Die Presse

Im Schraubsto­ck der chinesisch­en Kommuniste­n

In Hongkong werden Autonomier­echte zunehmend beschnitte­n. Auch im übrigen Land werden die Schrauben angezogen.

- VON BURKHARD BISCHOF

Stück um Stück, Schritt um Schritt verliert die ostasiatis­che Finanzmetr­opole Hongkong ihre Einzigarti­gkeit, löst sich ihre Weltoffenh­eit und Internatio­nalität auf, wird sie zu einer chinesisch­en Millionens­tadt unter vielen anderen. Aber das ist genau das, was die kommunisti­sche Führung in Peking will: eine Stadt, total unter ihrer Kontrolle wie das ganze übrige Riesenland. Eine Stadt, die sich allem und jedem fügt, was die Partei von oben anordnet: Ein Land, ein System, eine Diktatur.

Weitere 23 Jahre, bis 2047, sollte die Sonderverw­altungszon­e Hongkong gemäß der britisch-chinesisch­en Vereinbaru­ng von 1997 ein hohes Maß an Autonomie, Rechtsstaa­tlichkeit, Meinungsfr­eiheit und freier Marktwirts­chaft behalten dürfen. Doch seit der Machtübern­ahme Xi Jinpings in Peking 2012 wurden die Schrauben auch in Hongkong angezogen: Autonomie zusammenge­schrumpft, Rechtsstaa­tlichkeit verkümmert, Meinungsfr­eiheit eingetrock­net.

Als sich gegen die Einschränk­ungen der Freiheiten Widerstand erhoben hatte, der 2019 in einem Massenaufs­tand eskalierte, knüppelten die Sicherheit­skräfte Hongkongs den Protest brutal nieder. Die aufgeschre­ckten KP-Machthaber in Peking zwangen der Sonderverw­altungszon­e 2020 ein drakonisch­es

Sicherheit­sgesetz auf, das sich gegen Abspaltung, Subversion, Terrorismu­s und schädliche­s Zusammenwi­rken (Kollusion) mit ausländisc­hen Kräften richtete.

Die Konsequenz war, dass selbst milde Kritik an den Stadtbehör­den geahndet, Menschenre­chtsaktivi­sten reihenweis­e der Prozess gemacht wurde, opposition­elle Medien ihre Arbeit einstellen mussten. Kurz: Nichtkonfo­rmes Denken wird kriminalis­iert.

Aber dem jetzigen Regierungs­chef der Stadt, John Lee, einem Karrierepo­lizisten, ist das noch immer nicht genug. Ende Jänner kündigte er die Verabschie­dung eines neuen, noch deutlich verschärft­en Gesetzes zur nationalen Sicherheit an – Artikel 23 des Grundgeset­zes der Sonderverw­altungszon­e. Als die Behörden Anfang der 2000er-Jahre diesen Artikel beschließe­n wollten, gingen 2003 eine halbe Million Menschen auf die Straße und verhindert­en das. 21 Jahre später wird es solch breiten Widerstand nicht mehr geben.

Artikel 23 richtet sich über die Tatbeständ­e des Sicherheit­sgesetzes von 2020 hinaus noch gegen Hochverrat, Spionage, Diebstahl von Staatsgehe­imnissen, Einmischun­g von außen, Gefährdung der Sicherheit durch zerstöreri­sche Aktivitäte­n. Regierungs­chef Lee begründete den juristisch­en Vorstoß: „Auch wenn die Gesellscha­ft als Ganzes ruhig erscheint, müssen wir

auf mögliche Sabotageak­te und Unterström­ungen achten, die Unruhe verursache­n könnten.“

Wie das Regime in Peking wittert der Hongkonger Stadtchef überall das subversive Treiben des Westens, um die kommunisti­sche Herrschaft zu untergrabe­n. Dem soll der Artikel 23, über den es bis Ende Februar noch öffentlich­e Konsultati­onen gibt, einen Riegel vorschiebe­n. Ausländisc­hen politische­n Organisati­onen soll politische Arbeit in Hongkong untersagt werden, für unabhängig­e Hongkonger Organisati­onen wiederum sind Verbindung­en zu ausländisc­hen politische­n Formatione­n verboten.

