„Die Miliz ist kurz vor dem Tod“
Vor zwanzig Jahren setzte Verteidigungsminister Günther Platter die verpflichtenden Milizübungen aus. Ausreichend Freiwillige findet das Militär seither nicht, das Milizsystem besteht zu einem guten Teil nur auf dem Papier.
Verteidigungsminister Günther Platter (ÖVP) hatte es eilig. Er halte die Truppenübungen des Bundesheeres für „nicht mehr notwendig“, sagte er in einem Interview Ende Jänner 2004. Viele Militärs wurden von der überraschenden Äußerung überrumpelt. Doch bereits eine Woche später setzte Platter die verpflichtenden Milizübungen „ab sofort aus“. Im Jahr 2006 schaffte er sie dann ab.
Platters Entscheidung sollte die Miliz über die kommenden 20 Jahre in Mitleidenschaft ziehen. Zwar ist das Bundesheer laut Wehrgesetz „nach den Grundsätzen eines Milizsystems einzurichten“. Doch existiert dieses System für viele Militärs nur auf dem Papier. „Viele im Bundesheer sagen: Die Miliz ist tot oder kurz vor dem Tod“, sagt Brigadier Erich Cibulka, Präsident der Offiziersgesellschaft, zur „Presse“.
Vor allem mangelt es an Personal. Mit Geld versucht das Heer zwar Freiwillige für die Miliz zu finden, doch sind diese Vorstöße bisher wenig erfolgreich. „Das wird nicht so in Anspruch genommen, wie erhofft wurde“, sagt Cibulka. Der Personalmangel macht sich auch bei den Auslandseinsätzen des Bundesheers bemerkbar: Dort füllten Milizsoldaten einst einen guten Teil der Kontingente auf.
Früher zwei Varianten
Vor der Aussetzung durch Platter gab es zwei Varianten, den Wehrdienst abzuleisten. Die einen mussten ihn in acht Monaten durchgängig absolvieren. Meist handelte es sich um Systemerhalter wie Köche, Kraftfahrer und Sanitäter. Der größere Teil jedoch wurde für das „6+2“-Modell eingeteilt. Nach dem sechsmonatigen Wehrdienst mussten die Männer zwei Monate Milizübungen absolvieren: Rund alle zwei Jahre mussten sie für zehn Tage einrücken. Mit der Abschaffung der Milizübungen 2006 wurde der Grundwehrdienst einheitlich auf sechs Monate verkürzt.
Gänzlich zu Ende war die Miliz damit nicht, doch sie besteht nun nur noch aus jenen, die sich freiwillig dazu verpflichten. Junge Männer, die eine Offiziersausbildung machen möchten, gehören ebenso dazu wie jene, die einen gut bezahlten Einsatz im Ausland anstreben. Viele sind das aber nicht, worüber man beim Heer auch lange Zeit nicht ganz unglücklich war. Ab 2008 gab es einen radikalen Sparkurs beim Heer, sogar Treibstoff musste zeitweise rationiert werden. Geld für groß angelegte Übungen oder die Ausrüstung von Milizsoldaten wäre nicht vorhanden gewesen.
Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) versuchte, parallel zur Einführung eines Berufsheeres eine „Profi-Miliz“zu installieren und die Freiwilligkeit gut zu honorieren. Als sich die Österreicher bei der Volksbefragung 2013 für die Wehrpflicht aussprachen, trat Darabos bald darauf zurück, womit auch das Modell der Profi-Miliz in der Versenkung verschwand.
Kritik des Rechnungshofs
Im Jahr 2020 kam die Miliz erstmals überhaupt zum Einsatz – da allerdings nicht für militärische Aufgaben, sondern für Hilfsdienste während der Pandemie. Der Einsatz war zwar durchaus erfolgreich, zeigte aber auch die Probleme auf: Die angepeilte Stärke der Einheiten konnte nur zu 58 Prozent erreicht werden. Und es zeigte sich, dass vor einem Einsatz eine längere Ausbildung notwendig war. Wie es um die Miliz bestellt ist, hat der Rechnungshof im Dezember 2022 aufgezeigt: Nur bei 54 Prozent der Milizsoldaten bestand eine Verpflichtung, an Übungen teilzunehmen. Es fehlt aber nicht nur an Mannschaften, sondern auch an der Führung: Rund ein Drittel der Planstellen bei Offizieren und Unteroffizieren konnte nicht besetzt werden. Und auch vom Material her war die Einsatzbereitschaft der Miliz nicht gegeben.
Eine Wiedereinführung der verpflichtenden Übungen ist derzeit nicht in Sicht. Zwar kam infolge des Ukraine-Krieges kurzzeitig eine Debatte darüber auf. Sowohl ÖVP als auch Grüne lehnen dies aber ab. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) erklärte, bei einer Wiedereinführung müsse man auch den Grundwehrdienst auf acht Monate verlängern, und „das sehe ich derzeit nicht“. Ebenso müsste dann wohl auch der Zivildienst verlängert werden, da ansonsten ein beträchtlicher Teil der Wehrpflichtigen lieber gleich den neunmonatigen Zivildienst machen würde: Das stößt wiederum den Grünen sauer auf.
Ende Jänner sprach auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der selbst Milizoffizier ist, ein Machtwort in der „Kleinen Zeitung“. Für ihn wäre die Wiedereinführung vor allem für den Arbeitsmarkt „nachteilig“: „Angesichts des Arbeitskräftemangels würde das aktuell zusätzlich unsere Wirtschaft belasten. Man kann sich freiwillig verpflichten. Das Bundesheer muss derzeit sein Auslangen finden“, sagte er. Außerdem seien sechs Monate Grundwehrdienst genug.
FPÖ für Wiedereinführung
Cibulka kann das nicht nachvollziehen, es handle sich um einen verschwindend geringen Anteil an Arbeitstagen, an denen die Milizsoldaten nicht in ihrem Unternehmen wären. Zudem hätten sich gewichtige Stimmen in der Wirtschaft für die Wiedereinführung ausgesprochen. In Wirklichkeit gehe es um politische Gründe, denn eine solche Maßnahme wäre gerade jetzt in Wahlkampfzeiten sehr unpopulär, so Cibulka.
Von den Parteien setzt sich derzeit die FPÖ für die Wiedereinführung der Milizübungen und das „6+2“-Modell ein. Die SPÖ will ein „modernes Milizsystem“schaffen und die neue Sicherheitsdoktrin abwarten, bevor sie sich auf ein Modell festlegt.