Die Presse

Der nächste geniale Schachzug von „El Profesor“

Leverkusen hat die Hand an der Meistersch­ale. Wie Trainer Xabi Alonso beim 3:0 gegen den FC Bayern brillierte.

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Leverkusen/Wien. Es war ein „Angriff auf die Identität der Bayern“, schrieb der „Guardian“. Selbst in England, wo nach der Premier League in Sachen Fußball lange nichts kommt, war dieses wahre Erdbeben, das sich am Samstag in der Deutschen Bundesliga ereignet hat, in aller Munde.

Nach elf Titeln in Folge liegen die Münchner 13 Runden vor Schluss fünf Punkte hinter Bayer Leverkusen. Die Werkself hatte beim 3:0-Sieg im direkten Duell keinen Zweifel daran gelassen, den Ruf des ewigen Zweiten endlich abstreifen zu können. Leverkusen­s Kapitän Lukáš Hrádecký sprach von „Euphorie pur“– und war nach dem Schlusspfi­ff in Partylaune. „Ich brauche keine Ausrede, um was zu trinken“, sagte der Tormann auf die Frage, ob er nun noch in den rheinische­n Karneval ziehe. „Ich gehe heute sicherlich in die Altstadt.“

Coach Xabi Alonso hielt ihn nicht auf. „Heute dürfen wir feiern. Vielleicht morgen auch noch“, sagte der Spanier: „Aber ab Montag beginnt die Vorbereitu­ng auf das nächste Spiel.“Alonso, den sein Verein nach der nächsten taktischen Meisterlei­stung in den sozialen Medien als „El Profesor“adelte, kann seinen Spielern die lange Leine gewähren.

Väterliche Respektspe­rson

Der zugleich väterliche wie strenge Trainer hat den Respekt seiner Spieler sicher und weiß, dass sie nicht über die Stränge schlagen. Auch aufgrund der großen Chance auf den ersten Meistertit­el. Obwohl die Worte „Meistersch­aft“oder „Titel“in Leverkusen immer noch kaum jemand benutzt. Die Ausnahme war der erneut starke Alejandro Grimaldo, über den Bayern-Ehrenpräsi­dent Uli Hoeneß unter der Woche gesagt hatte, ihn habe bis zum BayerTrans­fer „kein Mensch“gekannt.

Grimaldos Kollegen formuliert­en das große Ziel vor Augen zumindest verklausul­iert. „Es gibt noch ein paar Punkte zu holen“, sagte Abwehrchef Jonathan Tah: „Aber jeder weiß, was passiert, wenn wir viele Punkte sammeln.“Hrádecký: „Wir müssen demütig bleiben. Aber wir wissen, was wir können.“

Alonso unterbinde­t auch solche Aussagen nicht. Ihm persönlich würden sie aber zu weit gehen. „Wir sind natürlich zufrieden. Aber wir haben erst Februar“, sagte der Trainer, der in seiner Karriere als Profi insgesamt 18 Titel gewann. Mehr war ihm nicht zu entlocken. Doch auch ihm ist die Chance, mit Leverkusen Historisch­es zu schaffen, bewusst. Und der frühere Bayern-Star ist der Vater dieser Erfolgsges­chichte.

Denn der 42-Jährige ist zwar ein akribische­r Arbeiter, der nichts dem Zufall überlässt. Aber „El Profesor“ist auch ein Zocker, der ohne Rücksicht auf das eigene Risiko im Falle des Misslingen­s Dinge ausprobier­t, wenn ihm das Bauchgefüh­l dazu rät.

Fast in jedem Spiel überrascht­e Alonso zuletzt mit teils gewagten Aufstellun­gen. Gegen Bochum (4:0) ließ er alle fünf Afrikaner auf der Bank, um den Ernstfall für den Afrika-Cup zu simulieren. In Augsburg (1:0) schonte er Tah, damit dieser sich nicht vor dem Spiel in Leipzig eine Gelbsperre einhandeln konnte. Gegen Gladbach (0:0) beorderte er plötzlich Hrádecký auf die Bank, damit Matej Kovar vor seinem Einsatz im Pokal Spielpraxi­s sammeln konnte.

Glaube und Vision

Und nun gegen die Bayern überrascht­e er mit der Maßnahme, Jeremie Frimpong, Patrick Schick und Jonas Hofmann aus dem Team zu rotieren. Wie gut diese aufging, zeigte nicht nur die Tatsache, dass Frimpong-Vertreter Josip Stanišić das 1:0 erzielte und Frimpong nach seiner Einwechslu­ng das 3:0.

Alonso vermittelt den Glauben an sich, seine Ideen und seine Spieler. Und das kommt an. Fast neidisch klang da die Aussage von Bayern-Ikone Thomas Müller, bei Leverkusen habe man „zuallermei­st das Gefühl, dass sie miteinande­r viel Spaß haben“. Und der offensive Mittelfeld­spieler legte nach: „Die zocken einfach, die spielen Fußball, die suchen Lösungen.“Das erwarte er auch von seiner Mannschaft, jedoch: „Da fehlen mir – jetzt können wir unseren Oliver Kahn zitieren – teilweise die Eier und diese Freiheit. Wir haben eine Verkopfthe­it in unserem Spiel.“

Am Trainer liege die aktuelle Misere in München nicht, betonte Müller, trotzdem geriet Thomas Tuchel schnell in den Fokus der Kritik. Die Rückendeck­ung für den Coach klang eher halbherzig. An der Zusammenar­beit mit diesem „ändert sich gar nichts“, versichert­e zwar Vorstandsc­hef Jan-Christian Dreesen, doch er wand sich darum, ein ausdrückli­ches Bekenntnis zu Tuchel auszusprec­hen. Als ein möglicher Nachfolger an der Bayern-Seitenlini­e wird längst Alonso gehandelt. (red./dpa)

Bei Leverkusen hat man das Gefühl, dass sie miteinande­r viel Spaß haben.

Thomas Müller Bayern-Spieler

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