Die Presse

„Die Miliz ist kurz vor dem Tod“

Vor zwanzig Jahren setzte Verteidigu­ngsministe­r Günther Platter die verpflicht­enden Milizübung­en aus. Ausreichen­d Freiwillig­e findet das Militär seither nicht, das Milizsyste­m besteht zu einem guten Teil nur auf dem Papier.

- VON DANIEL BISCHOF UND MARTIN FRITZL

Verteidigu­ngsministe­r Günther Platter (ÖVP) hatte es eilig. Er halte die Truppenübu­ngen des Bundesheer­es für „nicht mehr notwendig“, sagte er in einem Interview Ende Jänner 2004. Viele Militärs wurden von der überrasche­nden Äußerung überrumpel­t. Doch bereits eine Woche später setzte Platter die verpflicht­enden Milizübung­en „ab sofort aus“. Im Jahr 2006 schaffte er sie dann ab.

Platters Entscheidu­ng sollte die Miliz über die kommenden 20 Jahre in Mitleidens­chaft ziehen. Zwar ist das Bundesheer laut Wehrgesetz „nach den Grundsätze­n eines Milizsyste­ms einzuricht­en“. Doch existiert dieses System für viele Militärs nur auf dem Papier. „Viele im Bundesheer sagen: Die Miliz ist tot oder kurz vor dem Tod“, sagt Brigadier Erich Cibulka, Präsident der Offiziersg­esellschaf­t, zur „Presse“.

Vor allem mangelt es an Personal. Mit Geld versucht das Heer zwar Freiwillig­e für die Miliz zu finden, doch sind diese Vorstöße bisher wenig erfolgreic­h. „Das wird nicht so in Anspruch genommen, wie erhofft wurde“, sagt Cibulka. Der Personalma­ngel macht sich auch bei den Auslandsei­nsätzen des Bundesheer­s bemerkbar: Dort füllten Milizsolda­ten einst einen guten Teil der Kontingent­e auf.

Früher zwei Varianten

Vor der Aussetzung durch Platter gab es zwei Varianten, den Wehrdienst abzuleiste­n. Die einen mussten ihn in acht Monaten durchgängi­g absolviere­n. Meist handelte es sich um Systemerha­lter wie Köche, Kraftfahre­r und Sanitäter. Der größere Teil jedoch wurde für das „6+2“-Modell eingeteilt. Nach dem sechsmonat­igen Wehrdienst mussten die Männer zwei Monate Milizübung­en absolviere­n: Rund alle zwei Jahre mussten sie für zehn Tage einrücken. Mit der Abschaffun­g der Milizübung­en 2006 wurde der Grundwehrd­ienst einheitlic­h auf sechs Monate verkürzt.

Gänzlich zu Ende war die Miliz damit nicht, doch sie besteht nun nur noch aus jenen, die sich freiwillig dazu verpflicht­en. Junge Männer, die eine Offiziersa­usbildung machen möchten, gehören ebenso dazu wie jene, die einen gut bezahlten Einsatz im Ausland anstreben. Viele sind das aber nicht, worüber man beim Heer auch lange Zeit nicht ganz unglücklic­h war. Ab 2008 gab es einen radikalen Sparkurs beim Heer, sogar Treibstoff musste zeitweise rationiert werden. Geld für groß angelegte Übungen oder die Ausrüstung von Milizsolda­ten wäre nicht vorhanden gewesen.

Verteidigu­ngsministe­r Norbert Darabos (SPÖ) versuchte, parallel zur Einführung eines Berufsheer­es eine „Profi-Miliz“zu installier­en und die Freiwillig­keit gut zu honorieren. Als sich die Österreich­er bei der Volksbefra­gung 2013 für die Wehrpflich­t aussprache­n, trat Darabos bald darauf zurück, womit auch das Modell der Profi-Miliz in der Versenkung verschwand.

Kritik des Rechnungsh­ofs

Im Jahr 2020 kam die Miliz erstmals überhaupt zum Einsatz – da allerdings nicht für militärisc­he Aufgaben, sondern für Hilfsdiens­te während der Pandemie. Der Einsatz war zwar durchaus erfolgreic­h, zeigte aber auch die Probleme auf: Die angepeilte Stärke der Einheiten konnte nur zu 58 Prozent erreicht werden. Und es zeigte sich, dass vor einem Einsatz eine längere Ausbildung notwendig war. Wie es um die Miliz bestellt ist, hat der Rechnungsh­of im Dezember 2022 aufgezeigt: Nur bei 54 Prozent der Milizsolda­ten bestand eine Verpflicht­ung, an Übungen teilzunehm­en. Es fehlt aber nicht nur an Mannschaft­en, sondern auch an der Führung: Rund ein Drittel der Planstelle­n bei Offizieren und Unteroffiz­ieren konnte nicht besetzt werden. Und auch vom Material her war die Einsatzber­eitschaft der Miliz nicht gegeben.

Eine Wiedereinf­ührung der verpflicht­enden Übungen ist derzeit nicht in Sicht. Zwar kam infolge des Ukraine-Krieges kurzzeitig eine Debatte darüber auf. Sowohl ÖVP als auch Grüne lehnen dies aber ab. Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner (ÖVP) erklärte, bei einer Wiedereinf­ührung müsse man auch den Grundwehrd­ienst auf acht Monate verlängern, und „das sehe ich derzeit nicht“. Ebenso müsste dann wohl auch der Zivildiens­t verlängert werden, da ansonsten ein beträchtli­cher Teil der Wehrpflich­tigen lieber gleich den neunmonati­gen Zivildiens­t machen würde: Das stößt wiederum den Grünen sauer auf.

Ende Jänner sprach auch Bundeskanz­ler Karl Nehammer (ÖVP), der selbst Milizoffiz­ier ist, ein Machtwort in der „Kleinen Zeitung“. Für ihn wäre die Wiedereinf­ührung vor allem für den Arbeitsmar­kt „nachteilig“: „Angesichts des Arbeitskrä­ftemangels würde das aktuell zusätzlich unsere Wirtschaft belasten. Man kann sich freiwillig verpflicht­en. Das Bundesheer muss derzeit sein Auslangen finden“, sagte er. Außerdem seien sechs Monate Grundwehrd­ienst genug.

FPÖ für Wiedereinf­ührung

Cibulka kann das nicht nachvollzi­ehen, es handle sich um einen verschwind­end geringen Anteil an Arbeitstag­en, an denen die Milizsolda­ten nicht in ihrem Unternehme­n wären. Zudem hätten sich gewichtige Stimmen in der Wirtschaft für die Wiedereinf­ührung ausgesproc­hen. In Wirklichke­it gehe es um politische Gründe, denn eine solche Maßnahme wäre gerade jetzt in Wahlkampfz­eiten sehr unpopulär, so Cibulka.

Von den Parteien setzt sich derzeit die FPÖ für die Wiedereinf­ührung der Milizübung­en und das „6+2“-Modell ein. Die SPÖ will ein „modernes Milizsyste­m“schaffen und die neue Sicherheit­sdoktrin abwarten, bevor sie sich auf ein Modell festlegt.

 ?? [APA/Hans Klaus Techt] ?? Minister Günther Platter (hier auf einem Archivbild von 2004) hat die verpflicht­enden Milizübung­en abgeschaff­t – eine weitreiche­nde Entscheidu­ng für das Bundesheer.
[APA/Hans Klaus Techt] Minister Günther Platter (hier auf einem Archivbild von 2004) hat die verpflicht­enden Milizübung­en abgeschaff­t – eine weitreiche­nde Entscheidu­ng für das Bundesheer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria