Wirtschaften zu Zeiten der bedrohlichen Biodiversitätskrise
In der momentanen Transformation kommt Österreichs Betrieben eine Schlüsselrolle zu. Aus Eigeninteresse sollten sie den Biodiversitätsschutz in das Kerngeschäft integrieren.
Der weltweite Zusammenbruch der Biodiversität wirkt sich zunehmend auf alle wirtschaftlichen Aktivitäten aus. Menschen sind Teil der Ökosysteme, ihr Wohlergehen und alle wirtschaftlichen Aktivitäten hängen von der Vielfalt des Lebens auf der Erde ab, vom Reichtum an Lebensräumen, Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen. Nun drohen aber im bereits sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte allein bei den Wirbeltieren fast 70 Prozent der Arten auszusterben. Auch in Österreich. Und leider nimmt unser Land bei dem Schutz von bedrohten Arten und Lebensräumen bloß den vorletzten Platz unter allen EU-Staaten ein.
In ihrer eben erschienenen Studie loten WWF und das Prüfungsund Beratungsunternehmen EY aus, was all dies für die Wirtschaft bedeutet und wie die heimischen Unternehmen unter diesen Vorzeichen ihre Risiken minimieren, ihre Chancen aber wahren können. Denn schließlich sind unsere Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen Rohstoffe wie Wasser und Holz sowie Ökosystemleistungen wie Bestäubung, Wasserkreislauf und Bodenfruchtbarkeit. Die Folgen der Zerstörung, Übernutzung oder Verschmutzung dieser Ressourcen betreffen alle Wertschöpfungsketten.
Tatsächlich zeigen aktuelle Zahlen, dass die Biodiversitätskrise bereits mehr als die Hälfte des globalen BIPs bedroht. Der Geschäftserfolg von morgen hängt daher davon ab, heute die wirtschaftlichen Konsequenzen des Biodiversitätsverlusts zu verstehen, gegenzusteuern und sich anzupassen. Es gilt, die Risiken – steigende Kosten, Ressourcenknappheit, Reputation sowie Lieferengpässe – zu minimieren, aber auch Wettbewerbsvorteile zu generieren.
Zudem führt der Schutz der Biodiversität zu immer mehr legistischen Vorgaben. Unternehmen müssen daher handeln – am besten proaktiv. Nur zwölf Prozent der in der WWF/EY-Studie befragten Unternehmen gaben an, Biodiversität bereits in ihrer Geschäftstätigkeit zu berücksichtigen. Aber eine Minderheit von Unternehmen mit bereits durchgeführter Analyse nimmt die entsprechenden Risiken und Chancen sehr ernst.
Es ist dies wahrlich keine einfache Einschätzung, denn mehr als 40 Prozent der Wirtschaftsgüter werden aus dem Ausland importiert, was meist eine geringe Transparenz der Wertschöpfungsketten und beschränkte Einflussmöglichkeiten auf die vor- und nachgelagerten Unternehmensprozesse bedeutet. Noch wissen viele Betriebe nicht, wie sie die Biodiversitätskrise betrifft – auch wegen mangelnder Ressourcen oder Interesse, dies abzuschätzen, und wegen einer schwierigen diesbezüglichen Kosten-Nutzen-Darstellung.
Jedenfalls kommt in der momentanen gesamtgesellschaftlichen Transformation den österreichischen Unternehmen eine Schlüsselrolle zu. In ihrem eigenen Interesse sollten sie den Biodiversitätsschutz in ihr Kerngeschäft integrieren. Am dringlichsten ist dies natürlich dort, wo sich unternehmerisches Tun direkt auf Ökosysteme auswirkt, vor allem in den primären Sektoren der Land- und Forstwirtschaft oder auch auf dem Bau.
Umfassende Analysen zur Bedeutung der Biodiversitätskrise sind jedenfalls unabdingbar. Selbstverständlich ist die Natur um ihrer selbst willen zu schützen. Aber ohne pragmatische Anpassung der Unternehmer in Richtung eines nachhaltigen Wirtschaftens geht es sicher nicht.