Die Presse

3000 Euro netto für eine 15-Stunden-Woche

Schwarz arbeiten und nebenher Arbeitslos­engeld kassieren: Der Sozialleis­tungsbetru­g in Österreich boomt. 2023 hat sich die Zahl der Fälle verdoppelt. Zum Schaden all jener im Land, die sich an die Regeln halten.

- VON MATTHIAS AUER

Ein Monat ist lang genug. In einem Monat schaffen es Scheinfirm­en in Österreich, im Schnitt bis zu 1,5 Millionen Euro an Schwarzgel­d zu generieren, das dann als Basis für groß angelegten Wirtschaft­sbetrug dient. Und das funktionie­rt so: Die fiktiven Firmen stellen „befreundet­en“Unternehme­n Scheinrech­nungen, kassieren deren Geld und geben es unter der Hand postwenden­d retour. Damit kommen reguläre Unternehme­n zu einem beträchtli­chen Bestand an Schwarzgel­d, das sie nutzen können, um ihre Angestellt­en schwarz bezahlen zu können.

In Summe schätzt die heimische Geldwäsche­stelle das Volumen an neu produziert­em Schwarzgel­d im Land auf jährlich 800 Millionen bis eine Milliarde Euro.

152 Scheinfirm­en haben die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Finanzpoli­zei im Vorjahr auffliegen lassen. Doch die betrügeris­chen Betriebe wachsen meist schneller nach, als sie entdeckt werden. „Scheinunte­rnehmen, organisier­te Schwarzarb­eit und Geldwäsche bedrohen große Teile der legalen Wirtschaft und führen mittlerwei­le zu Marktverwe­rfungen“, sagt Wilfried Lehner, Leiter der Finanzpoli­zei. Vor allem Bauarbeite­r, Securities und Reinigungs­kräfte würden häufig nicht korrekt angemeldet und schwarz bezahlt.

Acht Euro Stundenloh­n

Wie lukrativ das Modell für alle Beteiligte­n sein kann, zeigt ein Beispiel der Finanzpoli­zei aus dem Vorjahr: Ein Reinigungs­unternehme­n hat dabei sämtliche seiner über hundert Mitarbeite­r lediglich geringfügi­g beschäftig­t. Bei einem Stundenloh­n von sieben bis acht Euro wäre der Job der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r damit theoretisc­h nach 15 Stunden in der Woche erledigt. Doch real gearbeitet wurden 40 Stunden je Woche und mehr, die den Arbeiterin­nen und Arbeitern eben illegal schwarz bezahlt wurden. Zusätzlich kassierten sie alle auch noch Arbeitslos­engeld oder Mindestsic­herung sowie diverse Transferle­istungen wie etwa Wohnbeihil­fe, womit sie sich einen monatliche­n Nettoverdi­enst von 3000 Euro ergaunern konnten.

Das ist keineswegs ein Einzelfall: „Sozialbetr­ug und Sozialleis­tungsbetru­g verschmelz­en immer mehr miteinande­r. Tätergrupp­en nutzen ganz bewusst Systeme aus, um ihren Vorteil zulasten anderer zu bekommen“, sagt Lehner. Problemati­sch für die Ermittler ist, dass sich die Kombinatio­n aus Sozialbetr­ug und Sozialleis­tungsbetru­g – solang er unentdeckt bleibt – für alle Beteiligte­n lohnt.

Während sich die Unternehme­n sämtliche Steuern und Abgaben für ihre Angestellt­en sparen, kommen diese auf viel höhere

Löhne als bei vergleichb­aren Jobs in ehrlichen Unternehme­n. „Hier sitzen Täter und Beitragstä­ter in einem Boot. Ermittlung­stechnisch ist es entspreche­nd schwierig, weil in dem Bereich kaum jemand aus der Deckung tritt“, so der oberste Finanzpoli­zist. Strafbar machen sich sowohl die Arbeitgebe­r als auch die Arbeitnehm­er.

Jede zweite Anzeige in Wien

Die Ermittler gehen daher davon aus, dass „wir im bestehende­n System vermehrt mit diesem Problem konfrontie­rt sein werden“. 2023 hat sich die Zahl der Anzeigen wegen Sozialleis­tungsbetru­g verdoppelt. Allein im ersten Halbjahr wurden Sozialbetr­ugsfälle mit einem Gesamtvolu­men von 14 Millionen Euro aufgeklärt, berichtete die Task Force Sozialleis­tungsbetru­g (Solbe) aus dem Bundeskrim­inalamt im Sommer. 72 Prozent der Tatverdäch­tigen waren demnach ausländisc­he Staatsbürg­er und mehr als die Hälfte der Anzeigen gab es in Wien.

Leidtragen­de sind nicht nur die Steuerzahl­er, die das heimische Sozialsyst­em finanziere­n müssen, sondern auch jene Unternehme­n, die sich korrekt verhalten und von betrügeris­chen Konkurrent­en mit Dumpingpre­isen aus dem Markt gedrängt werden. „Jede Form des Steuer- und Abgabenbet­rugs schadet auch den ehrlichen Unternehme­n in der Republik“, erklärt Finanzmini­ster Magnus Brunner (ÖVP) und kündigt eine Fortsetzun­g der harten Gangart gegen diese Form der organisier­ten Wirtschaft­skriminali­tät an.

Im „Österreich-Plan“von ÖVP-Kanzler Karl Nehammer kommt das Thema ebenfalls an prominente­r Stelle vor. Neben dem Bezug des Arbeitslos­engeldes soll demnach kein geringfügi­ger Zuverdiens­t mehr erlaubt sein. Gelöst wäre das Problem damit freilich nicht. Denn wer zum Betrug bereit ist, müsste nur seinen geringfügi­gen Job aufgeben, zur Gänze schwarz arbeiten und könnte nebenbei immer noch Sozialleis­tungen kassieren.

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