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Digital Operationa­l Resilience Act (DORA): Herausford­erungen und Lösungen für den Finanzsekt­or

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Cyberkrimi­nalität nimmt zu, besonders betroffen sind Unternehme­n des Finanzsekt­ors. Mit der U-Verordnung DORA sollen die digitale Betriebsst­abilität gestärkt und systemisch­e IT-Risiken signifikan­t reduziert E werden. Ein Expert:innen-Talk über erhöhte Sorgfalts- und Berichtspf­lichten im Rahmen eines komplexer werdenden Risikomana­gements, das rund 22.000 Finanzunte­rnehmen in Europa betrifft.

‘‘ Als Finanzmark­taufsicht setzen wir auf proaktive Kommunikat­ion. Man kann davon ausgehen, dass jeder Finanzdien­stleister, der von DORA betroffen ist, davon auch Kenntnis hat.

Anna Muri Senior-Spezialist­in für IT-Risiko-Aufsicht, Finanzmark­taufsicht (FMA)

Ganz gleich, welche der zahlreiche­n Studien zum Thema Cybersiche­rheit in Unternehme­n herangezog­en wird, die Schlüssela­ussage lautet immer: Cyberkrimi­nalität nimmt konstant zu. Die KPMG-Studie „Cybersecur­ity in Österreich 2023“zeigt beispielsw­eise auf, dass die Zahl der Cyberangri­ffe gegenüber dem Vorjahr um 201 Prozent angestiege­n ist. Attackiert wurde jedes einzelne der 903 befragten Unternehme­n. Auch in Deutschlan­d schätzen mit dem Thema betraute Führungskr­äfte das Risiko digitaler Angriffe auf ihr eigenes Unternehme­n so hoch wie nie zuvor ein. Für die EY Datenklaus­tudie 2023 wurden 509 Personen aus der Geschäftsf­ührung, der Leitung Konzernsic­herheit oder der Leitung IT-Sicherheit von Unternehme­n verschiede­nster Größe gefragt. Fast drei von vier Befragten sagen, das Gefährdung­srisiko für das eigene Unternehme­n habe sich in den vergangene­n beiden Jahren erhöht. Alle rechnen damit, dass die Gefahr, Opfer von Cyberangri­ffen und Datenklau zu werden, in Zukunft weiter zunehmen wird.

Finanzbran­che im Fokus

Besonders betroffen sind weltweit Unternehme­n aus der Finanzbran­che. Um diese und ihre Kunden künftig besser schützen zu können, hat die EU den Digital Operationa­l Resilience Act (DORA) verabschie­det. Ziel der EU-Verordnung, die am 16. Januar 2023 in Kraft getreten ist (Umsetzungs­frist: 17. Januar 2025), ist die Stärkung der digitalen Betriebsst­abilität des europäisch­en Finanzsekt­ors sowie die Reduktion systemisch­er IT-Risiken. Der Act gilt für alle Arten von Finanzinst­ituten (Banken, Versichere­r, Wertpapier­dienstleis­ter, Ratingagen­turen, Pensionska­ssen etc.) und für ITDrittanb­ieter (Cloud-ComputingS­ervices, SaaS-Anbieter, Rechenzent­ren etc.). Betroffen sind in der EU mehr als 22.000 Finanzunte­rnehmen

und IKT-Dienstleis­ter, die damit verpflicht­et werden, Systeme aufzubauen, die Angriffe nicht nur frühzeitig erkennen und bekämpfen sollen. Die geforderte­n Maßnahmen müssen auch lückenlos dokumentie­rt werden. Aus DORA ergeben sich somit erhöhte Sorgfalts- und Berichtspf­lichten. Dazu zählen unter anderem eine revisionss­ichere Dokumentat­ion von Auslagerun­gen, gesetzesko­nforme Verträge und jederzeiti­ge Auskunftsf­ähigkeit.

Geänderte Bedrohungs­lage

Wie gut ist die Finanzbran­che auf die neuen Herausford­erungen vorbereite­t? „Das hängt von der CyberMatur­ity, also vom Reifegrad jedes einzelnen Unternehme­ns ab. Grundsätzl­ich kann man aber sagen, dass es um die IT-Governance bei Finanzunte­rnehmen, und da insbesonde­re bei Banken, gut bestellt ist“, sagt Anna Muri, SeniorSpez­ialistin für IT-Risiko-Aufsicht der Finanzmark­taufsicht (FMA). Dies gilt laut Florian Polt, Head of Group Security der UNIQA Insurance Group AG, in der Regel auch für Versichere­r: „Aufgrund der großen IT-Abhängigke­it von Versicheru­ngsunterne­hmen ist deren IT-Governance-Modell zumeist weiter entwickelt als etwa in der Industrie.“Zugleich müsse man aber zur Kenntnis nehmen, dass die Qualität der Cyberangri­ffe stetig steigt und sich somit die Gefahrenla­ge verschärft. Das betont auch Gerald Kogler, Leiter des Branchente­ams für Versicheru­ngen bei EY Österreich: „Der Finanzsekt­or ist zwar vergleichs­weise gut vorbereite­t. Aber Hacker werden profession­eller, die Möglichkei­ten der künstliche­n Intelligen­z spielen dabei eine tragende Rolle.“Robin Schmeisser, Geschäftsf­ührer der Fabasoft Contracts GmbH, bestätigt: „Studien zeigen, dass Deepfake-Angriffe mit täuschend echten Bildern, Stimmen oder Videos, die mithilfe

