einem blockbusterorientierten Programm wäre es nicht rentabel. Einfach, weil die Fixkosten enorm sind und weil wir nur einen Saal haben, das bedeutet völlige Unflexibilität.
Liegt der Erfolg Ihres Hauses am Programm?
Ja, und zudem haben wir auch verschiedene Sachen ausprobiert. Zum Beispiel gibt es jetzt eine sehr erfolgreiche Nachtschiene, und natürlich
ÜBER GELD SPRICHT MAN diepresse.com/meingeld
sind wir auch beim „nonstop“-Abo dabei. Zur Zeit läuft „Poor Things“– in puncto Anmutung und Intention der Idealfilm für unser Haus. Wir zeigen manchmal weitaus kleinere Filme, wo ich das Gefühl habe, die verdienen die große Leinwand. Wir sind aber trotzdem abhängig von den Filmverleihern und deren Ökonomie.
Wie zeigt sich das, hat jeder Film einen bestimmten Preis?
Die Filmverleiher bestimmen, wann ein Film rauskommt und zu welchen Bedingungen. Ich bin in erster Instanz davon abhängig, ob ich den Film in dem Maß spielen kann, wie das vom Verleih erwartet wird. Man muss sich auf eine bestimmte Anzahl an Vorstellungen für eine gewisse Laufzeit festlegen. Je größer der Film, desto strenger die Vorgaben.
Das heißt, Sie müssen gut überlegen, welche Filme Sie spielen können?
Mein erster Gedanke ist zum Glück nicht: Schaffe ich es, so viele Menschen wie möglich ins Kino zu bringen? Sondern: Ist mir der Film wichtig, passt er zum Haus, braucht er diese Unterstützung? Idealerweise kommen dann auch die Menschen.
Wer geht ins Gartenbaukino?
Das ist schwer zu beantworten. Wir wollen schon länger wieder eine Publikumserhebung machen. Aus eigener Beobachtung kann ich sagen, dass es viele Menschen gibt, die immer schon ins Gartenbaukino gekommen sind. Was mich besonders freut, ist, dass wir immer mehr junges Publikum haben.
Wie hoch ist denn die Auslastung?
Das ist ein Thema, das im Kino generell nicht beantwortet wird. Wir haben 700 Plätze, die wir im Regulärbetrieb nur selten füllen können, bei einer 17-Uhr-Vorstellung ist das nicht möglich. Allerdings ist das Gartenbaukino perfekt für Premieren, wo jeder Platz besetzt ist. Auch während der Viennale haben wir drei-, viermal am Tag ein knallvolles Haus.
Wie viele Menschen kommen pro Jahr?
Die Zahl an verkauften Tickets lag im Vorjahr bei rund 60.000 Stück plus. Es klingt wenig, mit Freikarten, der Viennale und Premieren sind es doppelt so viele. Wir bilanzieren seit 15 Jahren positiv, es geht sich aus. Für mich ist das eine gute Zahl.
Bevor Sie Kinogeschäftsführer wurden, haben Sie die Wiener Kultvideothek „Alphaville“gegründet. Wie kam es dazu?
Dadurch, dass ich viele Filme gesehen habe. Im Maturajahr habe ich in der damals einzigen englischsprachigen Videothek zu jobben begonnen. Dann hat sich das ergeben im Sinne von – eigentlich könnte ich das besser.
Warum besser?
Ich wollte mehr anspruchsvolle Filme bieten und habe mich mit einem Freund zusammengetan. Wir kannten noch ganze Welten an Filmen, die in Wien nicht verfügbar waren, und dachten uns: Das funktioniert wahrscheinlich. Dann kauften wir einen Bestand als Grundstock, fanden ein Geschäftslokal, und los ging’s. Wir sind da reingestolpert. Es hat nicht sofort, aber relativ bald sehr, sehr gut funktioniert.
Hatten Sie damals Ahnung von Geschäftsführung?
Null, null! Erst nach drei Jahren, als die ersten Nachzahlungen und Vorauszahlungen kamen (lacht). Ich glaube, so lernt man am besten. Wir haben offenbar einen Bedarf erfüllt, der noch nicht da war. Es hat alles zusammengepasst, die Menschen sind tatsächlich zu uns gepilgert. Zwischen 1999 bis 2003 ist das Ganze so irrsinnig gut gegangen, das war wirklich toll.
