Die neue Lust am Happy End
Die Angst vor dem Kitschverdacht ist vorbei. Jetzt streben immer mehr Romane einem herzerwärmenden Schluss entgegen. Dabei liegt sich freilich am Ende nie jemand in den Armen, denn um Liebe geht es fast gar nicht.
Derzeit scheint es in der Literatur zwei wesentliche Trends zu geben, und auf den ersten Blick erscheinen sie gegensätzlich: Da wären die knapp an der Gegenwart entlang erzählten Dystopien, die Elias Hirschl, Sibylle Berg, Ned Beauman und andere entwerfen – von einer überwachten, durch Social Media gekaperten und von kapitalistischer Gier zugrunde gerichteten Gesellschaft. Man darf ihnen dankbar sein für den oft satirischen Dreh, denn sonst möchte man darob ganz verzweifeln.
Daneben etabliert sich aber der Feelgood-Roman, und das ist insofern besonders bemerkenswert, als Happy Ends in der Literatur, so sie nicht mit dem Groschenroman liebäugelte, eigentlich nichts verloren haben. Wer auf sich hielt, ließ Romeo und Julia sterben. Die Prostituierte, die im eben erschienenen Debüt von Meryem Alaoui am Ende zum Filmstar avanciert, wäre früher zusammengeschlagen im Straßengraben gelandet, und der Tattoo-Shop bei Dietlind Falk wäre längst pleite, nachdem irgendjemand den fehlerhaft ausgestopften Alligator in der Auslage entdeckt und das Ordnungsamt gerufen hätte.
Warum passiert das nicht? Warum schöpfen die Helden von Bryan Washington und Milena Michiko Flašar neuen Lebensmut?
Zunächst einmal: Keiner der Romane, die wir hier vorstellen, ist unpolitisch. Bryan Washington schreibt über Gewalt gegen Schwarze. Barbara
Kingsolver bricht eine Lanze für die Rednecks, für den White Trash, wie er oft genannt wird, die Opioid-Krise in den USA nimmt bei ihr breiten Raum ein. Und Nathan Hill macht nachvollziehbar, wie ein einsamer alter Mann den Algorithmen von Facebook zum Opfer fällt. In der Zeitdiagnostik sind diese Romane oft genauso hart wie ihre dystopischen Gegenparts. Die Welt zerfällt. Und es gibt nicht viel, was wir dagegen tun können. Wir können in verzweifeltes Gelächter ausbrechen.
Die Welt zerfällt – sei freundlich
Oder wir bestellen den Garten. Pflegen Freundschaften. Sorgen uns um jene, die uns nahe sind. In den neuen Happy-End-Romanen geht es darum gar nicht um die Liebe, am Ende steht kein Kuss, allenfalls beugen sich zwei Kumpel über den Tisch und essen gemeinsam Kraut-Omeletten. Oft steht der Arbeitsplatz im Mittelpunkt, wo die Protagonisten lernen, über Differenzen hinwegzublicken. So groß sind die Unterschiede doch gar nicht. Manchmal heilt die Familie, so brüchig sie ist. Es geht um Achtsamkeit in unachtsamen Zeiten, Sanftheit ob aller Brutalität. Die Zeit, in der wir leben, die Unsicherheit, die viele empfinden, schimmert immer durch.
Man kann sich fragen, ob diese Romane optimistisch sind. Das sind sie wohl nicht. Aber sie sind, um ein Wort zu verwenden, das sich schwer übersetzen lässt, „wholesome“. Es wird nicht alles wieder gut, aber ein bisschen was können wir retten. Achtung, fertig, los.