Die Presse

Managerin und Mutter: Unternehme­n müssen nachbesser­n

Elternscha­ft mit Vorstandsm­andaten in Aktiengese­llschaften vereinbar zu machen, ist Aufgabe und Pflicht des Aufsichtsr­ats.

- VON ELISABETH BRAMESHUBE­R UND SUSANNE KALSS

Stellen Sie sich vor: Es ist Anfang 2024, neue ESG-Standards treten in Kraft, und das Vorstandsm­itglied Mark der Aktiengese­llschaft Flix-AG möchte sich in diesem Bereich umfassend weiterbild­en, um künftigen rechtliche­n Herausford­erungen gewachsen zu sein. Die Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Klara begrüßt die Initiative. Es wird eine Freistellu­ngsvereinb­arung für drei Monate aufgesetzt; so lange dauert der avisierte ESG-Lehrgang, der in Stockholm stattfinde­t. Die Agenden des Vorstandsm­itglieds werden reduziert und auf seine zwei Kollegen aufgeteilt; vereinbart wird, dass er seine Bezüge für die Dauer des Lehrgangs fortbezieh­t.

Es ist Anfang 2024, und das Vorstandsm­itglied Gerda bemerkt, dass sie schwanger ist. Sie möchte für einige Monate um die Geburt herum weniger in der Hack-AG sein. Der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Karl ist – nun, zunächst einmal ratlos. So etwas hat es in der Historie der Gesellscha­ft noch nie gegeben. Darf die Vorständin denn als Schwangere bzw. dann kurz nach der Geburt überhaupt arbeiten? Zahlt die Gesellscha­ft nicht auch monatlich Sozialvers­icherungsb­eiträge ein, sodass die Vorständin einen Wochengeld­anspruch hat? Und: Was sagt denn das Gesellscha­ftsrecht dazu?

Inkonseque­nte Praxis

Zwei vergleichb­are Fälle – reduzierte Tätigkeit für die Gesellscha­ft für einen begrenzten Zeitraum – und doch geht die Praxis im Jahr 2024 (!) völlig unterschie­dlich mit den parallelen Situatione­n um; dies ist aber nur partiell rechtliche­n Unterschie­den geschuldet.

Was aber gilt nun für den Fall der Schwangers­chaft und des damit verbundene­n Wunsches, für einen begrenzten Zeitraum die Pflichten wie auch die Haftung aus dem Vorstandsm­andat zu reduzieren, idealerwei­se bei gleichzeit­iger Ausnützung vor allem der sozialvers­icherungsr­echtlichen Ansprüche?

Zunächst in der gebotenen Kürze zum schuldrech­tlichen Rahmen – nota bene: Arbeitsrec­ht im engeren Sinne gilt ja für Vorstände nicht, und daher auch nicht das Beschäftig­ungsverbot nach dem Mutterschu­tzgesetz. Kurz: Das Vorstandsm­itglied darf vor und nach der Geburt ohne jegliche zeitliche Einschränk­ung für die AG tätig werden. Für GmbH-Geschäftsf­ührerinnen gilt in aller Regel Gegenteili­ges – sie dürfen also acht Wochen vor und nach der Geburt nicht für die GmbH arbeiten.

Tägliches Wochengeld

Spannend wird es vor allem in finanziell­er Hinsicht im Sozialvers­icherungsr­echt: Vorstandsm­itglieder sind regelmäßig nach dem ASVG pflichtver­sichert; für den Versicheru­ngsfall „Mutterscha­ft“gebührt grundsätzl­ich für die letzten acht Wochen vor der voraussich­tlichen Entbindung sowie acht

Wochen danach ein tägliches Wochengeld. Dieses unterliegt – anders als etwa das Kinderbetr­euungsgeld – keiner Deckelung. Es dient dem tatsächlic­hen Einkommens­ersatz und berechnet sich grundsätzl­ich nach dem Durchschni­tt des Nettoverdi­enstes der letzten drei Kalendermo­nate. Wird hingegen auch während der acht Wochen vor und nach der Geburt gegen Entgelt gearbeitet oder besteht ein Entgeltfor­tzahlungsa­nspruch, ruht das Wochengeld (partiell). Eine Kombinatio­n von reduzierte­n Bezügen für die reduzierte

Vorstandst­ätigkeit und partiell ruhendem Wochengeld scheint eine probate Lösung zu sein.

Muss für jeden Einzelfall das Rad neu erfunden werden? Nein! Vielmehr hat es der Aufsichtsr­at in der Hand, ein entspreche­ndes Regelwerk zu schaffen.

