Managerin und Mutter: Unternehmen müssen nachbessern
Elternschaft mit Vorstandsmandaten in Aktiengesellschaften vereinbar zu machen, ist Aufgabe und Pflicht des Aufsichtsrats.
Stellen Sie sich vor: Es ist Anfang 2024, neue ESG-Standards treten in Kraft, und das Vorstandsmitglied Mark der Aktiengesellschaft Flix-AG möchte sich in diesem Bereich umfassend weiterbilden, um künftigen rechtlichen Herausforderungen gewachsen zu sein. Die Aufsichtsratsvorsitzende Klara begrüßt die Initiative. Es wird eine Freistellungsvereinbarung für drei Monate aufgesetzt; so lange dauert der avisierte ESG-Lehrgang, der in Stockholm stattfindet. Die Agenden des Vorstandsmitglieds werden reduziert und auf seine zwei Kollegen aufgeteilt; vereinbart wird, dass er seine Bezüge für die Dauer des Lehrgangs fortbezieht.
Es ist Anfang 2024, und das Vorstandsmitglied Gerda bemerkt, dass sie schwanger ist. Sie möchte für einige Monate um die Geburt herum weniger in der Hack-AG sein. Der Aufsichtsratsvorsitzende Karl ist – nun, zunächst einmal ratlos. So etwas hat es in der Historie der Gesellschaft noch nie gegeben. Darf die Vorständin denn als Schwangere bzw. dann kurz nach der Geburt überhaupt arbeiten? Zahlt die Gesellschaft nicht auch monatlich Sozialversicherungsbeiträge ein, sodass die Vorständin einen Wochengeldanspruch hat? Und: Was sagt denn das Gesellschaftsrecht dazu?
Inkonsequente Praxis
Zwei vergleichbare Fälle – reduzierte Tätigkeit für die Gesellschaft für einen begrenzten Zeitraum – und doch geht die Praxis im Jahr 2024 (!) völlig unterschiedlich mit den parallelen Situationen um; dies ist aber nur partiell rechtlichen Unterschieden geschuldet.
Was aber gilt nun für den Fall der Schwangerschaft und des damit verbundenen Wunsches, für einen begrenzten Zeitraum die Pflichten wie auch die Haftung aus dem Vorstandsmandat zu reduzieren, idealerweise bei gleichzeitiger Ausnützung vor allem der sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche?
Zunächst in der gebotenen Kürze zum schuldrechtlichen Rahmen – nota bene: Arbeitsrecht im engeren Sinne gilt ja für Vorstände nicht, und daher auch nicht das Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz. Kurz: Das Vorstandsmitglied darf vor und nach der Geburt ohne jegliche zeitliche Einschränkung für die AG tätig werden. Für GmbH-Geschäftsführerinnen gilt in aller Regel Gegenteiliges – sie dürfen also acht Wochen vor und nach der Geburt nicht für die GmbH arbeiten.
Tägliches Wochengeld
Spannend wird es vor allem in finanzieller Hinsicht im Sozialversicherungsrecht: Vorstandsmitglieder sind regelmäßig nach dem ASVG pflichtversichert; für den Versicherungsfall „Mutterschaft“gebührt grundsätzlich für die letzten acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung sowie acht
Wochen danach ein tägliches Wochengeld. Dieses unterliegt – anders als etwa das Kinderbetreuungsgeld – keiner Deckelung. Es dient dem tatsächlichen Einkommensersatz und berechnet sich grundsätzlich nach dem Durchschnitt des Nettoverdienstes der letzten drei Kalendermonate. Wird hingegen auch während der acht Wochen vor und nach der Geburt gegen Entgelt gearbeitet oder besteht ein Entgeltfortzahlungsanspruch, ruht das Wochengeld (partiell). Eine Kombination von reduzierten Bezügen für die reduzierte
Vorstandstätigkeit und partiell ruhendem Wochengeld scheint eine probate Lösung zu sein.
Muss für jeden Einzelfall das Rad neu erfunden werden? Nein! Vielmehr hat es der Aufsichtsrat in der Hand, ein entsprechendes Regelwerk zu schaffen.
