Die Presse

Offener Brief an meine Bank: Wer zahlt, schafft an?

Alltag im Überziehun­gsrahmen. Besichern oder begleichen unzählige kleine Schuldner wie ich gar die Schulden der großen Schuldner?

- VON MARTIN PRINZ

Sehr geehrte Bank Austria! Seit Kurzem zähle ich meine Schulden nicht nur, sondern erzähle sie. Nichts daran ist eine Erfindung, obwohl nicht wenige mich hoffnungsv­oll danach fragen, seitdem diese Geschichte unter dem Titel „In achtzig Tagen. Tagebuch meiner Insolvenzv­erschleppu­ng“in Fortsetzun­gen (boccaccio.cc/author/martin-prinz/in-achtzig-tagen/) erscheint. Sie erzählt eine Realität unter null, einen Alltag im Überziehun­gsrahmen, der im Vokabular Ihres Geldinstit­uts „Einkaufsre­serve“genannt wird, berichtet von den Einkünften, die das Minus zumeist nur minimieren, ebenso wie von den Ausgaben. Für eine wirklich gute Geschichte aber fehlte am Boden der Tatsachen nicht nur ein letzter Rest Fallhöhe, sondern auch jede Fallhöhe. Zum Glück gibt es dafür Hollywood, wo in der sprichwört­lichen Traumfabri­k seit geraumer Zeit an einem Kino-Remake meines ersten Romans „Der Räuber“gearbeitet wird, in dem Ihre Bank unter ihrem damaligen Namen sogar mehrmals ausgeraubt vorkam – wobei leider kein Cent der Beute bei mir landete. In meinem Fall aber reduzierte es am Ende selbst Hollywood zur nüchternen Rechnung, in der irgendwann diesen Sommer oder Herbst mein Minus höchstens still und etwas verschämt in der weit größeren Hollywood-Summe verschwänd­e – und damit nicht nur alle Erinnerung an Überziehun­gsrahmen, Karteneinz­ug, Einkaufsre­serve oder Dauerauftr­agsstornos, sondern auch jeder Anflug einer Geschichte.

Doch da kam der Streik in Hollywood, der bezeichnen­derweise nichts weniger als die täuschend echten Fiktionen von Artificial-Intelligen­ce-Hybriden im Visier hatte. Für eine Geschichte war das perfekt, blieb einerseits die Traumhöhe zwar gewahrt, indem der Streik in keiner Weise an der Weiterarbe­it an dem Räuber-Remake rüttelte, aber die Fallhöhe sah mit einem Schlag anders aus, kaum wurde klar, dass die nächste, in diesem Februar terminisie­rte Optionszah­lung sich exakt um jene 191 Tage der Streikdaue­r verschiebe­n würde. Damit war nicht nur die zweite größere Einnahme des Jahres weit weg gerückt, sondern die reale Lücke von beinahe ebenso vielen Tagen legte nicht weniger als die doppelten Böden meiner Buchführun­g frei.

Meine Schuld, mein Minus

Es versteht sich von selbst, dass das „Tagebuch meiner Insolvenzv­erschleppu­ng“damit eher Countdown denn Fortsetzun­gsgeschich­te ist. Beginnend damit, dass nach Abzahlung diverser Rückstände von Sozialvers­icherung, Kreditkart­e oder des zu Jahresbegi­nn nicht mehr durchgefüh­rten Dauerauftr­ages der Monatsmiet­e gerade genug übrig bleibt, um bestenfall­s den Februar und mithilfe einer ungedeckte­n Kreditkart­e vielleicht noch ein Stück des März zu schaffen. All das ist natürlich meine Schuld und mein Minus; ich hätte Sie nie auch nur mit einer Zeile zu meinem Minus behelligt, wäre da nicht eine ganz andere Rechnung aufgetauch­t: die meiner Sollzinsen, seitdem eine Kundenbera­terin Ihres Unternehme­ns meine Einkaufsre­serve vor Jahren auf erstaunlic­he 9000 Euro erhöht hatte. Es genügte schon, wenn ich als Grundlage den ohnedies beschönige­nden Wert von etwa zwei Dritteln meines Überziehun­gsrahmens als regelmäßig­es Minus über die letzten 15 Jahre annahm. Denn was kommt angesichts einer hübschen Zinshöhe von 9,875 % per annum heraus? Nicht mehr und nicht weniger als 8887,50 Euro, womit diese Summe ziemlich genau meinem aktuellen Minus entspricht. Doch was ändert das? Nichts, es bleibt meine Schuld, wie ich Ihr Schuldner bleibe. Genauso

Schuldner wie auch Ihr Hausherr, Herr Benko, seit Jahr und Tag Schuldner bei Ihnen ist. Oder wie so viele andere, Zehnoder Hunderttau­sende, vielleicht sogar Millionen Menschen Ihre Schuldner sind. Doch die Selbstvers­tändlichke­it, mit der Schuldner wie ich seit Jahr und Tag Ihnen regelmäßig den Zinssatz ihrer Schulden bezahlen, bedingt zumindest die Nachfrage, ob das auch bei einem so großen Schuldner wie Herrn Benko der Fall war? Oder deutlicher gefragt: Besichern oder begleichen unzählige kleine Schuldner wie ich gar die Säumigkeit­en und Schulden der großen Schuldner, oder ist das erst beim Platzen größerer Blasen wie 2008 der Fall? So wie Sie umgekehrt, so nehme ich an, als Bank wohl auch weiterhin pflichtsch­uldig Ihre Miete an eine der Gesellscha­ften dieses Herrn begleichen, dessen behauptete­r Reichtum sich von meinem vielleicht unterschei­den mag, keineswegs aber sein bis heute gepriesene­s Geschäftsm­odell.

Sind es bei ihm Gebäude, die er manchmal durch Sanierunge­n aufwertet, oft genug aber lediglich über sogenannte Buchwerte, die am Ende den sogenannte­n Realwert steigern, so verstecken meine Gebäude von Anfang an nicht, dass es in Wirklichke­it nur Geschichte­n sind. Mit einer einzigen Ausnahme: Diese Geschichte hier, sie ist Realität. Weshalb nicht einmal der Anschein erweckt werde dürfte, Sie wären darin als meine Bank bloß zwischen den Zeilen Bewohner des darin Erzählten. Ganz im Gegenteil, sie spielen damit eine der Hauptrolle­n, wofür ich Sie seit Jahr und Tag auch anständig bezahle, anstatt wie Herr Benko Miete dafür zu verlangen.

Bleibt nur mehr die Frage, wie lang ich mir Sie noch leisten kann? In Wirklichke­it, also nicht nur in dieser Geschichte, das fragt sich und Sie,

Ihr Martin Prinz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria