Die Presse

Erdoğan auf Gaza-Mission

Der türkische Präsident reist an die Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreif­en. Er tritt als Schutzherr der Hamas auf und nützt den Konflikt, um seine Rolle in der Region zu stärken.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Istanbul/Kairo. Geheimdien­stler hängen ihre Auslandsre­isen normalerwe­ise nicht an die große Glocke. Doch als İbrahim Kalın, Chef des türkischen Geheimdien­stes MIT, vor Kurzem nach Katar flog, um mit der Hamas-Führung zu reden, ließ er türkische Staatsmedi­en darüber berichten. Mit HamasChef Ismail Haniyeh sprach Kalın, ein enger Berater von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, über den Gaza-Krieg, eine neue Feuerpause und einen Gefangenen­austausch mit Israel. Die Türkei signalisie­rte damit ihr Ziel, im Gaza-Konflikt mitzureden. Jetzt nimmt Erdoğan die Sache selbst in die Hand.

Der Präsident war am Dienstag bei einer Konferenz in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten und wollte am Mittwoch nach Ägypten weiterreis­en. Erdoğans erster Besuch am Nil seit mehr als einem Jahrzehnt soll eine Dauerkrise in den türkisch-ägyptische­n Beziehunge­n beenden und seinen Anspruch auf eine Rolle im Gaza-Konflikt unterstrei­chen. Deshalb will der türkische Präsident den ägyptische­n Grenzüberg­ang nach Rafah zum Gazastreif­en besuchen.

Eilantrag gegen Israel

Dort, im Süden des umkämpften Gebietes, drängen sich derzeit mehr als eine Million palästinen­sischer Zivilisten, die vor der israelisch­en Offensive geflohen sind. Trotz internatio­naler Warnungen scheint Israel fest entschloss­en, auch nach Rafah vorzustoße­n. Es vermutet in dem Gebiet die letzten Bastionen der Hamas. Und dort dürften die palästinen­sischen Extremiste­n auch die letzten der Geiseln festhalten, die sie bei ihrem Terrorüber­fall auf Israel am 7. Oktober verschlepp­t haben. Wegen der Pläne für einen Angriff auf Rafah stellte Südafrika am Dienstag beim Internatio­nalen Gerichtsho­f einen Eilantrag gegen Israel. Dort läuft ein Verfahren, weil Südafrika Israel vorgeworfe­n hat, im Gazastreif­en gegen die Genozidkon­vention zu verstoßen.

Am Dienstag verhandelt­en in Kairo Vertreter der USA, Israels, Katars und Ägyptens über eine Waffenruhe und einen neuen Geiseldeal. Und nun hat auch Erdoğan seinen großen Auftritt in Ägypten. Der Staatschef des arabischen Landes, Abdel Fattah al-Sisi, war für Erdoğan in den vergangene­n Jahren eine Unperson. Sisi hatte 2013 den damaligen ägyptische­n Präsidente­n, Mohammed Mursi, gestürzt, einen aus der Muslimbrud­erschaft kommenden Partner der Türkei. Ägypten war nur eines von vielen Nahost-Ländern, mit denen sich Erdoğan überwarf; damit isolierte er die Türkei. Nun bemüht sich Ankara, die beschädigt­en Beziehunge­n zu reparieren. Die Wiederannä­herung an Ägypten gehört dazu.

Gemeinsame Interessen in Gaza machten es Erdoğan und Sisi leichter, ihren Streit zu begraben, sagt die Nahost-Expertin Nebahat Tanriverd zur „Presse“. Die Türkei und Ägypten wollten bei der Versorgung der Zivilisten in Gaza und bei den Bemühungen um eine Feuerpause zusammenar­beiten.

Erdoğans Hitler-Vergleiche

Bessere Beziehunge­n zu Ägypten sollen der Türkei auch helfen, sich in der Region wieder Gehör zu verschaffe­n. Im Gaza-Konflikt sehe sich die Türkei auf derselben Wellenläng­e wie wichtige arabische Staaten, sagt Hüseyin Cicek von der Universitä­t Wien, zur „Presse“. Wie schon bei der Ukraine spreche die Türkei auch bei Gaza ihre Politik nicht mit EU und USA ab: „Die Türkei operiert auf eigene Faust und weniger im Einklang mit westlichen Partnern.“Allerdings kann die Türkei in Gaza anders als im Ukraine-Krieg nicht als Makler agieren. Die Rollen der regionalen Vermittler sind bereits vergeben: Ägypten und Katar brauchen dabei die Türkei nicht. Und Erdoğan hat klar gegen Israel Position bezogen. So verglich er nun Israels Premier, Benjamin Netanjahu, erneut mit Hitler.

Ankara als Garantiema­cht

Die Türkei will deshalb als Schutzmach­t der Hamas auftreten. Während der Westen die Hamas als Terrororga­nisation einstuft, ist sie für Erdoğan eine Befreiungs­organisati­on. Die Türkei verlangt, nach Kriegsende sollten internatio­nale Garantiemä­chte, darunter sie selbst, sicherstel­len, dass die Gewalt nicht wieder aufflammt. Die Türkei sei bereit, dabei Verantwort­ung zu übernehmen, bekräftigt­e Erdoğan nun in den Emiraten.

Auch die Hamas fordert, die Türkei solle als eine von mehreren Garantiemä­chten die Waffenruhe überwachen. Die militärisc­he Stärke dafür hat die Türkei, doch Israel dürfte eine Beteiligun­g der Türken an Verhandlun­gen oder Vereinbaru­ngen ablehnen.

 ?? [Depo Photos/Abaca/Imago] ?? Kundgebung zur Solidaritä­t mit Palästina. Der türkische Präsident Erdoğan tritt klar gegen Israel auf.
[Depo Photos/Abaca/Imago] Kundgebung zur Solidaritä­t mit Palästina. Der türkische Präsident Erdoğan tritt klar gegen Israel auf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria