Wie ein Anreizmodell für mündige Patienten aussehen könnte
Wer innerhalb des Gesundheitssystems die aus medizinischer und ökonomischer Sicht effizienteste Stelle aufsucht, sollte dafür auch belohnt werden.
Was wurde nicht alles aufs Tapet gebracht, um die sinkende Qualität der medizinischen Versorgung der Bevölkerung wieder zu steigern: Absolventen eines Medizinstudiums zur Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitssystem und Wahlärzte zur Behandlung von Patienten nach Kassentarifen verpflichten. Eröffnungen von neuen Kassenordinationen mit 100.000 Euro „Startbonus“fördern. Patienten, die ohne Notwendigkeit eine Notfallambulanz aufsuchen, mit einer Ambulanzgebühr bestrafen. Sogar ein einjähriges Pflegepraktikum statt eines Aufnahmetests für die Zulassung zum Medizinstudium war schon Gegenstand einer kontrovers geführten Debatte.
Umso beachtlicher ist es, dass eine – eigentlich naheliegende – Maßnahme noch nicht breit diskutiert wurde, obwohl es wiederholt kleinere, unkonkrete Vorstöße in diese Richtung gegeben hat. Zuletzt vom Tiroler Ärztekammer-Präsidenten Stefan Kastner, aber auch er ging nicht ins Detail. Die Rede ist von einem Anreizmodell für Patienten, mit Beschwerden jenen Ort des Gesundheitswesens aufzusuchen, der aus medizinischer und ökonomischer Sicht die sinnvollste ist. Denn bekanntlich gehören fehlende Lenkungsmechanismen zu den größten Schwachstellen des Systems. Wer mit einer Lappalie in die Notfallambulanz einer Universitätsklinik gehen will, um dort unnötigerweise personelle und strukturelle Ressourcen zu binden, darf das auch. Zugangsbeschränkungen gibt es nicht. Wiederholte Forderungen danach fanden (seit dem Scheitern eines ersten Versuchs 2000) keine politische Mehrheit mehr.
Wie genau könnte aber ein Belohnungsmodell aussehen, das weitsichtig und praktikabel ist? Denkbar wäre etwa die Möglichkeit für Patienten, am Jahresende freiwillig vorzuweisen, dass alle oder zumindest die meisten Kontakte mit dem Gesundheitssystem an der jeweils „richtigen“Stelle erfolgt sind. Dass also Besuchen von Facharztpraxen und Fachambulanzen stets eine Konsultation bei Hausärzten vorausging – und dieser Konsultation ein Anruf bei der Gesundheitshotline 1450. Für die Dokumentation könnte ein unkompliziert zu bedienendes OnlineTool mit vorgegebenen Parametern eingerichtet werden. Also eine Art Fragebogen, um nachweisen zu können, aus eigenem Antrieb medizinisch und wirtschaftlich effizient vorgegangen zu sein. Sollten die definierten Ziele erreicht werden, könnte die Belohnung eine Senkung des Sozialversicherungsbeitrags für das kommende Jahr (inklusive Benachrichtigung am Ende des Jahres, welchen Betrag die Versicherten gespart haben) oder eine Prämie in der Größenordnung von 500 bis 1000 Euro sein – finanziert von Bund, Ländern und Sozialversicherung.
Unter diesen Voraussetzungen ist es sehr wahrscheinlich, dass sich gesundheitsbewusste, mündige und aufgeklärte Patienten an diesem Modell beteiligen – für sich selbst und für die Allgemeinheit. Ohne Zwang, ohne Verpflichtungen, ohne Strafen. Bei dem zu erwartenden Einsparungspotenzial wäre die besagte jährliche Prämie bzw. Senkung des Sozialversicherungsbeitrags die beste Investition, die im Gesundheitssystem je getätigt wurde.
Wer nicht die Fantasie besitzt, an den Erfolg dieser Strategie zu glauben, sollte einen Blick auf ein bereits bestehendes Anreizmodell werfen, und zwar auf jenes der Sozialversicherung der Selbstständigen. Das dortige Konzept sieht schon seit vielen Jahren vor, dass Versicherte weniger Selbstbehalt (zehn statt 20 Prozent der anfallenden Kosten) für ihre Behandlungen zahlen, wenn sie zuvor bestimmte Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen, individuell (mit ihrem Hausarzt) definierte Gesundheitsziele erreicht haben. Umfasst sind Gesundheitswerte, die durch den Lebensstil beeinflussbar sind: etwa Blutdruck, Gewicht, Rauchen, Alkohol, Bewegung. Dabei werden die Fortschritte regelmäßig kontrolliert. Ein Konzept, das aufgeht.
Warum auch nicht? Nur, weil die Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg zur Unselbstständigkeit und jener Grundeinstellung erzogen wurde, die als Vollkaskomentalität bezeichnet wird, heißt das nicht, dass sie nicht mehr fähig ist, eigenverantwortlich, selbstbestimmt und solidarisch zu handeln. Vorausgesetzt, ihr wird die Gelegenheit dazu gegeben.