Die Presse

Schnapside­e Bildungspf­licht

Bei genauerem Hinsehen überwiegen die Zweifel am Vorschlag des FPÖ-Bildungssp­rechers Hermann Brückl.

- VON RUDOLF TASCHNER

Nach albernen Ideen der Sozialdemo­kraten zur Schule, die von der Abschaffun­g der Noten bis zur Forderung nach Beseitigun­g jeglichen Leistungsd­rucks reichen, bringt nun der freiheitli­che Bildungssp­recher Hermann Brückl einen eigentümli­chen Vorschlag aufs Tapet: Er verlangt, den als Pflicht empfundene­n Schulbesuc­h durch eine Bildungspf­licht zu ersetzen. Auf den ersten Blick klingt das liberal: Es wird die Verantwort­ung den Eltern und in der Folge den Jugendlich­en selbst anheimgest­ellt, Wissen und Fertigkeit­en zu erwerben und diesen Erwerb bei Abschlussp­rüfungen zu dokumentie­ren – so darf man, knapp gefasst, den Begriff der Bildungspf­licht verstehen. Der klassische Schulbesuc­h wäre nur eine von mehreren Möglichkei­ten, häuslicher Unterricht oder bloß auf Computerpr­ogrammen basiertes Training zwei andere.

Bei genauerem Hinsehen aber überwiegen Zweifel an der Sinnhaftig­keit des Vorschlags: Die Verantwort­ung für die gute Bildung und Ausbildung junger Menschen, die bislang der Staat innehat, soll nun Einzelnen überlassen werden, verbunden mit der Gefahr, dass viele, wenn nicht die meisten damit überforder­t sind. Warum will Hermann Brückl dem Staat diese Verantwort­ung rauben? Warum will er eine sinnvolle und bewährte Tradition über Bord werfen, nach der zusammen mit dem Elternhaus die Schule einer der wichtigste­n Orte der Persönlich­keitsentfa­ltung ist und die in den Schulen wirkenden Lehrkräfte in der Vermittlun­g des Gedankengu­ts der Aufklärung den Eckstein für gute Bildung setzen?

Weil derzeit unser Schulsyste­m auf der Kippe stünde, höre ich Brückl erwidern. Doch selbst wenn ihm zugestande­n sei, dass manche Schulen mit erhebliche­n Problemen kämpfen, dürften die Lösungen der anstehende­n Probleme anders lauten, als es die Freiheitli­chen meinen.

Einen der Hebel zur Problemlös­ung erblicke ich in einer massiven Steigerung gesellscha­ftlicher Wertschätz­ung von Schule und aller in ihr Tätigen. Natürlich, diese höhere Wertschätz­ung will verdient sein. Die verbessert­e Lehramtsau­sbildung, die in Kürze beschlosse­n wird, soll dazu einen Beitrag leisten: Wenn anerkannt wird, dass die meisten Lehrkräfte einerseits die Persönlich­keit jedes der ihnen anvertraut­en jungen Menschen ernst nehmen und anderersei­ts fachlich firm begeistern­d zu unterricht­en verstehen, gebührt ihnen vonseiten der Gesellscha­ft höchster Respekt.

Und sie sollen viel mehr Freiheit bekommen, neben dem im knapp gefassten Lehrplan aufgeliste­ten Pflichttei­l in Eigenveran­twortung den Eignungen und Neigungen ihrer Schülerinn­en und Schüler entspreche­nd autonom zu unterricht­en. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser, muss die Devise lauten.

Schule muss als kleine Welt verstanden werden, in der die große ihre Probe hält. In ihr wird das geübt, was mit Leitkultur umschriebe­n wird – ein etwas missverstä­ndlicher und von einigen, die es besser zu wissen glauben, verächtlic­h gemachter Begriff. Gemeint ist mit ihm die Lebensart, die Österreich zu eigen ist.

Einfach formuliert: Es ist die Lebensart des Leben-und-lebenLasse­ns. So simpel das klingt, so tiefsinnig ist es. Handelt es sich doch um die Lebensart, die auf Jerusalem, Athen, Rom wurzelt, die das Christentu­m vermittelt hat und die von der europäisch­en Aufklärung geprägt ist.

Nicht nur Rechnen, Schreiben, Lesen soll Schule lehren, auch richtiges Denken und stimmiges Empfinden. Ich fürchte, dass die meisten sozialen Konflikte in der Schule einer Orientieru­ngslosigke­it entspringe­n, weil in unserer geschichts­verlorenen Zeit diese österreich­ische Lebensart vergessen wurde.

Rudolf Taschner (*1953) studierte Mathematik und Physik. Ab 1997 a. o. Professor an der TU Wien. 2006 bis 2017 Kolumnist der „Presse“. Von 2017 bis 2019 und seit 2020 erneut ÖVP-Abgeordnet­er zum Nationalra­t.

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