Was haben Sie mit dem vielen Geld gemacht?
Gute Frage. Ich habe nichts angelegt, ich weiß es nicht, es ist alles weg. Es war damals dann schon bald spürbar, dass die Videothek nicht zukunftsfähig bleiben wird. 2010 haben wir geschlossen und sind mit einer Null ausgestiegen, dann gab es eine große Abschiedsparty, übrigens im Gartenbaukino.
Wofür geben Sie gerne Geld aus?
Jetzt für den Kredit, den ich gerade habe, damals waren es Party und Reisen. Als ich Ende 20 war und ungebunden, bin ich jedes Jahr irgendwohin geflogen, gereist. Meine Frau habe ich im Flex kennengelernt. Und das war okay so.
Vermissen Sie die Zeit?
Ja, manchmal denke ich schon zurück. Man hat uns echt gern gehabt. Es war ein guter Ort, immer voller interessanter Menschen, und alle haben über Film geredet. Ein Dreh- und Angelpunkt für gewisse Szenen. Unsere Kunden waren sehr breit gestreut, vom Müllmann, der seine Actionfilme ausborgt, bis hin zur Prominenz. Ich hoffe, es hatte nichts Abgehobenes, sondern etwas Liebevolles, denn für mich war es das.
Wollten Sie selbst auch einmal ins Filmbusiness einsteigen?
Ich habe mich mal für die Filmakademie beworben, allerdings ohne Erfolg. Andere Studien habe ich abgebrochen, einen Nine-to-fiveJob konnte ich mir auch nicht vorstellen, mir war Unabhängigkeit super wichtig. Klar musste ich am Anfang richtig viel arbeiten, aber ich wusste wofür. In der Selbstständigkeit hatten wir rückblickend sehr viel Glück, weil das richtig gut gelaufen ist.
Ihr beruflicher Werdegang wirkt harmonisch. Was zeichnet Ihre Persönlichkeit aus?
Das analytische Denken. Wenn ein Problem auftaucht, funktioniere ich gut. Ich bin sofort am Überlegen und Analysieren, wie es gelöst werden kann, und ich habe Vertrauen in meine Partnerschaften. Generell würde ich sagen bit by bit.
Wieviel Zeit verbringen Sie mit Filmschauen?
Viel zu wenig! Viel zu wenig … Ich glaube, das ist ein Symptom von – je mehr man in der Branche ist, umso mehr verliert man den Zugang. Die Ausnahme sind Filmfestivals, da habe ich dann Zeit, nur Filme zu schauen. Es ist fast nie so, dass ich mal ins Kino gehe am Abend, um zu sehen, was außerhalb meines Bereiches passiert.
Haben Sie eigentlich Streamingabos?
Wir haben alle Abos. Ich beobachte die Streamingentwicklung gern, aber ich kann da wenig rausnehmen für mich persönlich. Ich will generell fokussiert bleiben und mich nicht zumüllen mit Social Media usw. Etwas Simples zu verarbeiten, geht schnell. Ich habe das Gefühl, dass Streaming ganz stark in die Richtung geht. Streaming ist Content, und es wird immer mehr Content produziert, man überlegt sich nicht mehr: Welche Geschichte will ich erzählen? Es ist ein Geschäftsmodell und algorithmisiert.
Was braucht Ihrer Meinung nach ein guter Film?
Er sollte eine Geschichte klar erzählen, formal begeistern oder mich idealerweise in den Grundfesten erschüttern. Dieses Jahr gehörten „Poor Things“, „Past Lives“und „The Zone of Interest“dazu. Letzterer Film basiert auf einer wahren Geschichte und handelt vom Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz, der unmittelbar daneben mit seiner Familie lebt. Es gibt meines Erachtens fast keine zulässige Möglichkeit, den Holocaust zu porträtieren, selbst „Schindlers Liste“finde ich problematisch. Dieser Film schafft es, einen neuen Zugang zu finden mit einem extrem klaren, analytischen Blick.