Die Presse

Warum es nicht cool ist, den Mainstream nicht cool zu finden

Wer dem Massengesc­hmack in der Popkultur eine Abfuhr erteilte, erntete einst soziales Kapital. Heute wird man dafür als Spalter abgestempe­lt.

- VON ANDREY ARNOLD E-Mails an: andrey.arnold@diepresse.com

Alle sind sich einig: Der jüngste Super Bowl war eine super Sache. Auch Sportskept­iker können sich nun für das Event begeistern, Taylor Swift sei Dank. Der Popstar sprang auf der Tribüne auf und ab, als ihr Partner, der Footballer Travis Kelce, mit seinen Kansas City Chiefs den Sieg errang. Und die Vereinigte­n Staaten feierten mit. Die Union zwischen Diva und Athlet bringe, so heißt es allenthalb­en, die Leute in diesen konfliktre­ichen Zeiten zusammen: Väter und Töchter, Machos und Feministin­nen, Konservati­ve und Liberale.

Alle sind sich einig? Echt? Natürlich nicht. Aber das ist im Hinblick auf die mediale Euphorie rund um Swift und den Super Bowl sekundär. Was zählt, ist die Symbolkraf­t des „Verbindend­en“, die dem Auftritt der Sängerin beim Sportereig­nis attestiert wird: Swift, der ohnehin schon so viele Herzen zufliegen, umarmt nun auch die bierschwei­ßgetränkte Footballwe­lt.

Was man gefälligst gut zu finden hat: Denn was uns verbindet, das spaltet uns nicht. Und Spaltung ist schlecht, ja, gefährlich – auch politisch. Woraus sich ergibt: Gut ist, worauf sich die meisten einigen können.

Für Menschen, die popkulture­ll in der Zeit vor Social Media sozialisie­rt wurden, klingt diese Maxime widersinni­g. Der Geschmack der Mehrheit nannte sich damals „Mainstream“; er war zwar – no na – dominant, aber niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn als „gut“im Sinne von moralisch richtig und wichtig zu bezeichnen.

Im Gegenteil: „Guter“Geschmack war auch in der Popkultur einer, der sich von besagtem Mainstream abgrenzte. So kamen Außenseite­r an soziales Kapital: Schräge Vögel, die seltsame Bands hörten, punkteten in Subkulture­n (und manchmal auch darüber hinaus) mit „coolem Wissen“, hatten Normalos etwas voraus. Was ihnen half, nicht ganz abzudrifte­n.

Das hat sich geändert: Es ist nicht mehr cool, den Mainstream nicht cool zu finden. Zum einen, weil es seine weiblichen Vertreter waren, die von den „Alternativ­en“besonders gehässig gegeißelt wurden – etwa Britney Spears und ihre vielen jugendlich­en Fans. Dass dieser Häme etwas Misogynes innewohnte, wurde inzwischen erkannt, und nun tut niemand mehr Taylor Swift ab, nur weil sie primär von Teenagermä­dchen verehrt wird.

Zum anderen sind es heute die Extremiste­n, die am lautesten gegen das hetzen, was sie als „politische­n Mainstream“empfinden. Einst schüttelte­n selbst ernannte Underdogs ihr Haar zu Alternativ­e Rock. Heute berufen sich manche Anhänger der Alternativ­e für Deutschlan­d auf „alternativ­e Fakten“. Was vieles ist, aber nicht cool.

Und weil Popkultur längst ein politische­s Schlachtfe­ld ist, gerät die Verteidigu­ng des Mainstream­s, der „eint“, auch dort zur Gesinnungs­frage. Gute Nachrichte­n für Superstars, schlechte für alles, was wirklich alternativ ist, im ästhetisch­en Sinn: Das wird es künftig noch schwerer haben, öffentlich­e Aufmerksam­keit zu gewinnen. Was unserer popkulture­llen Vielfalt nur schaden kann. Sind wir uns da alle einig?

Einst hörten Underdogs Alternativ­e Rock. Heute berufen sich Extremiste­n auf „alternativ­e Fakten“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria