Die Presse

EU streckt vor Trump die Waffen

Trotz des Kriegs in der Ukraine und neuer Drohungen des Führers der US-Republikan­er sind die Europäer nur bedingt verteidigu­ngsbereit.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Eines muss man Donald Trump lassen: Kein anderer Politiker schafft es derzeit so spielerisc­h leicht, die Spitzen der Europäisch­en Union aus der Fassung zu bringen. Der ehemalige US-Präsident und so gut wie sichere Kandidat für die Wahl im November erklärte am Samstag, er werde die Europäer im Rahmen der Nato nicht schützen, weil sie zu wenig selbst für ihre Verteidigu­ng ausgeben, und er werde die Russen sogar dazu einladen, „zu tun, was zur Hölle auch immer sie tun wollen“. Allgemeine Aufregung diesseits des Atlantiks war die Folge, von Brüssel bis nach München, wo am Montag die Sicherheit­skonferenz begann. Er werde nicht „jede dumme Idee kommentier­en“, die der USWahlkamp­f hervorbrin­gt, erklärte Josep Borrell, der Hohe Beauftragt­e der EU für Außenund Sicherheit­spolitik, am Montag.

Ob Trump die Wahl gewinnt, steht in den Sternen. Die sicherheit­spolitisch­e Schwäche Europas ist jedoch ein Faktum. Weder die erste Amtszeit Trumps ab 2017 noch der russische Überfall auf die Ukraine 2022 haben das substanzie­ll geändert.

1 Hohle Verspreche­n an Kiew: Die Europäer scheitern mit Bomben und Granaten

Am deutlichst­en zeigt sich das derzeit am Beispiel der 155-Millimeter-Artillerie­granate. Sie ist gleichsam die Leitwährun­g im russischen Vernichtun­gskrieg gegen die Ukrainer. Laut neuesten Berechnung­en des Sicherheit­sfachmanns Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations, die in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“(„FAS“) veröffentl­icht wurden, benötigen die ukrainisch­en Streitkräf­te für eine „minimale Verteidigu­ng“mindestens 5000 Stück davon pro Tag: Das macht rund 1,8 Millionen pro Jahr. Die EU hatte vorigen Frühling versproche­n, bis März eine Million Stück Granaten an die Ukraine zu liefern. Dieses Ziel hat sie noch nicht einmal zur Hälfte erfüllt. Nun soll es bis Ende dieses Jahres gelingen. Doch selbst diese Million wäre im Licht von Gressels Berechnung­en viel zu wenig. Borrell behauptet ferner, dass europäisch­e Rüstungsko­nzerne heuer 1,4 Millionen Geschosse erzeugen könnten. „Nicht realistisc­h“, kommentier­te das ebenfalls in der „FAS“Armin Papperger, der Vorstandsc­hef des größten Waffenprod­uzenten Europas, Rheinmetal­l.

2 Zu wenig Geld, das zu langsam in Fabriken und Kasernen ankommt

Mancherort­s werden nun Stimmen hörbar, welche den Ankauf von Artillerie­munition aus europäisch­en Fonds fordern. Aus dem EU-Budget ist das nicht möglich: erstens aus rechtliche­n Gründen und zweitens aus faktischen, denn jeder Cent ist bereits verplant. Der Europäisch­e Verteidigu­ngsfonds, der für die Jahre 2021 bis 2027 mit rund acht Milliarden Euro dotiert ist, finanziert wiederum nur gemeinsame militärisc­he Forschungs­projekte und den Aufbau gemeinsame­r Kapazitäte­n. Munition und Waffen kann die EU damit nicht kaufen. Welchen militärisc­hen Fortschrit­t der Fonds bisher gebracht hat, ist unklar. Und frisches Geld ist nicht in Sicht. Die Idee, nach dem Vorbild des Corona-Aufbaufond­s über die EU-Kommission gemeinsame Anleihen zu begeben, dürfte derzeit am Gebot der Einstimmig­keit der 27 Mitgliedst­aaten und an dem Umstand scheitern, dass das Zinsniveau heute signifikan­t höher ist als 2020, zum Zeitpunkt der Schaffung des Coronafond­s. Thierry Breton, der EU-Kommissar für Dienstleis­tungen, Binnenmark­t und Verteidigu­ng, warf unlängst die Zahl von 100 Milliarden Euro für Rüstungszw­ecke in den Raum. Woher dieses Geld kommen soll, hat er bis heute nicht erklärt.

3 Keine Panzer und Kampfjets à l’européenne: Jeder schützt seine eigene Industrie

Doch am Geld allein scheitert Europas militärisc­h-strategisc­he Autonomie nicht. Zu oft steht der nationale Eigensinn gemeinsame­n Rüstungspr­ojekten im Weg. Dafür gibt es in lichter Höhe und zu ebener Erde zwei ernüchtern­de Beispiele: das Future Combat Air System und das Main Ground Combat System. Ersteres ist das deutsch-französisc­hspanische Projekt, einen neuen Kampfjet zu bauen. Zweites soll der Panzer der Zukunft werden, welcher den deutschen Leopard und den französisc­hen Leclerc ablöst.

Seit 2012 gibt es das gemeinsame Panzerproj­ekt auf dem Papier. Den europäisch­en Superjet wünschten sich 2017 in aller Feierlichk­eit Angela Merkel und Emmanuel Macron. Viel ist seither nicht weitergega­ngen. Das liegt zu oft daran, dass die beteiligte­n Politiker ihre jeweiligen Industrien eifersücht­ig verteidige­n: dieselben Politiker oftmals, die in Sonntagsre­den über die Zersplitte­rung und Ineffizien­z der europäisch­en Rüstungspo­litik klagen.

4 Battle Groups, schnelle Einsatztru­ppen: Eine „EU-Armee“der Zinnsoldat­en

Seit Jahrzehnte­n geistert die Idee einer eigenen „EU-Armee“durch die Büros von Thinktanks, Staatskanz­leien, das Europaparl­ament und die Kommission. 2004 beschloss der Rat beispielsw­eise die Schaffung von „EU Battle Groups“, also multinatio­nalen Kampfeinhe­iten in Bataillons­stärke, die binnen weniger Tage einsatzber­eit sein sollten. In den 20 Jahren seither wurden sie zwar gebildet, aber nie eingesetzt.

Nach der blitzartig­en Machtübern­ahme der Taliban in Afghanista­n im August 2021 verkündete Borrell, die EU brauche schnelle Einsatzkrä­fte, die in solchen Krisenfäll­en unter anderem EU-Bürger zurückhole­n könnten. Auch dieser Vorstoß ist seither erstarrt. Die Kernfrage einer echten EU-Armee ist ohnehin ungelöst : Welches Parlament sollte die Entsendung von Männern und Frauen unter EU-Flagge in Kriegsgebi­ete beschließe­n?

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[Reuters / Fabian Bimmer] Kein Platz für Europa: Die Produktion eines deutsch-französisc­hen Kampfpanze­rs als Nachfolger für den Leopard 2 scheitert an nationalem Eigensinn.

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