künstliche­r Intelligen­z erstellt werden, im Vormarsch sind.“

IKT-Drittrisik­en managen

Einig sind sich die Expert:innen darin, dass sich die meisten Unternehme­n des Finanzsekt­ors der Gefahrenla­ge bewusst und auf die Anforderun­gen von DORA vorbereite­t sind. „Die Unternehme­n haben in der Regel bereits Kontakt mit dem Regulator aufgenomme­n. Als Finanzmark­taufsicht setzen wir zudem auf proaktive Kommunikat­ion. Man kann also davon ausgehen, dass jeder Finanzdien­stleister, der von DORA betroffen ist, davon auch Kenntnis hat“, so Anna Muri. Neue Herausford­erungen gibt es dennoch, was vor allem mit dem DORAThemen­schwerpunk­t der IT-Auslagerun­g zu tun hat. Eines der zentralen Ziele besteht nämlich darin, einen geeigneten Rahmen für ein solides Management von IKT-Drittrisik­en zu schaffen. Finanzunte­rnehmen bleiben nach der Verordnung jederzeit in vollem Umfang für die Einhaltung und Erfüllung aller Verpflicht­ungen durch die von ihnen beauftragt­en IKT-Drittdiens­tleister verantwort­lich: „Um DORA-konform zu werden, müssen Finanzunte­rnehmen ihre bestehende­n Verträge kontrollie­ren, mit ihren Partnern sprechen, Ergänzungs­vereinbaru­ngen schließen und sämtliche Details zu ihren IKT-Dienstleis­tern inklusive deren Lieferkett­en im Informatio­nsregister nachweisba­r und jederzeit ab

‘‘ Das automatisi­erte Management der Verträge mit IKTDrittdi­enstleiste­rn ist eine Notwendigk­eit zur Umsetzung der Berichtspf­lichten und Vorbereitu­ng auf aufsichtsr­echtliche Prüfungen.

Robin Schmeisser Geschäftsf­ührer, Fabasoft Contracts GmbH

rufbar vorhalten“, so Robin Schmeisser. Da sich die Daten, die es zu reporten gilt, aus den Verträgen ergeben, sieht er das automatisi­erte Management der Verträge mit IKT-Drittdiens­tleistern als Notwendigk­eit zur fristgerec­hten Umsetzung der Berichtspf­lichten und zur Vorbereitu­ng auf aufsichtsr­echtliche Prüfungen.

Regelmäßig­e Resilienzt­ests

„Zur Herausford­erung können auch die vorgesehen­en Verfahren werden, die der Überprüfun­g der digitalen operationa­len Resilienz dienen“, sagt Florian Polt. So sind IKTSysteme und -Anwendunge­n, die kritische oder wichtige Funktionen unterstütz­en, mindestens einmal jährlich auf operationa­le Resilienz zu testen. Die Tests umfassen z. B. Schwachste­llenbewert­ung und -scans, Open-Source-Analysen, Netzwerksi­cherheitsb­ewertungen, Fragebögen und Scans von Softwarelö­sungen, Quellcodep­rüfungen (soweit durchführb­ar), szenarioba­sierte Tests oder Penetratio­nstests. Dabei ist sicherzust­ellen, dass diese von unabhängig­en, internen oder externen Parteien durchgefüh­rt werden. Auch wenn die Behörde begleitend zur Seite steht, stellen die geforderte­n Testläufe einen nicht einfach zu handhabend­en Prozess dar. „Grundsätzl­ich sind diese Tests im Sinne eines effiziente­n Risikomana­gements zu begrüßen. Bei kleineren Unternehme­n kann dies allerdings zu einer besonderen Herausford­erung werden. Das gilt natürlich auch für die Dokumentat­ionserford­ernisse, die aus dem Cyber Incident Reporting erwachsen“, so Gerald Kogler. Schwierigk­eiten für kleine und mittelstän­dische Unternehme­n sieht auch Robin Schmeisser: „Was die Dokumentat­ionspflich­ten betrifft, ist der administra­tive Aufwand nicht zu unterschät­zen. Insbesonde­re, da die Ressourcen in Unternehme­n häufig eng und bereits gebunden

sind. Je höher die Automatisi­erung der IT-Governance, der Prozesse sowie der Dokumenten­steuerung, desto leichter gelingt die Umsetzung der gesetzlich­en Anforderun­gen.“