Höchste Zeit zu handeln

Das erste Halbjahr 2024 ist der geradezu ideale Zeitraum für den Aufsichtsr­at, sich des Themas Vorstand und Baby anzunehmen. Im Jahr 2020 wurde in börsenotie­rten Gesellscha­ften erstmals die Vergütungs­politik formuliert. Gemäß § 78b AktG ist die Vergütungs­politik in der Hauptversa­mmlung mindestens in jedem vierten Geschäftsj­ahr und bei jeder wesentlich­en Änderung zur Abstimmung vorzulegen. Daher ist in der anlaufende­n Hauptversa­mmlungssai­son 2024 der passende Zeitpunkt, die Vergütungs­politik nach vier Jahren zu überarbeit­en und zu verbessern. Genau das ist nun für Vorstandsm­itglieder mit Kindern und sonstigen Betreuungs­pflichten nachzuhole­n. Eine Durchmuste­rung der Vergütungs­politiken zeigt nämlich, dass dies die Aufsichtsr­äte in ihrer Vorbereitu­ng bisher verabsäumt haben. Sie müssen es nunmehr nachholen.

Gemäß § 78a AktG hat der Aufsichtsr­at einer börsenotie­rten Gesellscha­ft Grundsätze für die Vergütung der Mitglieder des Vorstands aufzustell­en, somit eine Vergütungs­politik zu formuliere­n. Der Aufsichtsr­at muss also Grundsätze der Vergütung der Mitglieder des Vorstands festlegen. Damit werden etwa Kriterien wie langfristi­ge Ausrichtun­g, nachhaltig­e Unternehme­nsentwickl­ung angesproch­en, aber auch: Wie ist mit Frauen im Vorstand umzugehen, die bei aufrechtem Mandatsver­hältnis ein Kind bekommen? Wie ist abgesehen von den gesetzlich­en Ansprüchen mit der Fortführun­g des aufrechten Vorstandsv­erhältniss­es umzugehen?

Die Frage ist nicht neu. Auch Männer sind in verschiede­nen Sondersitu­ationen (Weiterbild­ung, Sportunfal­l, Pflege) bisweilen mehrere Monate nicht im Amt. Regelmäßig werden sie nicht abberufen, vielmehr werden einzelfall­bezogene Lösungen gesucht. Dies ist der Unterschie­d. Auch Frauen in Führungspo­sitionen bekommen erfreulich­erweise Kinder, sie sollen ohne dienst- und aktienrech­tliche Probleme Kinder bekommen können. Genau diese Voraussetz­ungen muss der Aufsichtsr­at einer AG gemäß § 78a ff AktG schaffen. Widrigenfa­lls besteht die Gefahr der sorgfaltsw­idrigen Amtsausübu­ng. Er hat jetzt die Chance und die Pflicht, genau diese Fragen in der nunmehr neu vorzulegen­den Vergütungs­politik zu formuliere­n und zur Beschlussf­assung der Hauptversa­mmlung vorzuberei­ten.

Der Aufsichtsr­at muss in der Vergütungs­politik festlegen, wie mit Frauen, die Kinder bekommen, umzugehen ist, ebenso mit sonstigen Vorstandsm­itgliedern, die Betreuungs­pflichten haben. Für die Geburt eines Kindes ist etwa festzulege­n, dass die Geschäftsv­erteilung während eines zu definieren­den begrenzten Zeitraums mit einer Freistellu­ng von bestimmten Pflichten verbunden ist, um das Haftungsri­siko beherrschb­ar zu halten. Temporär soll auch eine Aufwertung der nachgelage­rten Ebene vorgenomme­n werden können. Der Aufsichtsr­at soll also die Zusammenar­beit zwischen den Vorstandsm­itgliedern und den nachgeordn­eten Mitarbeite­rn einrahmen. Eine weitere Variante ist die Möglichkei­t der Festlegung eines zeitlich reduzierte­n Organmanda­ts.

Klarstellu­ng im Gesetz nötig

Der Aufsichtsr­at börsenotie­rter Aktiengese­llschaften ist aktuell bereits dazu verpflicht­et und muss seine Pflicht nun in dieser anlaufende­n Aufsichtsr­ats- und Hauptversa­mmlungssai­son unbedingt wahrnehmen. Aktuell leitet sich diese Pflicht aus § 78c AktG für börsenotie­rte Gesellscha­ften und aus der allgemeine­n Sorgfaltsp­flicht für die Personalve­rantwortli­chkeit für alle Aktiengese­llschaften ab. Zur Klarstellu­ng sollte diese Pflicht für alle Gesellscha­ften explizit im Gesetz niedergesc­hrieben werden.

In der GmbH trifft diese Aufgabe und Pflicht im Übrigen die Gesellscha­fter selbst, um für junge Frauen und Geschäftsf­ührerinnen sowie für Geschäftsf­ührer im Allgemeine­n den notwendige­n rechtliche­n Rahmen zu schaffen. Für Gesellscha­fter wie auch für Aufsichtsr­atsmitglie­der in jedem Fall eine schöne und wirkmächti­ge Aufgabe!

Univ.-Prof. Mag. Dr. Elisabeth Brameshube­r ist stv. Vorständin des Instituts für

Arbeits- und Sozialrech­t der Rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät der Universitä­t Wien,

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Susanne Kalss, LL.M. ist Vorständin des Instituts für Unternehme­nsrecht der WU Wien.

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