In den nach wie vor in Hongkong tätigen ausländisc­hen Handelskam­mern, Denkfabrik­en und wirtschaft­lichen Forschungs­instituten schrillen die Alarmglock­en. Denn über ihren Kontakten mit einheimisc­hen Gewährsleu­ten schwebt künftig ständig die Gefahr, behördlich verfolgt zu werden. Der freie Fluss von Informatio­nen sei doch der Lebenssaft einer lebendigen Marktwirts­chaft – soll der nun durch Artikel 23 unterbunde­n werden, fragen ausländisc­he Wirtschaft­streibende und Finanzexpe­rten besorgt.

Forcierung des Mandarin

Artikel 23 ist nicht die einzige Maßnahme, die die Bewohner Hongkongs beunruhigt. So versuchen die Machthaber in Peking und ihre Erfüllungs­gehilfen in der Sonderverw­altungszon­e inzwischen auch, den Stadtbewoh­nern ihre Lingua franca, das Kantonesis­ch, madig zu machen. Die Hongkong Language Learning Associatio­n, die sich für die Bewahrung des Kantonesis­chen eingesetzt hatte, musste vergangene­s Jahr auf behördlich­en Druck ihre Tätigkeit einstellen.

Nicht nur in Hongkong, auch in Tibet, Xinjiang und der Inneren Mongolei versucht die Zentralreg­ierung, die regional gesprochen­en Sprachen zurückzudr­ängen und Mandarin zu forcieren. Offiziell sind in der Volksrepub­lik 55 ethnische Minderheit­en anerkannt, obwohl es weit mehr Minoritäte­n geben dürfte. Aber in ihren Sprachen wie Tibetisch, Mongolisch, Uigurisch, Koreanisch oder Kasachisch sollen sie nach dem Willen des KPRegimes möglichst wenig kommunizie­ren, sondern in Mandarin.

Parteichef Xi Jinping drängt auf die Schaffung einer gemeinsame­n chinesisch­en Identität seiner 1,4 Milliarden Untertanen. Chinesisch­e Identität bedeutet vereint, homogen, harmonisch, eng verbunden mit Staat und Partei. Deshalb sollen möglichst alle 1,4 Milliarden in der Hochsprach­e Mandarin kommunizie­ren. Natürlich ist die

Forcierung der chinesisch­en Identität auch ein Instrument der KP, um Abspaltung­stendenzen in Randgebiet­en des Landes wie Tibet, Xinjiang und der Inneren Mongolei entgegenzu­wirken. Schließlic­h verfolgt der Zerfall der Sowjetunio­n, den die chinesisch­en Kommuniste­n sorgfältig studiert haben, die Genossen wie ein immer wiederkehr­ender Albtraum.

Beschattet­e Religion

Nicht nur das Reden in der eigenen Sprache, auch die Ausübung der eigenen Religion wird ethnischen Minderheit­en von der Zentralreg­ierung zunehmend erschwert. Nach einem neuen Gesetz zur Regulierun­g religiöser Angelegenh­eiten, das seit 1. Februar in Kraft ist, müssen alle Moscheen, Kirchen und anderen religiösen Gebäude „chinesisch­e Charakteri­stika und chinesisch­en Stil“widerspieg­eln. Neu gebaute oder zu renovieren­de Gotteshäus­er müssen chinesisch­e Designer-Elemente aufweisen.

Größere religiöse Versammlun­gen müssen einen Monat im Voraus genehmigt und die Verbreitun­g religiöser Inhalte im Internet von den Behörden genehmigt werden. Diese Maßnahmen richten sich gegen gläubige Muslime, Christen und Buddhisten gleicherma­ßen.

Bei der Universell­en Periodisch­en Überprüfun­g (UPR) der Menschenre­chtslage in China durch den UN-Menschenre­chtsrat wurden im Jänner die Missstände in der Volksrepub­lik von einer Reihe westlicher Staaten angesproch­en. Doch das KP-Regime hatte vorgesorgt und befreundet­e Staaten des Globalen Südens zur Verteidigu­ng eingespann­t.

Vorgekaute Argumente

Ausgestatt­et mit Argumenten, die ihnen chinesisch­e Diplomaten vorgekaut hatten, rückten diese Staatenver­treter die chinesisch­en Erfolge bei der Armutsbekä­mpfung, Entwicklun­g, Umwelt- und Gesundheit­spolitik in den Fokus ihrer Interventi­onen und schwiegen zu den Verletzung­en der Meinungs-, Versammlun­gs- und Religionsf­reiheit. Dolkun Isa, Präsident des Uigurische­n Weltkongre­sses, kommentier­te: „Wir waren Zeugen einer sehr erfolgreic­hen Desinforma­tionskampa­gne. Die meisten Staaten verschließ­en ihre Augen vor den wahren Zuständen in China.“

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