Warum es nicht cool ist, den Mainstream nicht cool zu finden
Wer dem Massengeschmack in der Popkultur eine Abfuhr erteilte, erntete einst soziales Kapital. Heute wird man dafür als Spalter abgestempelt.
Alle sind sich einig: Der jüngste Super Bowl war eine super Sache. Auch Sportskeptiker können sich nun für das Event begeistern, Taylor Swift sei Dank. Der Popstar sprang auf der Tribüne auf und ab, als ihr Partner, der Footballer Travis Kelce, mit seinen Kansas City Chiefs den Sieg errang. Und die Vereinigten Staaten feierten mit. Die Union zwischen Diva und Athlet bringe, so heißt es allenthalben, die Leute in diesen konfliktreichen Zeiten zusammen: Väter und Töchter, Machos und Feministinnen, Konservative und Liberale.
Alle sind sich einig? Echt? Natürlich nicht. Aber das ist im Hinblick auf die mediale Euphorie rund um Swift und den Super Bowl sekundär. Was zählt, ist die Symbolkraft des „Verbindenden“, die dem Auftritt der Sängerin beim Sportereignis attestiert wird: Swift, der ohnehin schon so viele Herzen zufliegen, umarmt nun auch die bierschweißgetränkte Footballwelt.
Was man gefälligst gut zu finden hat: Denn was uns verbindet, das spaltet uns nicht. Und Spaltung ist schlecht, ja, gefährlich – auch politisch. Woraus sich ergibt: Gut ist, worauf sich die meisten einigen können.
Für Menschen, die popkulturell in der Zeit vor Social Media sozialisiert wurden, klingt diese Maxime widersinnig. Der Geschmack der Mehrheit nannte sich damals „Mainstream“; er war zwar – no na – dominant, aber niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn als „gut“im Sinne von moralisch richtig und wichtig zu bezeichnen.
Im Gegenteil: „Guter“Geschmack war auch in der Popkultur einer, der sich von besagtem Mainstream abgrenzte. So kamen Außenseiter an soziales Kapital: Schräge Vögel, die seltsame Bands hörten, punkteten in Subkulturen (und manchmal auch darüber hinaus) mit „coolem Wissen“, hatten Normalos etwas voraus. Was ihnen half, nicht ganz abzudriften.
Das hat sich geändert: Es ist nicht mehr cool, den Mainstream nicht cool zu finden. Zum einen, weil es seine weiblichen Vertreter waren, die von den „Alternativen“besonders gehässig gegeißelt wurden – etwa Britney Spears und ihre vielen jugendlichen Fans. Dass dieser Häme etwas Misogynes innewohnte, wurde inzwischen erkannt, und nun tut niemand mehr Taylor Swift ab, nur weil sie primär von Teenagermädchen verehrt wird.
Zum anderen sind es heute die Extremisten, die am lautesten gegen das hetzen, was sie als „politischen Mainstream“empfinden. Einst schüttelten selbst ernannte Underdogs ihr Haar zu Alternative Rock. Heute berufen sich manche Anhänger der Alternative für Deutschland auf „alternative Fakten“. Was vieles ist, aber nicht cool.
Und weil Popkultur längst ein politisches Schlachtfeld ist, gerät die Verteidigung des Mainstreams, der „eint“, auch dort zur Gesinnungsfrage. Gute Nachrichten für Superstars, schlechte für alles, was wirklich alternativ ist, im ästhetischen Sinn: Das wird es künftig noch schwerer haben, öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen. Was unserer popkulturellen Vielfalt nur schaden kann. Sind wir uns da alle einig?
Einst hörten Underdogs Alternative Rock. Heute berufen sich Extremisten auf „alternative Fakten“.