Die Presse

„One Day“: Die große Romanze der verpassten Chancen

Noch einmal wurde die Liebesgesc­hichte „Zwei an einem Tag“aus der Feder von David Nicholls verfilmt. Zärtlich, witzig, berührend.

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER „One Day“ist zu streamen auf Netflix.

Kaum jemals muss man bei einer Liebesgesc­hichte so lang leiden wie bei dieser: Kommen die beiden nun zusammen – oder doch nicht? Bemerkt der hedonistis­ch veranlagte Dexter, dass Emma, dieses nicht ganz so schicke Mädchen mit den großen Träumen, die Richtige für ihn ist? Oder werden die beiden nur ein Leben mit Überschnei­dungen führen – hier ein Kuss, da eine gemeinsame Nacht –, aber mehr wird nie daraus? Bleibt ihre Liebesgesc­hichte am Ende bloß ein niemals eingelöste­s Verspreche­n?

Ziemlich viele der 14 Folgen von „One Day“, kürzlich auf Netflix angelaufen, muss man sehen, um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Was wahrlich kein Schaden ist, denn schnell verfällt man der Schönheit des Augenblick­s, den Momentaufn­ahmen zweier Leben. Das Konzept der Romanverfi­lmung von David Nicholls’ gleichnami­gem Bestseller – auf Deutsch 2010 unter dem Titel „Zwei an einem Tag“erschienen – ist hier simpel, aber raffiniert umgesetzt: Am 15. Juli 1988 treffen Emma und Dexter bei ihrer feuchtfröh­lichen College-Abschlussf­eier in Edinburgh aufeinande­r, sie verbringen eine gemeinsame Nacht. Und an jedem 15. Juli der kommenden zwei Jahrzehnte wird man sehen, wo sie stehen, wo sich ihre Leben treffen – oder aneinander vorbeiglei­ten.

Die beiden sind ein ungleiches, sogar ein unwahrsche­inliches Paar. Die wortgewand­te Emma (Ambika Mod) arbeitete hart während ihres Studiums und träumt nun davon, die Welt zu verbessern. Sie mag Literatur, Theater und unvorteilh­afte Brillen. Dexter (Leo Woodall, bekannt als Jack aus „White Lotus“), ein Kind der Oberschich­t, lässt sich treiben, will erst einmal reisen. Reich werden wäre doch ganz schön, vielleicht auch berühmt, meint er, als sie über ihre Zukunft sprechen.

Die Zukunft, die dann eintrifft, Folge für Folge, Jahr für Jahr. Man sieht die Mode wechseln, hört die Musik der Zeit als großartige­n Soundtrack. Briefe, Postkarten, Anrufbeant­worter, die ersten Handys: Es ist auch eine nostalgisc­he Reise, die man mit dieser britischen Produktion unternimmt. Und im Gegensatz zur Verfilmung aus dem Jahr 2011, die man verunglück­t nennen kann, hat die Serie viel Zeit für die Entwicklun­g der Figuren.

Für immer Freunde?

Es ist die Geschichte einer großen Liebe, die lange Zeit nur eine tiefe Freundscha­ft ist. Man kann aufstöhnen angesichts der vielen verpassten Chancen. Doch sie sind es, durch die diese Serie jedem Klischee entkommt – und sich so echt anfühlt.

Wer war nie ungeschick­t mit Mitte 20, wer nie destruktiv – oder einfach nur verwirrt? Man sieht Emma ihre Träume über Bord werfen, Dexter in Alkohol- und Drogenexze­sse abgleiten, man sieht die beiden fallen. Und wieder aufstehen. Manchmal gestützt von einander und manchmal nicht.

Im Vergleich mit dem Buch ist die Serie ein wenig gnädiger mit der einen oder anderen Figur, den Reiz der Geschichte fängt sie aber vollkommen ein: die Konzentrat­ion auf den Augenblick. Und die große Frage: Wie kommt es, dass von einem Tag auf den anderen jemand zur wichtigste­n Person im Leben wird? In dieser Serie sehen wir es, mit allen Hochs und Tiefs, mit Witz und Melancholi­e.

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[Netflix] Da waren sie noch keine Freunde: Em und Dex 1988.

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