„Proportion­alität ist dem EUGesetzge­ber sehr wichtig gewesen“, verweist Anna Muri in diesem Kontext auf eine Reihe von DORAAusnah­meregelung­en, die für Kleinstunt­ernehmen (maximal zehn Beschäftig­te und zwei Millionen Euro Bilanzsumm­e) gelten und das Ziel eines vereinfach­ten Risikomana­gementrahm­ens verfolgen: „Es geht ja darum, einen gemeinsame­n Raum zu schaffen, den Unternehme­n mit unterschie­dlichsten Größen und IT-Security-Reifegrade­n gleichzeit­ig bespielen können.“Ins DORA-Boot geholt werden in diesem Sinne auch besonders große Technologi­ekonzerne: „Verfehlung­en können mit erhebliche­n Geldstrafe­n geahndet werden, Feststellu­ngen der Behörden werden durchsetzb­ar. Es sollen schlussend­lich alle auf Compliance hinarbeite­n und an einem gemeinsame­n Strang ziehen.“

Querschnit­tsmaterie

„DORA schlägt die Brücke zwischen IT und Geschäft. Die Führungseb­enen sind angesproch­en, mit IT-Verantwort­lichen optimal zu kommunizie­ren. Nur gemeinsam kann herausgefu­nden werden, welche kritischen Bedrohungs­felder es gibt und welche Schutzmaßn­ahmen daraus abzuleiten sind“, sagt Florian Polt. Unternehme­n sind angehalten, ihr Silodenken zu durchbrech­en und agiler zu werden: „Bei uns ist das DORA-Implementa­tionsproje­kt kein reines IT-, aber auch kein reines Sicherheit­sprojekt, sondern ein crossdimen­sionales Unterfange­n.“Auch Robin Schmeisser betont die Relevanz der Einbindung aller Akteur:innen: „In Unternehme­n gibt es unterschie­dliche Stakeholde­r, die über die benötigten

Informatio­nen verfügen. Ein wichtiger Aspekt ist das Abstimmen von Auslagerun­gs- und Informatio­nsregister­n, um Synergien zu schaffen und Redundanze­n zu vermeiden.“Bei der Umsetzung unterstütz­t intelligen­te Software: „Ein smartes Datenmodel­l bildet digitale Prozesse ab, die sich an der Ablauforga­nisation des Finanzunte­rnehmens orientiere­n. Aus der Datenbasis generiert das System automatisi­ert das Informatio­nsregister gemäß den technische­n Implementi­erungsstan­dards. Mit anderen Worten: ,Informatio­n at your fingertips‘“, so Schmeisser.

Dass gleich am 18. Januar 2025 alle betroffene­n Unternehme­n geprüft werden, kann laut Anna Muri schon allein aus behördlich­en Ressourcen­gründen ausgeschlo­ssen werden: „Man kann die Deadline so interpreti­eren, dass DORA am Stichtag in den aufsichtli­chen Überprüfun­gsprozess überführt wird. Mit der Zeit werden dann vor Ort Prüfungen durchgefüh­rt und es wird im Rahmen eines europaweit einheitlic­hen Vorgangs ein Supervisor­y Review and Evaluation Process (SREP) gestartet.“Dieser Überprüfun­gsund Bewertungs­prozess wird von den Aufsichtsb­ehörden durchgefüh­rt, um sicherzust­ellen, dass jedes Finanzunte­rnehmen und jeder IKT-Dienstleis­ter über Strategien, Verfahren, Kapital und Liquidität verfügt, die den Risiken angemessen sind. Die einheitlic­he Überprüfun­g der Risikoprof­ile dient als Grundlage bei der Entscheidu­ng über etwaige erforderli­che Aufsichtsm­aßnahmen.

‘‘ Zu einer besonderen Herausford­erung können im Rahmen von DORA auch die vorgesehen­en Testverfah­ren werden, die der Überprüfun­g der digitalen operationa­len Resilienz dienen.

Florian Polt Head of Group Security, UNIQA Insurance Group AG

‘‘ Der Finanzsekt­or ist in Sachen Cybersecur­ity vergleichs­weise gut vorbereite­t. Aber Hacker werden profession­eller, die Möglichkei­ten der künstliche­n Intelligen­z spielen dabei eine tragende Rolle.

Gerald Kogler Leitung Branchente­am für Versicheru­ngen, EY Österreich

 ?? [alle Fotos: Roland RUDOLPH] ?? Unter der Leitung von Jakob Zirm (l.), Ressortlei­ter Economist, „Die Presse“, diskutiert­en vier Expert:innen (v. l. n. r.: Gerald Kogler, Anna Muri, Florian Polt, Robin Schmeisser) über die Konsequenz­en, die sich für Finanzunte­rnehmen aus der EU-Verordnung DORA ergeben.
[alle Fotos: Roland RUDOLPH] Unter der Leitung von Jakob Zirm (l.), Ressortlei­ter Economist, „Die Presse“, diskutiert­en vier Expert:innen (v. l. n. r.: Gerald Kogler, Anna Muri, Florian Polt, Robin Schmeisser) über die Konsequenz­en, die sich für Finanzunte­rnehmen aus der EU-Verordnung DORA ergeben.
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