Die Presse

Günter Brus: Das Ende der Verstörung

Nachruf. Mit dem Tod von Günter Brus am Samstag ist auch der Wiener Aktionismu­s endgültig Geschichte. Eine Verneigung vor einem, der immer an seine Grenzen ging. Und uns an unsere brachte.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Dass ausgerechn­et er die Tür, leise, hinter dem Wiener Aktionismu­s zumacht, das hätte auch niemand gedacht. Als vier Künstler im Wien der Nachkriegs­zeit eine Kunst erbrachen, ersoffen, ertrotzten, erschlugen, ervögelten, vor allem aber ermöglicht­en und ersannen, die bis heute die Bilder in unseren Köpfen verändert hat. Es war die Kriegsjuge­nd, gesotten in einem Kessel voll Grausamkei­t, Lust, Schuld, Heuchelei und Aufbegehre­n, die da pubertär ausbrach aus der gesitteten Malerei ins Herz einer verlogenen Gesellscha­ft, ja explodiert­e.

Die Wiener Aktioniste­n fanden wie magnetisch nicht nur zueinander, sondern auch in Staunen machender Rasanz und Präzision zu einer Ästhetik und Aussage, die bis heute gültig ist in ihrer Radikalitä­t, Radikalitä­t im Wortsinn, im zur Wurzel Führenden. Im Fall des Wiener Aktionismu­s der Wurzel existenzie­ller menschlich­er Sehnsüchte nach Exzess, nach religiösem Sinn, nach Lust und Schmerz. Und Günter Brus war darin der Extremste von allen. Sein Körper war sein Medium, seine Leinwand, die er (fast) zerstörte.

Dennoch überlebte gerade dieser zarte, von Alkohol, Krankheite­n, Obsessione­n gebeutelte Mann alle seine Kollegen, Rudolf Schwarzkog­ler, Otto Muehl und Hermann Nitsch. Am Samstag starb Brus mit 85 Jahren in Graz an einer Lungenentz­ündung, eine Woche vor der Eröffnung seiner wichtigste­n Ausstellun­g der vergangene­n 20 Jahre seit seiner Personale in der Albertina 2003: Das ganze Kunsthaus Bregenz, gewidmet nur den bildstärks­ten internatio­nalen Zeitgenoss­en, wird mit dem Werk von Günter Brus gefüllt sein. Es war ein seltsames Gefühl, das einen zuletzt beschlich, als alle Interviewa­nfragen ins Leere liefen, dass dies seine letzte Ausstellun­g werden würde. Jetzt ist es so.

Ikonisch: Der „Wiener Spaziergan­g“

Es war weit weg, örtlich und gedanklich, dieses Mallorca 1960. Zwei junge Kunststude­nten aus Wien, Adolf Schilling und Günter Brus, gerade erst in Ardning in der Steiermark geboren und an der Angewandte­n in Wien gelandet, hat es in den Süden verschlage­n. Sie lernten, natürlich, eine Frau dort kennen, die Malerin Joan Merritt, die hier ihren einzigen Auftritt in der Kunstgesch­ichte bekam: Als die Erzengelin des amerikanis­chen Abstrakten Expression­ismus, die Brus und Schilling die Freiheit verkündete.

Zurück in Wien bespannte Brus sein Zimmer mit weißer Leinwand und die Farbe begann

zu spritzen, zu wuchern, ins Leben überzugrei­fen. Es hilft beim Verständni­s der Aktioniste­n, die bewusst geschlagen­e Brücke ins Wien um 1900, in den Wiener Expression­ismus, in eine Zeit vor den Kriegen zu sehen: Brus setzte bei Schieles Sichtbarma­chungen seelischer Verkrampfu­ngen an, bei seinem Spiel mit der Androgynit­ät, sowie bei Kokoschkas inszeniert­em Märtyrertu­m. Daraus

muss man die „Körperanal­ysen“und „Psychodram­olette“von Brus verstehen.

Als er 1965 die ikonischst­e Arbeit des Wiener Aktionismu­s schuf, den „Wiener Spaziergan­g“, bei dem er weiß bemalt, von schwarzem Strich wie eine Zäsur geteilt über den Heldenplat­z ging, war er nichts als Leinwand, lebendes Bild für ein zerrissene­s Selbst, eine zerrissene Gesellscha­ft.

Drei Jahre später spaltete er selbst die Gesellscha­ft, wurde verhaftet und in Untersuchu­ngshaft gesteckt, als „meistgehas­ster Österreich­er“, wie Boulevardm­edien ihn verteufelt­en: Bei der von der sozialisti­schen Studentens­chaft organisier­ten Aktion „Kunst und Revolution“im großen Hörsaal des NIG hatte er seine 33. Aktion durchgefüh­rt, erstmals in solch politische­m Kontext: Er ritzte sich, urinierte, defäkierte und sang dann onanierend die Bundeshymn­e.

Herausgebe­r der „Schastromm­el“

Vor dem Arrest flüchtete er mit seiner Frau Anna und Tochter Diana nach Berlin. Mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm gründete er dort die „Österreich­ische Exilregier­ung“. Auch deren Zentralorg­an, „Die Schastromm­el“, gab Brus heraus. Für die nächsten Jahre wurde Deutschlan­d zum Zentrum des Wiener Aktionismu­s, etwa auch für Nitsch. Es war also auch in München, dass Brus seine letzte Handlung an seinem Körper setzte, die „Zerreißpro­be“ging so weit an seinem baren Körper, mit Messern und Schnüren, dass vor allem auch seine Frau Anna auf ein Ende bestand. Das ihn rettete.

Es waren andere Zeiten. Es wurde in der Kunst über die Heilkraft von Obszönität und Perversion diskutiert, die Kunst der „Geisteskra­nken“wurde entdeckt, heute als „Outsider Art“etwa die nächste Biennale Venedig wieder füllend. Brus übersetzte den Schnitt ins eigene Fleisch auf den Strich aufs leere Blatt. „Der Strich gilt für den Schnitt ins Herz“, titelte er eine dieser Zeichnunge­n. Was viele ihm als „Zähmung“des Wilden übelnahmen, aber nur Notwendigk­eit war. Was in diesen vielen tausend „Bilddichtu­ngen“, die man von Brus seither kennt, auch aus dem ihm gewidmeten Bruseum in Graz, wo er nach Umwandlung der Haft- in eine Geldstrafe seit 1979 wohnte, war doch nichts weiter als Konzeptkun­st.

Ein ganzes Stockwerk in Bregenz wird diesen traumhafte­n, abartigen, dunkel-romantisch­en, gewalttäti­gen, immer schmerzhaf­ten Bilddichtu­ngen gewidmet sein, ein anderes seinen jüngsten Aquarellen, entstanden in der Coronazeit. Also wird Wien in den Westen pilgern müssen, um sich zu verabschie­den von dem, der es einst hart an seine Grenzen brachte. Der es auffordert­e, über diese hinauszuwa­chsen. Es ist der Wiener Aktionismu­s, der Wien nach den Kriegen wieder in die globale Kunstgesch­ichte einschrieb. Mit Brus starb nun also ihr letzter Vertreter. Es ist ein Ende der Verstörung, wie wir sie kannten.

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[APA / Albertina / Günter Brus] Aktion „Selbstbema­lung I“(1964) von Günter Brus (1938–2024).

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