Erdoğan auf Gaza-Mission
Der türkische Präsident reist an die Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen. Er tritt als Schutzherr der Hamas auf und nützt den Konflikt, um seine Rolle in der Region zu stärken.
Istanbul/Kairo. Geheimdienstler hängen ihre Auslandsreisen normalerweise nicht an die große Glocke. Doch als İbrahim Kalın, Chef des türkischen Geheimdienstes MIT, vor Kurzem nach Katar flog, um mit der Hamas-Führung zu reden, ließ er türkische Staatsmedien darüber berichten. Mit HamasChef Ismail Haniyeh sprach Kalın, ein enger Berater von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, über den Gaza-Krieg, eine neue Feuerpause und einen Gefangenenaustausch mit Israel. Die Türkei signalisierte damit ihr Ziel, im Gaza-Konflikt mitzureden. Jetzt nimmt Erdoğan die Sache selbst in die Hand.
Der Präsident war am Dienstag bei einer Konferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten und wollte am Mittwoch nach Ägypten weiterreisen. Erdoğans erster Besuch am Nil seit mehr als einem Jahrzehnt soll eine Dauerkrise in den türkisch-ägyptischen Beziehungen beenden und seinen Anspruch auf eine Rolle im Gaza-Konflikt unterstreichen. Deshalb will der türkische Präsident den ägyptischen Grenzübergang nach Rafah zum Gazastreifen besuchen.
Eilantrag gegen Israel
Dort, im Süden des umkämpften Gebietes, drängen sich derzeit mehr als eine Million palästinensischer Zivilisten, die vor der israelischen Offensive geflohen sind. Trotz internationaler Warnungen scheint Israel fest entschlossen, auch nach Rafah vorzustoßen. Es vermutet in dem Gebiet die letzten Bastionen der Hamas. Und dort dürften die palästinensischen Extremisten auch die letzten der Geiseln festhalten, die sie bei ihrem Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober verschleppt haben. Wegen der Pläne für einen Angriff auf Rafah stellte Südafrika am Dienstag beim Internationalen Gerichtshof einen Eilantrag gegen Israel. Dort läuft ein Verfahren, weil Südafrika Israel vorgeworfen hat, im Gazastreifen gegen die Genozidkonvention zu verstoßen.
Am Dienstag verhandelten in Kairo Vertreter der USA, Israels, Katars und Ägyptens über eine Waffenruhe und einen neuen Geiseldeal. Und nun hat auch Erdoğan seinen großen Auftritt in Ägypten. Der Staatschef des arabischen Landes, Abdel Fattah al-Sisi, war für Erdoğan in den vergangenen Jahren eine Unperson. Sisi hatte 2013 den damaligen ägyptischen Präsidenten, Mohammed Mursi, gestürzt, einen aus der Muslimbruderschaft kommenden Partner der Türkei. Ägypten war nur eines von vielen Nahost-Ländern, mit denen sich Erdoğan überwarf; damit isolierte er die Türkei. Nun bemüht sich Ankara, die beschädigten Beziehungen zu reparieren. Die Wiederannäherung an Ägypten gehört dazu.
Gemeinsame Interessen in Gaza machten es Erdoğan und Sisi leichter, ihren Streit zu begraben, sagt die Nahost-Expertin Nebahat Tanriverd zur „Presse“. Die Türkei und Ägypten wollten bei der Versorgung der Zivilisten in Gaza und bei den Bemühungen um eine Feuerpause zusammenarbeiten.
Erdoğans Hitler-Vergleiche
Bessere Beziehungen zu Ägypten sollen der Türkei auch helfen, sich in der Region wieder Gehör zu verschaffen. Im Gaza-Konflikt sehe sich die Türkei auf derselben Wellenlänge wie wichtige arabische Staaten, sagt Hüseyin Cicek von der Universität Wien, zur „Presse“. Wie schon bei der Ukraine spreche die Türkei auch bei Gaza ihre Politik nicht mit EU und USA ab: „Die Türkei operiert auf eigene Faust und weniger im Einklang mit westlichen Partnern.“Allerdings kann die Türkei in Gaza anders als im Ukraine-Krieg nicht als Makler agieren. Die Rollen der regionalen Vermittler sind bereits vergeben: Ägypten und Katar brauchen dabei die Türkei nicht. Und Erdoğan hat klar gegen Israel Position bezogen. So verglich er nun Israels Premier, Benjamin Netanjahu, erneut mit Hitler.
Ankara als Garantiemacht
Die Türkei will deshalb als Schutzmacht der Hamas auftreten. Während der Westen die Hamas als Terrororganisation einstuft, ist sie für Erdoğan eine Befreiungsorganisation. Die Türkei verlangt, nach Kriegsende sollten internationale Garantiemächte, darunter sie selbst, sicherstellen, dass die Gewalt nicht wieder aufflammt. Die Türkei sei bereit, dabei Verantwortung zu übernehmen, bekräftigte Erdoğan nun in den Emiraten.
Auch die Hamas fordert, die Türkei solle als eine von mehreren Garantiemächten die Waffenruhe überwachen. Die militärische Stärke dafür hat die Türkei, doch Israel dürfte eine Beteiligung der Türken an Verhandlungen oder Vereinbarungen ablehnen.