Höchste Zeit zu handeln
Das erste Halbjahr 2024 ist der geradezu ideale Zeitraum für den Aufsichtsrat, sich des Themas Vorstand und Baby anzunehmen. Im Jahr 2020 wurde in börsenotierten Gesellschaften erstmals die Vergütungspolitik formuliert. Gemäß § 78b AktG ist die Vergütungspolitik in der Hauptversammlung mindestens in jedem vierten Geschäftsjahr und bei jeder wesentlichen Änderung zur Abstimmung vorzulegen. Daher ist in der anlaufenden Hauptversammlungssaison 2024 der passende Zeitpunkt, die Vergütungspolitik nach vier Jahren zu überarbeiten und zu verbessern. Genau das ist nun für Vorstandsmitglieder mit Kindern und sonstigen Betreuungspflichten nachzuholen. Eine Durchmusterung der Vergütungspolitiken zeigt nämlich, dass dies die Aufsichtsräte in ihrer Vorbereitung bisher verabsäumt haben. Sie müssen es nunmehr nachholen.
Gemäß § 78a AktG hat der Aufsichtsrat einer börsenotierten Gesellschaft Grundsätze für die Vergütung der Mitglieder des Vorstands aufzustellen, somit eine Vergütungspolitik zu formulieren. Der Aufsichtsrat muss also Grundsätze der Vergütung der Mitglieder des Vorstands festlegen. Damit werden etwa Kriterien wie langfristige Ausrichtung, nachhaltige Unternehmensentwicklung angesprochen, aber auch: Wie ist mit Frauen im Vorstand umzugehen, die bei aufrechtem Mandatsverhältnis ein Kind bekommen? Wie ist abgesehen von den gesetzlichen Ansprüchen mit der Fortführung des aufrechten Vorstandsverhältnisses umzugehen?
Die Frage ist nicht neu. Auch Männer sind in verschiedenen Sondersituationen (Weiterbildung, Sportunfall, Pflege) bisweilen mehrere Monate nicht im Amt. Regelmäßig werden sie nicht abberufen, vielmehr werden einzelfallbezogene Lösungen gesucht. Dies ist der Unterschied. Auch Frauen in Führungspositionen bekommen erfreulicherweise Kinder, sie sollen ohne dienst- und aktienrechtliche Probleme Kinder bekommen können. Genau diese Voraussetzungen muss der Aufsichtsrat einer AG gemäß § 78a ff AktG schaffen. Widrigenfalls besteht die Gefahr der sorgfaltswidrigen Amtsausübung. Er hat jetzt die Chance und die Pflicht, genau diese Fragen in der nunmehr neu vorzulegenden Vergütungspolitik zu formulieren und zur Beschlussfassung der Hauptversammlung vorzubereiten.
Der Aufsichtsrat muss in der Vergütungspolitik festlegen, wie mit Frauen, die Kinder bekommen, umzugehen ist, ebenso mit sonstigen Vorstandsmitgliedern, die Betreuungspflichten haben. Für die Geburt eines Kindes ist etwa festzulegen, dass die Geschäftsverteilung während eines zu definierenden begrenzten Zeitraums mit einer Freistellung von bestimmten Pflichten verbunden ist, um das Haftungsrisiko beherrschbar zu halten. Temporär soll auch eine Aufwertung der nachgelagerten Ebene vorgenommen werden können. Der Aufsichtsrat soll also die Zusammenarbeit zwischen den Vorstandsmitgliedern und den nachgeordneten Mitarbeitern einrahmen. Eine weitere Variante ist die Möglichkeit der Festlegung eines zeitlich reduzierten Organmandats.
Klarstellung im Gesetz nötig
Der Aufsichtsrat börsenotierter Aktiengesellschaften ist aktuell bereits dazu verpflichtet und muss seine Pflicht nun in dieser anlaufenden Aufsichtsrats- und Hauptversammlungssaison unbedingt wahrnehmen. Aktuell leitet sich diese Pflicht aus § 78c AktG für börsenotierte Gesellschaften und aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht für die Personalverantwortlichkeit für alle Aktiengesellschaften ab. Zur Klarstellung sollte diese Pflicht für alle Gesellschaften explizit im Gesetz niedergeschrieben werden.
In der GmbH trifft diese Aufgabe und Pflicht im Übrigen die Gesellschafter selbst, um für junge Frauen und Geschäftsführerinnen sowie für Geschäftsführer im Allgemeinen den notwendigen rechtlichen Rahmen zu schaffen. Für Gesellschafter wie auch für Aufsichtsratsmitglieder in jedem Fall eine schöne und wirkmächtige Aufgabe!
Univ.-Prof. Mag. Dr. Elisabeth Brameshuber ist stv. Vorständin des Instituts für
Arbeits- und Sozialrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien,
Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Susanne Kalss, LL.M. ist Vorständin des Instituts für Unternehmensrecht der WU Wien.