EU streckt vor Trump die Waffen
Trotz des Kriegs in der Ukraine und neuer Drohungen des Führers der US-Republikaner sind die Europäer nur bedingt verteidigungsbereit.
Brüssel. Eines muss man Donald Trump lassen: Kein anderer Politiker schafft es derzeit so spielerisch leicht, die Spitzen der Europäischen Union aus der Fassung zu bringen. Der ehemalige US-Präsident und so gut wie sichere Kandidat für die Wahl im November erklärte am Samstag, er werde die Europäer im Rahmen der Nato nicht schützen, weil sie zu wenig selbst für ihre Verteidigung ausgeben, und er werde die Russen sogar dazu einladen, „zu tun, was zur Hölle auch immer sie tun wollen“. Allgemeine Aufregung diesseits des Atlantiks war die Folge, von Brüssel bis nach München, wo am Montag die Sicherheitskonferenz begann. Er werde nicht „jede dumme Idee kommentieren“, die der USWahlkampf hervorbringt, erklärte Josep Borrell, der Hohe Beauftragte der EU für Außenund Sicherheitspolitik, am Montag.
Ob Trump die Wahl gewinnt, steht in den Sternen. Die sicherheitspolitische Schwäche Europas ist jedoch ein Faktum. Weder die erste Amtszeit Trumps ab 2017 noch der russische Überfall auf die Ukraine 2022 haben das substanziell geändert.
1 Hohle Versprechen an Kiew: Die Europäer scheitern mit Bomben und Granaten
Am deutlichsten zeigt sich das derzeit am Beispiel der 155-Millimeter-Artilleriegranate. Sie ist gleichsam die Leitwährung im russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukrainer. Laut neuesten Berechnungen des Sicherheitsfachmanns Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations, die in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“(„FAS“) veröffentlicht wurden, benötigen die ukrainischen Streitkräfte für eine „minimale Verteidigung“mindestens 5000 Stück davon pro Tag: Das macht rund 1,8 Millionen pro Jahr. Die EU hatte vorigen Frühling versprochen, bis März eine Million Stück Granaten an die Ukraine zu liefern. Dieses Ziel hat sie noch nicht einmal zur Hälfte erfüllt. Nun soll es bis Ende dieses Jahres gelingen. Doch selbst diese Million wäre im Licht von Gressels Berechnungen viel zu wenig. Borrell behauptet ferner, dass europäische Rüstungskonzerne heuer 1,4 Millionen Geschosse erzeugen könnten. „Nicht realistisch“, kommentierte das ebenfalls in der „FAS“Armin Papperger, der Vorstandschef des größten Waffenproduzenten Europas, Rheinmetall.
2 Zu wenig Geld, das zu langsam in Fabriken und Kasernen ankommt
Mancherorts werden nun Stimmen hörbar, welche den Ankauf von Artilleriemunition aus europäischen Fonds fordern. Aus dem EU-Budget ist das nicht möglich: erstens aus rechtlichen Gründen und zweitens aus faktischen, denn jeder Cent ist bereits verplant. Der Europäische Verteidigungsfonds, der für die Jahre 2021 bis 2027 mit rund acht Milliarden Euro dotiert ist, finanziert wiederum nur gemeinsame militärische Forschungsprojekte und den Aufbau gemeinsamer Kapazitäten. Munition und Waffen kann die EU damit nicht kaufen. Welchen militärischen Fortschritt der Fonds bisher gebracht hat, ist unklar. Und frisches Geld ist nicht in Sicht. Die Idee, nach dem Vorbild des Corona-Aufbaufonds über die EU-Kommission gemeinsame Anleihen zu begeben, dürfte derzeit am Gebot der Einstimmigkeit der 27 Mitgliedstaaten und an dem Umstand scheitern, dass das Zinsniveau heute signifikant höher ist als 2020, zum Zeitpunkt der Schaffung des Coronafonds. Thierry Breton, der EU-Kommissar für Dienstleistungen, Binnenmarkt und Verteidigung, warf unlängst die Zahl von 100 Milliarden Euro für Rüstungszwecke in den Raum. Woher dieses Geld kommen soll, hat er bis heute nicht erklärt.
3 Keine Panzer und Kampfjets à l’européenne: Jeder schützt seine eigene Industrie
Doch am Geld allein scheitert Europas militärisch-strategische Autonomie nicht. Zu oft steht der nationale Eigensinn gemeinsamen Rüstungsprojekten im Weg. Dafür gibt es in lichter Höhe und zu ebener Erde zwei ernüchternde Beispiele: das Future Combat Air System und das Main Ground Combat System. Ersteres ist das deutsch-französischspanische Projekt, einen neuen Kampfjet zu bauen. Zweites soll der Panzer der Zukunft werden, welcher den deutschen Leopard und den französischen Leclerc ablöst.
Seit 2012 gibt es das gemeinsame Panzerprojekt auf dem Papier. Den europäischen Superjet wünschten sich 2017 in aller Feierlichkeit Angela Merkel und Emmanuel Macron. Viel ist seither nicht weitergegangen. Das liegt zu oft daran, dass die beteiligten Politiker ihre jeweiligen Industrien eifersüchtig verteidigen: dieselben Politiker oftmals, die in Sonntagsreden über die Zersplitterung und Ineffizienz der europäischen Rüstungspolitik klagen.
4 Battle Groups, schnelle Einsatztruppen: Eine „EU-Armee“der Zinnsoldaten
Seit Jahrzehnten geistert die Idee einer eigenen „EU-Armee“durch die Büros von Thinktanks, Staatskanzleien, das Europaparlament und die Kommission. 2004 beschloss der Rat beispielsweise die Schaffung von „EU Battle Groups“, also multinationalen Kampfeinheiten in Bataillonsstärke, die binnen weniger Tage einsatzbereit sein sollten. In den 20 Jahren seither wurden sie zwar gebildet, aber nie eingesetzt.
Nach der blitzartigen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 verkündete Borrell, die EU brauche schnelle Einsatzkräfte, die in solchen Krisenfällen unter anderem EU-Bürger zurückholen könnten. Auch dieser Vorstoß ist seither erstarrt. Die Kernfrage einer echten EU-Armee ist ohnehin ungelöst : Welches Parlament sollte die Entsendung von Männern und Frauen unter EU-Flagge in Kriegsgebiete beschließen?