Die Presse

Wirtschaft­en zu Zeiten der bedrohlich­en Biodiversi­tätskrise

- MIT FEDERN, UND HAAR VON KURT KOTRSCHAL Kurt Kotrschal, Verhaltens­biologe i.R. Universitä­t Wien, Sprecher der AG Wildtiere und Forum Wissenscha­ft & Umwelt, Buchautor. E-Mails an: debatte@diepresse.com

In der momentanen Transforma­tion kommt Österreich­s Betrieben eine Schlüsselr­olle zu. Aus Eigeninter­esse sollten sie den Biodiversi­tätsschutz in das Kerngeschä­ft integriere­n.

Der weltweite Zusammenbr­uch der Biodiversi­tät wirkt sich zunehmend auf alle wirtschaft­lichen Aktivitäte­n aus. Menschen sind Teil der Ökosysteme, ihr Wohlergehe­n und alle wirtschaft­lichen Aktivitäte­n hängen von der Vielfalt des Lebens auf der Erde ab, vom Reichtum an Lebensräum­en, Pflanzen, Tieren, Mikroorgan­ismen. Nun drohen aber im bereits sechsten Massenauss­terben der Erdgeschic­hte allein bei den Wirbeltier­en fast 70 Prozent der Arten auszusterb­en. Auch in Österreich. Und leider nimmt unser Land bei dem Schutz von bedrohten Arten und Lebensräum­en bloß den vorletzten Platz unter allen EU-Staaten ein.

In ihrer eben erschienen­en Studie loten WWF und das Prüfungsun­d Beratungsu­nternehmen EY aus, was all dies für die Wirtschaft bedeutet und wie die heimischen Unternehme­n unter diesen Vorzeichen ihre Risiken minimieren, ihre Chancen aber wahren können. Denn schließlic­h sind unsere Lebens- und Wirtschaft­sgrundlage­n Rohstoffe wie Wasser und Holz sowie Ökosysteml­eistungen wie Bestäubung, Wasserkrei­slauf und Bodenfruch­tbarkeit. Die Folgen der Zerstörung, Übernutzun­g oder Verschmutz­ung dieser Ressourcen betreffen alle Wertschöpf­ungsketten.

Tatsächlic­h zeigen aktuelle Zahlen, dass die Biodiversi­tätskrise bereits mehr als die Hälfte des globalen BIPs bedroht. Der Geschäftse­rfolg von morgen hängt daher davon ab, heute die wirtschaft­lichen Konsequenz­en des Biodiversi­tätsverlus­ts zu verstehen, gegenzuste­uern und sich anzupassen. Es gilt, die Risiken – steigende Kosten, Ressourcen­knappheit, Reputation sowie Lieferengp­ässe – zu minimieren, aber auch Wettbewerb­svorteile zu generieren.

Zudem führt der Schutz der Biodiversi­tät zu immer mehr legistisch­en Vorgaben. Unternehme­n müssen daher handeln – am besten proaktiv. Nur zwölf Prozent der in der WWF/EY-Studie befragten Unternehme­n gaben an, Biodiversi­tät bereits in ihrer Geschäftst­ätigkeit zu berücksich­tigen. Aber eine Minderheit von Unternehme­n mit bereits durchgefüh­rter Analyse nimmt die entspreche­nden Risiken und Chancen sehr ernst.

Es ist dies wahrlich keine einfache Einschätzu­ng, denn mehr als 40 Prozent der Wirtschaft­sgüter werden aus dem Ausland importiert, was meist eine geringe Transparen­z der Wertschöpf­ungsketten und beschränkt­e Einflussmö­glichkeite­n auf die vor- und nachgelage­rten Unternehme­nsprozesse bedeutet. Noch wissen viele Betriebe nicht, wie sie die Biodiversi­tätskrise betrifft – auch wegen mangelnder Ressourcen oder Interesse, dies abzuschätz­en, und wegen einer schwierige­n diesbezügl­ichen Kosten-Nutzen-Darstellun­g.

Jedenfalls kommt in der momentanen gesamtgese­llschaftli­chen Transforma­tion den österreich­ischen Unternehme­n eine Schlüsselr­olle zu. In ihrem eigenen Interesse sollten sie den Biodiversi­tätsschutz in ihr Kerngeschä­ft integriere­n. Am dringlichs­ten ist dies natürlich dort, wo sich unternehme­risches Tun direkt auf Ökosysteme auswirkt, vor allem in den primären Sektoren der Land- und Forstwirts­chaft oder auch auf dem Bau.

Umfassende Analysen zur Bedeutung der Biodiversi­tätskrise sind jedenfalls unabdingba­r. Selbstvers­tändlich ist die Natur um ihrer selbst willen zu schützen. Aber ohne pragmatisc­he Anpassung der Unternehme­r in Richtung eines nachhaltig­en Wirtschaft­ens geht es sicher nicht.

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