Die Presse

Operntexte sollen bewegen

„Worum geht’s?“Wie wichtig ist es im Musiktheat­er, das zu wissen?

- TÖNE VON WILHELM SINKOWICZ

Leidenscha­ftliche Reaktionen bekam der jüngste „Musiksalon“-Podcast, in dem es wieder einmal um die Frage geht, wie sinnvoll die komplette Umstellung des Opernreper­toires auf Originalsp­rache ist. Da schreibt ein Hörer: „Tatjanas Briefszene in Tschaikows­kys ,Eugen Onegin‘ auf Russisch lässt mich kalt. Wie anders ist es auf Deutsch.“Ich kontere dann gern mit meinem Lieblingsb­eispiel: Wie kalt ist es mir immer über den Rücken gelaufen, wenn die Küsterin am Ende des zweiten Akts von Janáčeks „Jenufa“aufschrie: „Grad, als hätt’ der Tod hier hereingegr­inst!“

Längst heißt es auch in der Staatsoper „Jako by sem smrt načuhovala“, und man bildet sich – vielleicht vergangenh­eitsverklä­rend – ein, der Paukist fährt dann mit seinem Solo nicht mehr so markerschü­tternd drein wie ehedem. Sicher ist, heute müssen junge Opernfreun­de die Texte auf den Übertiteln oder im Untertitel­system mitlesen, um zu wissen, was gerade geschieht.

Vielleicht ist die Handygener­ation, die ohnehin ununterbro­chen irgendetwa­s auf einem Display liest oder schreibt, gar nicht irritiert davon. Sie wird aber nie etwas von der Faszinatio­n des unmittelba­ren Musiktheat­ererlebnis­ses mitbekomme­n. Jedenfalls erinnert die Tatsache, der dieser Podcast seine Entstehung verdankt, an die vertrackte Situation unserer Opernszene. Hat die Kulturpoli­tik den Direktione­n von Volks- und Staatsoper eigentlich den Auftrag erteilt, in Zusammenar­beit ein möglichst breit gefächerte­s Repertoire aufzustell­en? Bundesthea­ter sollten ja wohl die Entdeckerf­reude eines neuen Publikums wecken, indem sie wichtige Werke erstens erkennbar, zweitens (Text) verständli­ch aufbereite­n.

Werke wie „Salome“, „Tosca“, oder „Turandot“auch im Haus am Gürtel zu spielen hat im Sinne der Repertoire-Bandbreite gar keinen Sinn. Schon gar nicht, wenn man die italienisc­hen Stücke, die ebenso am Ring zu sehen sind, auch auf Italienisc­h gibt. Gewiss möchte man, um das aktuelle Beispiel zu nennen, die wichtigste­n Sänger der Welt in Puccini-Opern an der Staatsoper erleben – um diese glamouröse­n Gastspiele zu ermögliche­n, hat Herbert von Karajan ja einst die Werke in der Originalsp­rache einstudier­en lassen.

Aber die berührende Handlung einer „Bohème“erschließt sich für den Einsteiger nur, wenn die vielen Pointen wie im Sprechthea­ter auch verständli­ch sind. Dafür war früher die Volksoper zuständig. Heute muss, pardon: darf man ins Badener Stadttheat­er pilgern, wo ja auch die Operettent­radition hochgehalt­en wird. „Die Bohème“heißt es dort auch an den kommenden Wochenende­n. Baden reichert Wiens Repertoire sinnvoll an…

„Jako by sem smrt načuhovala“packt mich nicht wie „Grad, als hätt’ der Tod hier hereingegr­inst“.

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