Zwei Königinnen, zwei Wahrheiten
Elisabeth I. und Maria Stuart kommen im für großes Orchester komponierten Musical im Landestheater in Linz direkt ins Gespräch. Zu bereden haben die zwei Frauen mehr als genug für drei spannende Stunden.
Wie ist es dazu gekommen, dass eine Cousine die andere zum Tode verurteilt? Diese Frage stellen Thomas Zaufke (Libretto) und Henry Mason (Musik) an den Anfang ihres neuen Musicals „Die Königinnen“, das am Samstag am Landestheater Linz Premiere gefeiert hat. Die zwei Musicalmacher, die in Linz schon mit „Der Hase mit den Bernsteinaugen“reüssiert haben, liefern ein monumentales und durch klare, moderne Sprache dennoch nahbares Werk über das Leben zweier der berühmtesten Frauen der Weltgeschichte: Elisabeth I., protestantische Königin von England, und Maria Stuart, katholische Königin von Schottland. Die zwei Cousinen agieren als herausragende Frauen in einer von Männern geprägten Welt. Mussten sie tun, was sie taten, oder hätten sie andere Entscheidungen treffen können?
Zwei starke Hauptdarstellerinnen
Elisabeth I. und Maria Stuart kommentieren und provozieren einander, agieren und reden direkt miteinander. Ein Kunstgriff, der dank schlauer und zum Teil humorvoller Dialoge nicht platt daherkommt. Denn die Königinnen verbindet auch viel. Trotz ihrer erbitterten Feindschaft und unterschiedlicher Charaktere leiden beide unter der Last der Krone. Daniela Dett legt ihre Elisabeth mit Machtbewusstsein an, im Stillen zweifelnd, aber auch humorvoll. Alexandra-Yoana Alexandrova gelingt eine jugendliche Maria, die
stark und zerbrechlich zugleich erscheint. Beide Darstellerinnen zeigen eine beeindruckende Entwicklung ihrer Charaktere im Lauf des mit Pause über drei Stunden dauernden Stücks – auch physisch in ihren zunehmenden Schmerzen, Zahnweh bei der einen, Magengeschwür
bei der anderen. Wer ein Stück mit historischen Figuren auf die Bühne bringt, steht vor wesentlichen Entscheidungen: Hält man sich sklavisch an die historischen Fakten? Oder greift man viel in die Geschichte ein? Den „Königinnen” in Linz ist ein guter Kompromiss gelungen. Man hat nicht vor Jahreszahlumstellungen zurückgeschreckt, ohne dabei die großen Bögen zu zerstören. Wer kein Experte für britische Geschichte des 16. Jahrhunderts ist, muss sich darüber ohnehin nicht den Kopf zerbrechen – und geht ein Stück gebildeter aus dem Musiktheater. Bei den vielen Verschwörungen, die sich im Lauf des über drei Stunden dauernden Musicalabends entfalten, könnte man noch ein wenig die Handlungsstränge vereinfachen. Oder zumindest den zwei schottischen Intriganten unterschiedliche Perücken geben, um die Orientierung zu erleichtern.
Wie klingt das neue Musical?
Die vielschichtige Partitur liegt den Musikerinnen und Musikern des Bruckner-Orchesters, die unter der Leitung von Tom Bitterlich zur Höchstform auflaufen. Wie das neue Musical klingt? Angesichts der Breite des Genres sei ein sicher unzureichender Versuch einer Kategorisierung gestattet: Irgendwo zwischen Wildhorn („Jekyll and Hyde“) in der Liebe zum Orchester und in der Musikalität, Sondheim („Into the Woods“) in der Freude am Text und an musikalischer Komplexität – mit einer Prise Levay („Elisabeth“) im Hang zum Drama. Gesanglich erfordert „Die Könginnen“von den Singenden pures Musical: klare Linien, keinerlei Popschnörksel, auch herausfordernde (und vor allem von Alexandrova als Maria Stuart bravourös gemeisterte) Beltpassagen. Manche Melodien wünschte man sich länger zu hören, eine zweite Strophe, ein weiterer Refrain, um sich als Zuhörer einmal ausruhen zu können. Denn es geht alles recht rasch – sowohl inhaltlich als auch musikalisch.
Die etwas gar dunkle Bühne mit felsenartigen Elementen (Stephan Prattes) bietet Raum für verschiedene Szenarien, die Regisseur Simon Eichenberger gut nützt. Getanzt wird weniger – für Choreografie (ebenfalls Eichenberger) bleibt wenig Platz. Das Volk darf wütend zucken. Das Musicalensemble schlüpft souverän in Dutzende Rollen. Es ist den „Königinnen“zu wünschen, dass sie ihren Weg in die Musicalhäuser dieser Welt finden, die sich den Luxus eines großen Orchesters leisten.